Birke: Bundeskanzler Gerhard Schröder hat dem grünen Koalitionspartner vorgeworfen, sich mit den Forderungen nach weiteren Erhöhungen der Ökosteuer nach 2003 profilieren zu wollen. ‚Basta, genug' scheint der Kanzler zu denken, zumindest was eine weitere Diskussion, womöglich aber auch zusätzliche Anhebungen der Ökosteuer anbetrifft. Herr Professor Bareis, wie stehen Sie als Steuerfachmann zur Forderung nach einem Ausbau des Instruments Ökosteuer nach 2003?
Bareis: Hier muss ich dem Bundeskanzler recht geben, wobei mir nicht ganz klar ist, ob es sich nicht um politisches Marketing handelt bei dieser Diskussion. Aber inhaltlich halte ich die ökologische Steuerreform für höchst fragwürdig. Was uns hier beschert wird, hat wenig mit Ökologie und viel mit Steuermehreinnahmen für den Staat zu tun.
Birke: Das heißt, Sie teilen also die Meinung auch der Unionsvorsitzenden Angela Merkel, die behauptet, die Ökosteuer sei zum einen familienfeindlich und entfalte zum anderen auch keine wirklich wirkungsvolle ökologische Lenkungswirkung?
Bareis: Also, ich will nicht parteipolitisch Stellung nehmen, sondern ich will versuchen, auf die Ziele einzugehen, die mit der Ökosteuer verbunden sind, und dann zu fragen, ob dieses das richtige Mittel ist, um diese Ziele zu erreichen. Vielleicht sollten wir es etwas genereller anpacken. Es ist keine Frage, dass wir Umweltziele verfolgen müssen, dass wir also die globale Erderwärmung stoppen müssen, dass wir die Treibgase vermindern müssen. Dazu hat sich die Bundesrepublik ja auch verpflichtet. Über dieses Ziel sollten wir nicht diskutieren, darüber besteht Konsens. Es geht darum, was dafür das geeignete Mittel ist. Und jetzt gibt es bei solchen Fragen mindestens vier Mittel, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Ein Mittel ist die Administration, das heißt, Gebote und Verbote. Wir können durch administrative Maßnahmen eingreifen - der Staat kann eingreifen. Es gibt Verhandlungslösungen als Möglichkeit. Es gibt Steuerlösung, die sogenannte Pigou-Steuer, die von einem Ökonomen in den 20-er Jahren vorgeschlagen wurde. Aber es gibt auch die Möglichkeit sogenannter Zertifikatslösungen. Und jetzt könnten wir vielleicht uns einigen, dass Gebote, Verbote und Verhandlungen zwischen den Beteiligten vielleicht nicht sehr wirksam sind, dass also die beiden andern Instrumente zur Verfügung stehen. Was mich an der ganzen Diskussion stört, ist, dass dieses zweite Mittel, nämlich Zertifikate, fast nicht auftauchen in der Diskussion. Wenn man es überspitzt formuliert, glauben wir offenbar, dass wir alles mit Steuern steuern könnten. Und das ist für mich ein Fehlurteil.
Birke: Wie könnte denn eine Lösung mit Emissionszertifikaten aussehen?
Bareis: Es gibt also diese beiden Möglichkeiten, die ernsthaft zu erwägen sind. Die eine Möglichkeit, die jetzt propagiert wurde - jetzt eingeführt wurde -, besteht darin, dass letztlich der Staat feststellen muss, obwohl er das nicht kann, was der richtige Preis für die Umweltverschmutzung ist. Über die Steuererhöhung setzt er ja indirekt einen höheren Preis fest. Niemand weiß, was der richtige Preis für das Benzin ist, um die Umwelt zu schützen. Er geht also über Preissteuerung an die Sache heran und hat keine Informationen darüber, wie das sich tatsächlich auswirkt. Im anderen Fall - bei den Zertifikatslösungen - geht es darum, dass wir versuchen können, direkt die Menge an Treibhausgasen oder an schädlichen Emissionen - allgemeiner gesprochen - die Menge zu bestimmen und dann zu versuchen, Instrumente zu entwickeln, die es uns erlauben, den Preis über den Markt festzustellen. Das heißt, der Staat sagt mir zum Beispiel, wenn ich eine Heizung habe: ‚Du hast bisher so und soviel Mengen an umweltschädlichen Gasen in die Luft gepustet; das will ich jetzt mal billigen, aber nächstes Jahr darfst Du höchstens 10 Prozent weniger noch weiter pusten, und, und, und - wenn Du statt 90 Prozent weiter mit Deinen 100 Prozent arbeiten möchtest, musst Du Dir auf dem Markt Verschmutzungsrechte zukaufen'. Dann sagt uns der Markt, was der Preis zur Vermeidung von Umweltschäden ist, und das ist für einen Ökonomen das eher geeignete Mittel, um solche Dinge vom Staat her in den Griff zu bekommen, und auch von den Bürgern her eine vernünftige Lösung zu finden.
Birke: Könnte man denn eine solche Lösung zu dem Zeitpunkt, um den sich jetzt auch die Ökosteuerdiskussion dreht, nämlich 2003, danach sofort umsetzen?
Bareis: Die kann man sicher nicht sofort umsetzen. Nur: Sie sollten daran denken, dass das Klimaproblem, um das es ja hauptsächlich geht - also CO 2 - Emissionen, Kohlendioxyd -, dass das global angegangen wurde in der Konferenz von Kyoto, und dass sich die Bundesrepublik unter anderem verpflichtet hat - ich glaube, bis 2012 -, ihren Ausstoß um 25 Prozent zu ermäßigen. Die Frage ist also: Wo müssen wir ansetzen? Natürlich müssen wir ansetzen an der Verschmutzung. Also müssen wir irgendwie feststellen, wieviel denn tatsächlich an Verschmutzung passiert. Also kommen wir um die Messung der Verschmutzung nicht herum. Und jetzt ist die Frage: Wem überlassen wir die Feststellung des Preises dafür? Und da meine ich in der Tat, dass man das mit Zertifikaten besser lösen kann als dadurch, dass ein Beamter am grünen Tisch bestimmt: Wir müssen - was weiß ich - sechs Pfennig pro Jahr die Mineralölsteuer erhöhen oder wir müssen um 0,5 Pfennig pro Jahr eine Stromsteuer einführen und die Stromsteuer um 0,5 Pfennig pro Jahr bis 2003 erhöhen. Der weiß das nicht, dass das das Richtige ist. Und jetzt kommt etwas polit-ökonomisches dazu: Der Staat schafft sich durch eine Steuer zusätzliche Einnahmen. Und es wird ja behauptet, dass diese Ökosteuer benötigt wird, um eine sogenannte ‚doppelte Dividende' zu erreichen, das heißt, man könnte damit außerdem noch weiter Gutes tun, indem man die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung auf ein bestimmtes Niveau senken kann, also die Einnahmen des Staates aus der Ökosteuer dafür verwendet.
