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Bann für Bisphenol A

Bisphenol A ist praktisch in aller Munde: Die Chemikalie findet sich in Plastiktassen und -tellern, in Trinkflaschen und Verpackungen. Von dort kann sie in die Nahrung gelangen und hormonähnlich wirken. Immer mehr Länder beschränken seine Verwendung, Schweden gar plant das Totalverbot.

Von Alexander Budde | 07.02.2013
    Sie verbirgt sich in Zahnfüllungen, Plastikprodukten, Konservendosen: Bisphenol A, kurz BPA genannt, eine synthetische Substanz, die in das Hormonsystem des menschlichen Körpers eingreifen und auf Lebensfunktionen wie die Fortpflanzung einwirken kann. Eine schleichende Bedrohung vor allem für das werdende Leben, warnt Carl-Gustav Bornehag. Er ist Professor für Gesundheitswissenschaft an der Universität Karlstad:

    "Wir Menschen sehen uns Chemikalien ausgesetzt, die es so nie zuvor gegeben hat. Aber jetzt sind sie überall in unserer Umgebung. Und sie belasten uns rund um die Uhr. Wir erforschen ihre Wirkung auf den Fötus. Mehr und mehr Daten belegen, dass unser Organismus in dieser frühen Lebensphase besonders empfindlich auf Schadstoffe reagiert. Die physiologischen Folgen werden sich erst sehr viel später zeigen."

    Wie groß die Gesundheitskrisen sind, die von körperfremden Substanzen wie BPA ausgehen, ist umstritten. Der Industrie dient sie als Ausgangsstoff für die Herstellung von Kunststoffen, BPA wird zum Beispiel in einer Vielzahl von Plastikprodukten sowie bei der Innenbeschichtung von Getränke- und Konservendosen verwendet. Aus ihnen kann sich die Chemikalie lösen und in den Körper gelangen. Dort wird sie zwar rasch abgebaut. Doch aus einer Vielzahl von Tierexperimenten schließen Forscher auf ein deutlich erhöhtes Risiko für Übergewicht, bei der Entstehung von Tumoren, bei Fehlbildungen des Nervensystems und der Hirnfunktionen. Ursprünglich wurde die Substanz, die im Körper ähnlich wie das weibliche Sexualhormon Östrogen wirkt, sogar für die Hormontherapie genutzt. Die EU hat die Nutzung der Chemikalie in Babyflaschen 2011 verboten und folgte damit dem Vorbild einzelner Länder wie Schweden, die sich schon früher zu diesem Schritt durchgerungen hatten. Doch Experten wie Carl-Gustav Bornehag gehen solche Verbote einzelner Produkte oder ganzer Produktgruppen nicht weit genug:

    "Sicher ist es gut, wenn Bisphenol A aus Produkten wie Babyflaschen oder Plastikspielzeug verschwindet. Aber um den Gesundheitsrisiken wirklich zu begegnen, müsste man viel konsequenter vorgehen. Denn viele dieser synthetischen Substanzen sind in einer kaum noch überschaubaren Vielzahl von Produkten enthalten. Eine schlauere Strategie wäre es, die Chemikalie als solche zu verbannen."

    Zahnfüllungen, Thermopapier, Konservendosen: In einer kritischen Inventur der Gemeinde Göteborg wurde BPA in mindestens 900 verschiedenen Alltagsprodukten vom Plastikteller bis zum Kinderspielzeug aufgespürt. Thomas Martinsson ist Abgeordneter der grünen Umweltpartei im Gemeinderat:

    "Wir haben es mit einem gefährlichen Hormongift zu tun. Belastetes Thermopapier für Quittungen etwa haben wir bereits auf den Index gesetzt. Und auch die restlichen Produkte werden wir allesamt aus unserem Alltag entfernen. Das geht nicht von heut auf morgen."

    In Schweden ist BPA bereits in Lebensmittelverpackungen für Kleinkinder verboten. Doch solche nationalen Alleingänge helfen nicht wirklich weiter, meint Lena Ek. Schwedens Umweltministerin wirbt in Europa für ein umfassendes Totalverbot. Der EU-Kommission und ihrer Lebensmittelbehörde wirft die Ministerin vor, die eindeutigen Studien seit Jahren beharrlich zu ignorieren:

    "Uns erreichen immer neue Alarmmeldungen aus aller Welt über die hormonstörenden Chemikalien. Bisphenol A ist eine Chemikalie, die wir nur unter strikter Kontrolle halten sollten. Vor allem weil sie in vielen Gebrauchsgegenständen enthalten und im Alltag von Kindern und jungen Menschen ist, die sich Kinder wünschen."

    Nun soll alles ganz schnell gehen. Sie suche im EU-Parlament und im Kreise ihrer Amtskollegen nach Verbündeten, gelobt Ek. Den absehbaren Konflikt mit der EU-Kommission scheue sie nicht. Carl-Gustav Bornehag wünscht der Ministerin einen langen Atem. Er rechnet mit dem anhaltenden Widerstand der Industrie und ihrer Lobbymacht.