Birke: Man will also zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen . . .
Bareis: . . . man will zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, wird behauptet. Jetzt ist es so: Wenn man an die Beiträge zur Rentenversicherung denkt, dann muss man natürlich fragen, warum die Beiträge steigen. Da muss man den Ursachen nachgehen, warum diese Beiträge steigen. Und diese Ursachen haben bestimmt nichts mit der Umweltproblematik zu tun. Und die Ursachen beseitigt man nicht dadurch, dass man das Problembewusstsein durch Einnahmen aus der Ökosteuer beiseite schiebt oder überhaupt kein Problembewusstsein entstehen lässt. Ich will es etwas drastisch ausdrücken: Wenn ich älter werde, dann ist es für mich in der Regel etwas Positives. Da muss ich dafür bezahlen. Und so sollen andere dafür bezahlen - ich glaube es wenigstens -, wenn die Ökosteuer dann für mich verwendet wird. Das ist nicht die richtige Maßnahme, um demjenigen, der für sein Alter vorsorgen soll, Eigenverantwortung zu überlassen. Das ist ein fürsorglicher und bevormundender Staat, der glaubt, besser zu wissen als die einzelnen, was sie tun müssen.
Birke: War in diesem Sinne auch fürsorglich einfach jetzt die Reaktion der Bundesregierung auf die erhöhten Spritpreise, nämlich die Entfernungspauschale - und dann noch gestaffelt nach Kurzstrecke und Mittelstrecke - einzuführen?
Bareis: Na, das hat nun mit Umweltschutz überhaupt nichts zu tun. Wenn die ehemalige Einkommenssteuerkommission im Jahre 94 vorgeschlagen hat, man solle eine Entfernungspauschale einführen, dann hat man an alles andere gedacht als an das, was jetzt eingeführt worden ist. Ich will es kurz problematisieren: Wir haben bei der Einkommenssteuer das Ziel, das erwirtschaftete Einkommen einer Person mit zunehmender Höhe höher zu besteuern, progressiv zu besteuern. Also wer ein höheres Einkommen als ein anderer hat, zahlt auch einen höheren Steuersatz. Wenn wir jetzt sagen, er darf auch Privatausgaben von der Steuer abziehen, dann haben wir einen ersten Systemwiderspruch, denn dann sagen wir, dass derjenige, der Privatausgaben von der Bemessungsgrundlage der Steuer abziehen darf, dass derjenige, der ein hohes Einkommen hat, einen hohen Effekt davon hat, während derjenige, der ein niedriges Einkommen hat oder gar keines hat, natürlich davon überhaupt nicht profitiert. Wir hatten damals gesagt: Man soll jedem das geben, was er gerade aufbringen muss, wenn er den öffentlichen Personennahverkehr benutzt, also maximal 20 Pfennige vielleicht für den Entfernungskilometer. Und wer mit dem Auto fährt, der tut's auf eigene Kosten und nicht auf Kosten der Allgemeinheit. Wer mit dem öffentlichen Personennahverkehr fährt, der hat eine entsprechende Steuerentlastung, die reicht aus.
Birke: Und diese Möglichkeit halten Sie angesichts hoher Spritpreise und angesichts der Ökosteuer immer noch für realisierbar?
Bareis: Ja, ich halte die nicht nur für realisierbar, sondern ich halte es für dringend notwendig, dass es so realisiert wird, und nicht, dass man eine Prämie jetzt dafür gibt letztlich, dass jemand auf's Land zieht und nicht die hohen Mieten in der Stadt in Kauf nimmt, dass es eine Prämie dafür gibt, dass wir zersiedeln und anderes mehr und dass wir mit dem Auto fahren, oder dass, wenn wir mit dem öffentlichen Personennahverkehr fahren, wir noch eine Zusatzprämie bekommen, die niemand eigentlich begründen kann, die mit zunehmendem Einkommen zusätzlich wächst. Das kann nicht richtig sein.
Birke: Das heißt, die Entfernungspauschale höhlt Ihrer Meinung nach die Lenkungsfunktion der Ökosteuer aus . . .
Bareis: . . . exakt . . .
Birke: . . . es wird nicht umweltschützend gehandelt?
Bareis: Exakt, diese. Die andere Pauschale, wenn ich sage, 20 Pfennig für den öffentlichen Personennahverkehr, wäre der Kompromiss, der uns vorschwebt. Die Amerikaner sagen: Die Arbeit beginnt am Fabriktor. Schluss.
Birke: Herr Professor Bareis, nochmal zurück zur Wirkung der Ökosteuer. Halten Sie sie in ihrer jetzigen Ausgestaltung - Anhebung nach 2003 mal dahingestellt - für geeignet, unser Klimaziel - 25 Prozent Emissionsreduktion - zu erreichen?
Bareis: Dazu habe ich noch nicht genug Zahlen. Also, ich kenne die konkreten Zahlen, die Wirkungen, die Wirkungsanalyse bisher noch nicht. Vielleicht sollte man die ganze Sache aber doch etwas relativieren. Die 25 Prozent, zu denen wir uns verpflichtet haben, machen - weltweit betrachtet - ein Prozent des Gesamtaufkommens aus. Also die Frage, inwieweit wir da wirklich dazu beitragen können, ist noch ein anderes Thema. Aber jetzt zur konkreten Ausgestaltung; vielleicht sollten wir zurückgehen. Die Mineralölsteuer wurde eingeführt, um die heimische Steinkohle zu schützen. Ich habe bisher nichts von der ‚Kohlesteuer' gehört; aber wenn ich naturwissenschaftlich einigermaßen ausreichend informiert bin, ist auch das Verfeuern von Kohle nicht gerade klimafreundlich, so dass also die erste Frage auftaucht: Wie steht's damit? Wir subventionieren den Steinkohlebergbau immer noch. Die zweite Frage: Wenn ich eine Steuer festsetze für Heizöl oder Mineralöl generell oder für Benzin oder Dieselkraftstoff, dann knüpft das ja nicht direkt an den Emissionsmengen an. Also man muss fragen, ob tatsächlich die Emissionsmenge, unabhängig vom Kraftfahrzeugtyp, unabhängig von den Schutzmaßnahmen, die ich in meinem Auto habe, ob da der Liter Benzin exakt dieselbe Schadstoffmenge rausbringt wie im anderen Auto und ähnliches. Und genau darauf käme es doch an. Und jetzt kommt was ganz anderes. Sie wissen ja, dass das produzierende Gewerbe von dieser sogenannten Ökosteuer nur zu einem Fünftel betroffen ist. Ja, aber wenn denn tatsächlich dieses Ökoziel im Vordergrund steht, dann muss ich doch gerade diese Umweltverschmutzungen zurückdämmen.
Birke: Das heißt, die Ausnahmen, die mit der Einführung der Ökosteuer gewährt wurden, müssten abgeschafft werden?
Bareis: Aber sicher, natürlich müssten die abgeschafft werden, wenn man dieses Instrument benutzt. Und dann wird man sagen: Das kann man den einzelnen nicht mehr zumuten. Und dann sage ich: Ok, wenn wir das nicht wissen, dann müssen wir versuchen, da die tatsächlichen Kosten zu ermitteln. Aber dann sind wir bei einem anderen Mittel, dann müssen wir über die Mengensteuerung, dann müssen wir über die Zertifikatslösung ernsthafter nachdenken, die übrigens kommen wird, denn da ist seit Kyoto auch in der EU die Diskussion darüber im Gange. Die wird kommen. Und darauf müssen wir uns auch einrichten.
Birke: Die Ökosteuer, sagten Sie, produziert in erster Linie dem Staat zusätzliche Einnahmen . . .
Bareis: . . . mit diesem Steuererhöhungsprogramm, ja.
Birke: Herr Eichel hat nun aber auch Wert drauf gelegt auf die doppelte Funktion; einmal diese Lenkungswirkung - wird ja, anders als von Ihnen, nicht so sehr in Frage gestellt. Die andere Funktion ist ja die beschäftigungsfördernde, Herr Professor Bareis. Wie hoch schätzen Sie eigentlich den Beschäftigungsförderungseffekt einer Senkung dieser Rentenbeiträge ein?
Bareis: Das kann ich nicht quantifizieren. Mir liegen auch keine Zahlen vor, was die Forschungsinstitute da angenommen haben. Ich bin natürlich ziemlich sicher, dass es Beschäftigungswirkungen hat, wenn die Lohnkosten, oder zumindest die Zusatzkosten etwas vermindert werden. Aber wenn wir dieser Frage ernsthaft etwas weiter nachgehen, müssen wir natürlich auch fragen, ob es nicht andere bessere Verwendungsmöglichkeiten für dieses Geld gibt. Und auch diese Frage wird in der öffentlichen Diskussion überhaupt nicht gestellt. Und ich hab vorhin schon versucht zu erläutern, dass wir große Probleme bei der gesetzlichen Rentenversicherung haben, die wir als Probleme der Rentenversicherung angehen müssen und bei denen wir den einzelnen Beitragszahlern reinen Wein einschenken müssen, was denn dieses System leisten kann. Wir müssen den Weg, den schwierigen, der Bevölkerung ganz schwer klarzumachenden Weg beschreiten, dass wir sagen müssen: Der einzelne muss dafür vorsorgen. Insofern ist der Grundgedanke einer privaten Vorsorge unbedingt notwendig, einer kapitalgedeckten Vorsorge über Rentenfonds, über Pensionsfonds oder über andere Dinge.
Birke: Auch die steuerliche Förderung derselben?
Bareis: Ach, die steuerliche Förderung ist problematisch. Die steuerliche Förderung ist deshalb problematisch, weil wir kein Kriterium haben, mit dessen Hilfe es uns gelingt, normales Sparen von Altersvorsorge abzugrenzen. Wenn Sie sich's genau überlegen: Wenn ich heute nicht konsumiere und mir ein Sparbuch anlege, kann das für mein Alter gedacht sein, es kann aber auch im nächsten Jahr wieder verzehrt werden. Und wenn ich anfange, hier zu diskriminieren und zu sagen: Bestimmte Formen gelten als Altersvorsorge, dann komme ich in einen Bereich hinein, wo der Staat - und das ist ja das, was ich bei Riesters Konzept entsetzlich finde -, wo der Staat uns dann über zwei oder drei DIN A 4 - Seiten genau aufschreibt, was er glaubt, was Altersvorsorge sei und was er als begünstigungsfähig betrachtet. Nehmen Sie die Diskussion um's Häus'le, was ja in Baden-Württemberg eine besondere Rolle spielt. Ist das jetzt Altersvorsorge oder ist es keine Altersvorsorge, soll sie gefördert werden, soll sie nicht gefördert werden? Sie wurde bisher schon gefördert, sie muss vielleicht nicht zusätzlich gefördert werden in diesem Bereich. Nur - die Abgrenzungsschwierigkeiten sind immens, und man könnte sagen: Eigentlich müsste jede Form der Ersparnis dann geringer besteuert werden.
Birke: War es denn sinnvoll, Herr Professor Bareis, überhaupt mit dem Konzept der Rentenreform - vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zur nachgelagerten Rentenbesteuerung - herauszukommen?
Bareis: Sie unterstellen, dass das Bundesverfassungsgericht die nachgelagerte Besteuerung verlangt. Ich vermute, dass die Unterstellung richtig ist. Ja, natürlich hätte er es machen können, wenn vorher die Steuer umgestellt wurde auf die nachgelagerte Besteuerung. Da kann ich die Kommission, die ich geleitet habe, erwähnen, die das mit vorgeschlagen hat. Aber wir waren nicht die einzigen. Das war der Sachverständigenrat, das war der wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium, das waren viele andere Sachverständige, die eines gesagt haben - und da komme ich jetzt nochmal auf die Abgrenzung zwischen Altersversorgung und Sparen zurück -, die eines gesagt haben: Wenn wir eine gesetzliche Rentenversicherung haben, dann hat die aus heutiger Sicht, aus der Sicht der heutigen Beitragszahler Steuercharakter, denn ich weiß wirklich nicht, was ich in 20, 30, 40 Jahren da raus erhalten könnte. Sie wird mir zwangsweise weggenommen und ich kann heute über dieses Geld nicht verfügen. Daraus lässt sich begründen, dass ich sage: Es ist eigentlich heute gar nicht mein Einkommen. Ich weiß auch nicht, ob ich es irgendwann erleben werde, dass ich davon etwas habe. Das ist eine Zwangsabgabe. Das heißt: Ich verfüge heute nicht über dieses Einkommen, das heißt, dieses Einkommen darf der Staat heute bei mir nicht besteuern, denn ich verfüge darüber überhaupt nicht. Ich verfüge im Alter drüber, wenn ich es bekomme. Und dann darf der Staat zugreifen, dann muss er zugreifen, wenn er steuerlich gerecht sein will. Das heißt, er muss heute die Beiträge vollständig freistellen und muss aber bei der Rente im Alter natürlich die normale Besteuerung einsetzen lassen. Das ist das Konzept, das wir notgedrungen haben, weil wir ein Umlagesystem haben. Das ist ein für mich entscheidender Grund dafür, zu sagen: Es muss bei dieser gesetzlichen Rentenversicherung und bei vergleichbaren Altersvorsorgemaßnahmen - also, wenn man's ganz exakt machen will, nur bei einer Rentenversicherung, auch bei einer privaten Rentenversicherung, wenn ich die wähle und dabei nicht mir ein Kapital auszahlen lassen kann, sondern eben eine Leibrente, eine Lebenszeitrente mir kaufe, dann könnte man sagen: Privat oder gesetzlich, egal - hierfür gibt's die nachgelagerte Besteuerung. Da hätte man ein Kriterium. Aber ich sehe, dass das politisch schwierig durchzuhalten ist, denn dann kann man sagen: Ja, wenn ich ein Aktienportefeuille habe, ist das doch auch Altersversorgung. Also, natürlich hätte er vorher schon vorhersehen können, was das Bundesverfassungsgericht aus meiner Sicht mit Sicherheit sagen wird und die nachgelagerte Besteuerung einführen. Aber das kostet Geld.
Birke: Herr Professor Bareis, die Kommission, die Ihren Namen trägt, hatte ja Anfang der 90er Jahre die Abschaffung nahezu aller Steuervergünstigungen bei gleichzeitig kräftiger Absenkung der Steuertarife gefordert. Nun hat die SPD/Grüne-Koalition versucht, eine Steuerreform auf den Weg zu bringen. Seit 1. Januar ist sie in Kraft. Sind einige der von Ihnen damals vorgeschlagenen Ziele verwirklicht worden?
Bareis: Ja. Also, ich muss unumwunden sagen, dass ich vor einigen Jahren nicht geglaubt hätte, dass es möglich sei, ein Gesetz zu bekommen, in dem ein Höchststeuersatz bei der Einkommenssteuer von 42 Prozent steht. Das war uneingeschränkt positiv zu sehen. Es ist positiv zu sehen vor allen Dingen deshalb, weil wir in der Vergangenheit leider feststellen mussten, dass die sogenannten Grenzsteuersätze bei der Einkommenssteuer mit wachsendem Volkseinkommen immer stärker gestiegen sind. Grenzeinkommenssteuersätze - das heißt, Steuer auf zusätzlich verdientes Einkommen. Das fördert nicht gerade die Leistungsbereitschaft und hilft vielleicht auch manchem, den Weg in die Schwarzarbeit zu gehen, weil er sich sagt: Das ist mir zu viel. Daher völlig berechtigt: Einhelliges Lob, das ist eine gute Entwicklung.
Birke: Sie hatten damals ja aber auch gerade in der Folge des Bundesverfassungsgerichtsurteils zur Nichtbesteuerung des Existenzminimums ja den Vorschlag gemacht, dass man da möglichst die Steuergrenzen anhebt, das heißt, das Existenzminimum weitgehend steuerfrei lässt . . .
Bareis: . . . nein, vollständig steuerfrei. Das soziale Existenzminimum soll vollständig steuerfrei bleiben.
Birke: Ist das mit der jetzigen Steuerreform erreicht?
Bareis: Ja, aus meiner Sicht ja. Also, etwa die Beträge, die ein Sozialhilfeempfänger oder eine Sozialhilfeempfängerin bekommt, sind steuerfrei, ja.
Birke: Jetzt verspricht man sich ja von der Steuerreform auch Konjunkturimpulse. Es wird davon ausgegangen, dass die 40 bis 45 Milliarden Entlastung - für die Wirtschaft und für die Privatpersonen - den privaten Konsum um 4 ½ Prozent und die Investitionen um 4 Prozent in diesem Jahr ankurbelt. Teilen Sie diese optimistische Einschätzung?
Bareis: Dazu müsste ich eigene Forschungen angestellt haben, was nur die Forschungsinstitute machen können. Aber dass von derartigen Steuersatzsenkungen Impulse für die Konjunktur ausgehen, das steht für jeden außer Zweifel.
Birke: Sie haben eben die Steuerreform der Bundesregierung weitgehend gelobt. Wie steht es mit der Unternehmensbesteuerung? Ist auch da das Konzept der massiven Senkung der Körperschaftssteuer ein gelungenes Konzept?
Bareis: Ich habe nur diesen Teil gelobt, damit wir uns da recht verstehen. Ich habe noch nicht über den anderen Teil gesprochen, nämlich über die merkwürdige Scheu dieser Regierung oder dieser Regierungsmehrheit, Ausnahmen zum Beispiel im Arbeitnehmersektor zu beseitigen. Wir haben da eine Hülle und Fülle von Steuersubventionen, und es ist auch merkwürdig still geworden um Steuersubventionen, die wir schon bei der vorherigen Regierung angeprangert haben, wo die damalige Opposition kräftig mitgesprochen hat. Aber selber beseitigt hat sie es nicht. Also, Sie sprachen vorhin davon: Wir hatten verlangt, dass eine weitgehende Bereinigung der Bemessungsgrundlagen, Verbesserung der Bemessungsgrundlagen stattfinden müsste. Das ist in der Form, wie es notwendig wäre, nicht geschehen. Es ist schlimmer geworden. Es hat ein Denken eingesetzt bei der Einkommenssteuer - ein Kästchendenken eingesetzt, das noch auf den vorherigen Finanzminister zurückgeht: Es gibt eine Mindestbesteuerung, die also darauf hinausläuft, dass eine Person ein Einkommen von Null insgesamt haben kann in einem Jahr, und trotzdem 200.000 Mark zum Beispiel versteuern muss., weil der Staat sagt: Gewinne will ich bei Dir sofort besteuern, aber Verluste die schieben wir in die Zukunft - und ähnliche Dinge. Die fördern bestimmt nicht das Wirtschaftswachstum, sondern die sind eher hemmend. Und in der Richtung gäbe es noch sehr, sehr viel zu tun im Einkommenssteuergesetz. Was die sogenannte Unternehmenssteuerreform anlangt, fällt mein Urteil eindeutig aus: Die ist nicht zu rechtfertigen.
Birke: Weshalb?
Bareis: Da gibt's viele Gründe. Der erste Grund ist der, dass ohne Not ein bewährtes und dem jetzigen Wirtschaftsstand völlig angemessenes Körperschaftssteuersystem ohne Not, ohne richtige Begründung einfach über Bord geworfen wurde. Und jetzt haben wir eine definitive Belastung, niedrig, 25 Prozent. Dazu kommt die Gewerbesteuerbelastung, also sind wir im Durchschnitt bei zwischen 37 und 40 Prozent definitiver Belastung der Körperschaft. Das ist niedriger als die 42 Prozent, die wir bei der Einkommenssteuer haben im Grenzfall. Das heißt: Alle Unternehmer müssen sich überlegen, ob es sinnvoll ist, jetzt in der Personengesellschaft zu bleiben, in die Kapitalgesellschaft zu gehen und zu überlegen, wie sich ihre Gewinne entwickeln und, und, und. Da wird unglaublich viel Gehirn dafür verwendet, um da die bestmögliche Lösung zu finden. Die Steuerberater verdienen dabei, die Wirtschaftsprüfer verdienen dabei, ich kann Vorträge halten und verdiene dabei. Aber ökonomisch ist das sinnlos.
Bareis: Hier muss ich dem Bundeskanzler recht geben, wobei mir nicht ganz klar ist, ob es sich nicht um politisches Marketing handelt bei dieser Diskussion. Aber inhaltlich halte ich die ökologische Steuerreform für höchst fragwürdig. Was uns hier beschert wird, hat wenig mit Ökologie und viel mit Steuermehreinnahmen für den Staat zu tun.
Birke: Das heißt, Sie teilen also die Meinung auch der Unionsvorsitzenden Angela Merkel, die behauptet, die Ökosteuer sei zum einen familienfeindlich und entfalte zum anderen auch keine wirklich wirkungsvolle ökologische Lenkungswirkung?
Bareis: Also, ich will nicht parteipolitisch Stellung nehmen, sondern ich will versuchen, auf die Ziele einzugehen, die mit der Ökosteuer verbunden sind, und dann zu fragen, ob dieses das richtige Mittel ist, um diese Ziele zu erreichen. Vielleicht sollten wir es etwas genereller anpacken. Es ist keine Frage, dass wir Umweltziele verfolgen müssen, dass wir also die globale Erderwärmung stoppen müssen, dass wir die Treibgase vermindern müssen. Dazu hat sich die Bundesrepublik ja auch verpflichtet. Über dieses Ziel sollten wir nicht diskutieren, darüber besteht Konsens. Es geht darum, was dafür das geeignete Mittel ist. Und jetzt gibt es bei solchen Fragen mindestens vier Mittel, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Ein Mittel ist die Administration, das heißt, Gebote und Verbote. Wir können durch administrative Maßnahmen eingreifen - der Staat kann eingreifen. Es gibt Verhandlungslösungen als Möglichkeit. Es gibt Steuerlösung, die sogenannte Pigou-Steuer, die von einem Ökonomen in den 20-er Jahren vorgeschlagen wurde. Aber es gibt auch die Möglichkeit sogenannter Zertifikatslösungen. Und jetzt könnten wir vielleicht uns einigen, dass Gebote, Verbote und Verhandlungen zwischen den Beteiligten vielleicht nicht sehr wirksam sind, dass also die beiden andern Instrumente zur Verfügung stehen. Was mich an der ganzen Diskussion stört, ist, dass dieses zweite Mittel, nämlich Zertifikate, fast nicht auftauchen in der Diskussion. Wenn man es überspitzt formuliert, glauben wir offenbar, dass wir alles mit Steuern steuern könnten. Und das ist für mich ein Fehlurteil.
Birke: Wie könnte denn eine Lösung mit Emissionszertifikaten aussehen?
Bareis: Es gibt also diese beiden Möglichkeiten, die ernsthaft zu erwägen sind. Die eine Möglichkeit, die jetzt propagiert wurde - jetzt eingeführt wurde -, besteht darin, dass letztlich der Staat feststellen muss, obwohl er das nicht kann, was der richtige Preis für die Umweltverschmutzung ist. Über die Steuererhöhung setzt er ja indirekt einen höheren Preis fest. Niemand weiß, was der richtige Preis für das Benzin ist, um die Umwelt zu schützen. Er geht also über Preissteuerung an die Sache heran und hat keine Informationen darüber, wie das sich tatsächlich auswirkt. Im anderen Fall - bei den Zertifikatslösungen - geht es darum, dass wir versuchen können, direkt die Menge an Treibhausgasen oder an schädlichen Emissionen - allgemeiner gesprochen - die Menge zu bestimmen und dann zu versuchen, Instrumente zu entwickeln, die es uns erlauben, den Preis über den Markt festzustellen. Das heißt, der Staat sagt mir zum Beispiel, wenn ich eine Heizung habe: ‚Du hast bisher so und soviel Mengen an umweltschädlichen Gasen in die Luft gepustet; das will ich jetzt mal billigen, aber nächstes Jahr darfst Du höchstens 10 Prozent weniger noch weiter pusten, und, und, und - wenn Du statt 90 Prozent weiter mit Deinen 100 Prozent arbeiten möchtest, musst Du Dir auf dem Markt Verschmutzungsrechte zukaufen'. Dann sagt uns der Markt, was der Preis zur Vermeidung von Umweltschäden ist, und das ist für einen Ökonomen das eher geeignete Mittel, um solche Dinge vom Staat her in den Griff zu bekommen, und auch von den Bürgern her eine vernünftige Lösung zu finden.
Birke: Könnte man denn eine solche Lösung zu dem Zeitpunkt, um den sich jetzt auch die Ökosteuerdiskussion dreht, nämlich 2003, danach sofort umsetzen?
Bareis: Die kann man sicher nicht sofort umsetzen. Nur: Sie sollten daran denken, dass das Klimaproblem, um das es ja hauptsächlich geht - also CO 2 - Emissionen, Kohlendioxyd -, dass das global angegangen wurde in der Konferenz von Kyoto, und dass sich die Bundesrepublik unter anderem verpflichtet hat - ich glaube, bis 2012 -, ihren Ausstoß um 25 Prozent zu ermäßigen. Die Frage ist also: Wo müssen wir ansetzen? Natürlich müssen wir ansetzen an der Verschmutzung. Also müssen wir irgendwie feststellen, wieviel denn tatsächlich an Verschmutzung passiert. Also kommen wir um die Messung der Verschmutzung nicht herum. Und jetzt ist die Frage: Wem überlassen wir die Feststellung des Preises dafür? Und da meine ich in der Tat, dass man das mit Zertifikaten besser lösen kann als dadurch, dass ein Beamter am grünen Tisch bestimmt: Wir müssen - was weiß ich - sechs Pfennig pro Jahr die Mineralölsteuer erhöhen oder wir müssen um 0,5 Pfennig pro Jahr eine Stromsteuer einführen und die Stromsteuer um 0,5 Pfennig pro Jahr bis 2003 erhöhen. Der weiß das nicht, dass das das Richtige ist. Und jetzt kommt etwas polit-ökonomisches dazu: Der Staat schafft sich durch eine Steuer zusätzliche Einnahmen. Und es wird ja behauptet, dass diese Ökosteuer benötigt wird, um eine sogenannte ‚doppelte Dividende' zu erreichen, das heißt, man könnte damit außerdem noch weiter Gutes tun, indem man die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung auf ein bestimmtes Niveau senken kann, also die Einnahmen des Staates aus der Ökosteuer dafür verwendet.
Birke: Man will also zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen . . .
Bareis: . . . man will zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, wird behauptet. Jetzt ist es so: Wenn man an die Beiträge zur Rentenversicherung denkt, dann muss man natürlich fragen, warum die Beiträge steigen. Da muss man den Ursachen nachgehen, warum diese Beiträge steigen. Und diese Ursachen haben bestimmt nichts mit der Umweltproblematik zu tun. Und die Ursachen beseitigt man nicht dadurch, dass man das Problembewusstsein durch Einnahmen aus der Ökosteuer beiseite schiebt oder überhaupt kein Problembewusstsein entstehen lässt. Ich will es etwas drastisch ausdrücken: Wenn ich älter werde, dann ist es für mich in der Regel etwas Positives. Da muss ich dafür bezahlen. Und so sollen andere dafür bezahlen - ich glaube es wenigstens -, wenn die Ökosteuer dann für mich verwendet wird. Das ist nicht die richtige Maßnahme, um demjenigen, der für sein Alter vorsorgen soll, Eigenverantwortung zu überlassen. Das ist ein fürsorglicher und bevormundender Staat, der glaubt, besser zu wissen als die einzelnen, was sie tun müssen.
Birke: War in diesem Sinne auch fürsorglich einfach jetzt die Reaktion der Bundesregierung auf die erhöhten Spritpreise, nämlich die Entfernungspauschale - und dann noch gestaffelt nach Kurzstrecke und Mittelstrecke - einzuführen?
Bareis: Na, das hat nun mit Umweltschutz überhaupt nichts zu tun. Wenn die ehemalige Einkommenssteuerkommission im Jahre 94 vorgeschlagen hat, man solle eine Entfernungspauschale einführen, dann hat man an alles andere gedacht als an das, was jetzt eingeführt worden ist. Ich will es kurz problematisieren: Wir haben bei der Einkommenssteuer das Ziel, das erwirtschaftete Einkommen einer Person mit zunehmender Höhe höher zu besteuern, progressiv zu besteuern. Also wer ein höheres Einkommen als ein anderer hat, zahlt auch einen höheren Steuersatz. Wenn wir jetzt sagen, er darf auch Privatausgaben von der Steuer abziehen, dann haben wir einen ersten Systemwiderspruch, denn dann sagen wir, dass derjenige, der Privatausgaben von der Bemessungsgrundlage der Steuer abziehen darf, dass derjenige, der ein hohes Einkommen hat, einen hohen Effekt davon hat, während derjenige, der ein niedriges Einkommen hat oder gar keines hat, natürlich davon überhaupt nicht profitiert. Wir hatten damals gesagt: Man soll jedem das geben, was er gerade aufbringen muss, wenn er den öffentlichen Personennahverkehr benutzt, also maximal 20 Pfennige vielleicht für den Entfernungskilometer. Und wer mit dem Auto fährt, der tut's auf eigene Kosten und nicht auf Kosten der Allgemeinheit. Wer mit dem öffentlichen Personennahverkehr fährt, der hat eine entsprechende Steuerentlastung, die reicht aus.
Birke: Und diese Möglichkeit halten Sie angesichts hoher Spritpreise und angesichts der Ökosteuer immer noch für realisierbar?
Bareis: Ja, ich halte die nicht nur für realisierbar, sondern ich halte es für dringend notwendig, dass es so realisiert wird, und nicht, dass man eine Prämie jetzt dafür gibt letztlich, dass jemand auf's Land zieht und nicht die hohen Mieten in der Stadt in Kauf nimmt, dass es eine Prämie dafür gibt, dass wir zersiedeln und anderes mehr und dass wir mit dem Auto fahren, oder dass, wenn wir mit dem öffentlichen Personennahverkehr fahren, wir noch eine Zusatzprämie bekommen, die niemand eigentlich begründen kann, die mit zunehmendem Einkommen zusätzlich wächst. Das kann nicht richtig sein.
Birke: Das heißt, die Entfernungspauschale höhlt Ihrer Meinung nach die Lenkungsfunktion der Ökosteuer aus . . .
Bareis: . . . exakt . . .
Birke: . . . es wird nicht umweltschützend gehandelt?
Bareis: Exakt, diese. Die andere Pauschale, wenn ich sage, 20 Pfennig für den öffentlichen Personennahverkehr, wäre der Kompromiss, der uns vorschwebt. Die Amerikaner sagen: Die Arbeit beginnt am Fabriktor. Schluss.
Birke: Herr Professor Bareis, nochmal zurück zur Wirkung der Ökosteuer. Halten Sie sie in ihrer jetzigen Ausgestaltung - Anhebung nach 2003 mal dahingestellt - für geeignet, unser Klimaziel - 25 Prozent Emissionsreduktion - zu erreichen?
Bareis: Dazu habe ich noch nicht genug Zahlen. Also, ich kenne die konkreten Zahlen, die Wirkungen, die Wirkungsanalyse bisher noch nicht. Vielleicht sollte man die ganze Sache aber doch etwas relativieren. Die 25 Prozent, zu denen wir uns verpflichtet haben, machen - weltweit betrachtet - ein Prozent des Gesamtaufkommens aus. Also die Frage, inwieweit wir da wirklich dazu beitragen können, ist noch ein anderes Thema. Aber jetzt zur konkreten Ausgestaltung; vielleicht sollten wir zurückgehen. Die Mineralölsteuer wurde eingeführt, um die heimische Steinkohle zu schützen. Ich habe bisher nichts von der ‚Kohlesteuer' gehört; aber wenn ich naturwissenschaftlich einigermaßen ausreichend informiert bin, ist auch das Verfeuern von Kohle nicht gerade klimafreundlich, so dass also die erste Frage auftaucht: Wie steht's damit? Wir subventionieren den Steinkohlebergbau immer noch. Die zweite Frage: Wenn ich eine Steuer festsetze für Heizöl oder Mineralöl generell oder für Benzin oder Dieselkraftstoff, dann knüpft das ja nicht direkt an den Emissionsmengen an. Also man muss fragen, ob tatsächlich die Emissionsmenge, unabhängig vom Kraftfahrzeugtyp, unabhängig von den Schutzmaßnahmen, die ich in meinem Auto habe, ob da der Liter Benzin exakt dieselbe Schadstoffmenge rausbringt wie im anderen Auto und ähnliches. Und genau darauf käme es doch an. Und jetzt kommt was ganz anderes. Sie wissen ja, dass das produzierende Gewerbe von dieser sogenannten Ökosteuer nur zu einem Fünftel betroffen ist. Ja, aber wenn denn tatsächlich dieses Ökoziel im Vordergrund steht, dann muss ich doch gerade diese Umweltverschmutzungen zurückdämmen.
Birke: Das heißt, die Ausnahmen, die mit der Einführung der Ökosteuer gewährt wurden, müssten abgeschafft werden?
Bareis: Aber sicher, natürlich müssten die abgeschafft werden, wenn man dieses Instrument benutzt. Und dann wird man sagen: Das kann man den einzelnen nicht mehr zumuten. Und dann sage ich: Ok, wenn wir das nicht wissen, dann müssen wir versuchen, da die tatsächlichen Kosten zu ermitteln. Aber dann sind wir bei einem anderen Mittel, dann müssen wir über die Mengensteuerung, dann müssen wir über die Zertifikatslösung ernsthafter nachdenken, die übrigens kommen wird, denn da ist seit Kyoto auch in der EU die Diskussion darüber im Gange. Die wird kommen. Und darauf müssen wir uns auch einrichten.
Birke: Die Ökosteuer, sagten Sie, produziert in erster Linie dem Staat zusätzliche Einnahmen . . .
Bareis: . . . mit diesem Steuererhöhungsprogramm, ja.
Birke: Herr Eichel hat nun aber auch Wert drauf gelegt auf die doppelte Funktion; einmal diese Lenkungswirkung - wird ja, anders als von Ihnen, nicht so sehr in Frage gestellt. Die andere Funktion ist ja die beschäftigungsfördernde, Herr Professor Bareis. Wie hoch schätzen Sie eigentlich den Beschäftigungsförderungseffekt einer Senkung dieser Rentenbeiträge ein?
Bareis: Das kann ich nicht quantifizieren. Mir liegen auch keine Zahlen vor, was die Forschungsinstitute da angenommen haben. Ich bin natürlich ziemlich sicher, dass es Beschäftigungswirkungen hat, wenn die Lohnkosten, oder zumindest die Zusatzkosten etwas vermindert werden. Aber wenn wir dieser Frage ernsthaft etwas weiter nachgehen, müssen wir natürlich auch fragen, ob es nicht andere bessere Verwendungsmöglichkeiten für dieses Geld gibt. Und auch diese Frage wird in der öffentlichen Diskussion überhaupt nicht gestellt. Und ich hab vorhin schon versucht zu erläutern, dass wir große Probleme bei der gesetzlichen Rentenversicherung haben, die wir als Probleme der Rentenversicherung angehen müssen und bei denen wir den einzelnen Beitragszahlern reinen Wein einschenken müssen, was denn dieses System leisten kann. Wir müssen den Weg, den schwierigen, der Bevölkerung ganz schwer klarzumachenden Weg beschreiten, dass wir sagen müssen: Der einzelne muss dafür vorsorgen. Insofern ist der Grundgedanke einer privaten Vorsorge unbedingt notwendig, einer kapitalgedeckten Vorsorge über Rentenfonds, über Pensionsfonds oder über andere Dinge.
Birke: Auch die steuerliche Förderung derselben?
Bareis: Ach, die steuerliche Förderung ist problematisch. Die steuerliche Förderung ist deshalb problematisch, weil wir kein Kriterium haben, mit dessen Hilfe es uns gelingt, normales Sparen von Altersvorsorge abzugrenzen. Wenn Sie sich's genau überlegen: Wenn ich heute nicht konsumiere und mir ein Sparbuch anlege, kann das für mein Alter gedacht sein, es kann aber auch im nächsten Jahr wieder verzehrt werden. Und wenn ich anfange, hier zu diskriminieren und zu sagen: Bestimmte Formen gelten als Altersvorsorge, dann komme ich in einen Bereich hinein, wo der Staat - und das ist ja das, was ich bei Riesters Konzept entsetzlich finde -, wo der Staat uns dann über zwei oder drei DIN A 4 - Seiten genau aufschreibt, was er glaubt, was Altersvorsorge sei und was er als begünstigungsfähig betrachtet. Nehmen Sie die Diskussion um's Häus'le, was ja in Baden-Württemberg eine besondere Rolle spielt. Ist das jetzt Altersvorsorge oder ist es keine Altersvorsorge, soll sie gefördert werden, soll sie nicht gefördert werden? Sie wurde bisher schon gefördert, sie muss vielleicht nicht zusätzlich gefördert werden in diesem Bereich. Nur - die Abgrenzungsschwierigkeiten sind immens, und man könnte sagen: Eigentlich müsste jede Form der Ersparnis dann geringer besteuert werden.
Birke: War es denn sinnvoll, Herr Professor Bareis, überhaupt mit dem Konzept der Rentenreform - vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zur nachgelagerten Rentenbesteuerung - herauszukommen?
Bareis: Sie unterstellen, dass das Bundesverfassungsgericht die nachgelagerte Besteuerung verlangt. Ich vermute, dass die Unterstellung richtig ist. Ja, natürlich hätte er es machen können, wenn vorher die Steuer umgestellt wurde auf die nachgelagerte Besteuerung. Da kann ich die Kommission, die ich geleitet habe, erwähnen, die das mit vorgeschlagen hat. Aber wir waren nicht die einzigen. Das war der Sachverständigenrat, das war der wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium, das waren viele andere Sachverständige, die eines gesagt haben - und da komme ich jetzt nochmal auf die Abgrenzung zwischen Altersversorgung und Sparen zurück -, die eines gesagt haben: Wenn wir eine gesetzliche Rentenversicherung haben, dann hat die aus heutiger Sicht, aus der Sicht der heutigen Beitragszahler Steuercharakter, denn ich weiß wirklich nicht, was ich in 20, 30, 40 Jahren da raus erhalten könnte. Sie wird mir zwangsweise weggenommen und ich kann heute über dieses Geld nicht verfügen. Daraus lässt sich begründen, dass ich sage: Es ist eigentlich heute gar nicht mein Einkommen. Ich weiß auch nicht, ob ich es irgendwann erleben werde, dass ich davon etwas habe. Das ist eine Zwangsabgabe. Das heißt: Ich verfüge heute nicht über dieses Einkommen, das heißt, dieses Einkommen darf der Staat heute bei mir nicht besteuern, denn ich verfüge darüber überhaupt nicht. Ich verfüge im Alter drüber, wenn ich es bekomme. Und dann darf der Staat zugreifen, dann muss er zugreifen, wenn er steuerlich gerecht sein will. Das heißt, er muss heute die Beiträge vollständig freistellen und muss aber bei der Rente im Alter natürlich die normale Besteuerung einsetzen lassen. Das ist das Konzept, das wir notgedrungen haben, weil wir ein Umlagesystem haben. Das ist ein für mich entscheidender Grund dafür, zu sagen: Es muss bei dieser gesetzlichen Rentenversicherung und bei vergleichbaren Altersvorsorgemaßnahmen - also, wenn man's ganz exakt machen will, nur bei einer Rentenversicherung, auch bei einer privaten Rentenversicherung, wenn ich die wähle und dabei nicht mir ein Kapital auszahlen lassen kann, sondern eben eine Leibrente, eine Lebenszeitrente mir kaufe, dann könnte man sagen: Privat oder gesetzlich, egal - hierfür gibt's die nachgelagerte Besteuerung. Da hätte man ein Kriterium. Aber ich sehe, dass das politisch schwierig durchzuhalten ist, denn dann kann man sagen: Ja, wenn ich ein Aktienportefeuille habe, ist das doch auch Altersversorgung. Also, natürlich hätte er vorher schon vorhersehen können, was das Bundesverfassungsgericht aus meiner Sicht mit Sicherheit sagen wird und die nachgelagerte Besteuerung einführen. Aber das kostet Geld.
Birke: Herr Professor Bareis, die Kommission, die Ihren Namen trägt, hatte ja Anfang der 90er Jahre die Abschaffung nahezu aller Steuervergünstigungen bei gleichzeitig kräftiger Absenkung der Steuertarife gefordert. Nun hat die SPD/Grüne-Koalition versucht, eine Steuerreform auf den Weg zu bringen. Seit 1. Januar ist sie in Kraft. Sind einige der von Ihnen damals vorgeschlagenen Ziele verwirklicht worden?
Bareis: Ja. Also, ich muss unumwunden sagen, dass ich vor einigen Jahren nicht geglaubt hätte, dass es möglich sei, ein Gesetz zu bekommen, in dem ein Höchststeuersatz bei der Einkommenssteuer von 42 Prozent steht. Das war uneingeschränkt positiv zu sehen. Es ist positiv zu sehen vor allen Dingen deshalb, weil wir in der Vergangenheit leider feststellen mussten, dass die sogenannten Grenzsteuersätze bei der Einkommenssteuer mit wachsendem Volkseinkommen immer stärker gestiegen sind. Grenzeinkommenssteuersätze - das heißt, Steuer auf zusätzlich verdientes Einkommen. Das fördert nicht gerade die Leistungsbereitschaft und hilft vielleicht auch manchem, den Weg in die Schwarzarbeit zu gehen, weil er sich sagt: Das ist mir zu viel. Daher völlig berechtigt: Einhelliges Lob, das ist eine gute Entwicklung.
Birke: Sie hatten damals ja aber auch gerade in der Folge des Bundesverfassungsgerichtsurteils zur Nichtbesteuerung des Existenzminimums ja den Vorschlag gemacht, dass man da möglichst die Steuergrenzen anhebt, das heißt, das Existenzminimum weitgehend steuerfrei lässt . . .
Bareis: . . . nein, vollständig steuerfrei. Das soziale Existenzminimum soll vollständig steuerfrei bleiben.
Birke: Ist das mit der jetzigen Steuerreform erreicht?
Bareis: Ja, aus meiner Sicht ja. Also, etwa die Beträge, die ein Sozialhilfeempfänger oder eine Sozialhilfeempfängerin bekommt, sind steuerfrei, ja.
Birke: Jetzt verspricht man sich ja von der Steuerreform auch Konjunkturimpulse. Es wird davon ausgegangen, dass die 40 bis 45 Milliarden Entlastung - für die Wirtschaft und für die Privatpersonen - den privaten Konsum um 4 ½ Prozent und die Investitionen um 4 Prozent in diesem Jahr ankurbelt. Teilen Sie diese optimistische Einschätzung?
Bareis: Dazu müsste ich eigene Forschungen angestellt haben, was nur die Forschungsinstitute machen können. Aber dass von derartigen Steuersatzsenkungen Impulse für die Konjunktur ausgehen, das steht für jeden außer Zweifel.
Birke: Sie haben eben die Steuerreform der Bundesregierung weitgehend gelobt. Wie steht es mit der Unternehmensbesteuerung? Ist auch da das Konzept der massiven Senkung der Körperschaftssteuer ein gelungenes Konzept?
Bareis: Ich habe nur diesen Teil gelobt, damit wir uns da recht verstehen. Ich habe noch nicht über den anderen Teil gesprochen, nämlich über die merkwürdige Scheu dieser Regierung oder dieser Regierungsmehrheit, Ausnahmen zum Beispiel im Arbeitnehmersektor zu beseitigen. Wir haben da eine Hülle und Fülle von Steuersubventionen, und es ist auch merkwürdig still geworden um Steuersubventionen, die wir schon bei der vorherigen Regierung angeprangert haben, wo die damalige Opposition kräftig mitgesprochen hat. Aber selber beseitigt hat sie es nicht. Also, Sie sprachen vorhin davon: Wir hatten verlangt, dass eine weitgehende Bereinigung der Bemessungsgrundlagen, Verbesserung der Bemessungsgrundlagen stattfinden müsste. Das ist in der Form, wie es notwendig wäre, nicht geschehen. Es ist schlimmer geworden. Es hat ein Denken eingesetzt bei der Einkommenssteuer - ein Kästchendenken eingesetzt, das noch auf den vorherigen Finanzminister zurückgeht: Es gibt eine Mindestbesteuerung, die also darauf hinausläuft, dass eine Person ein Einkommen von Null insgesamt haben kann in einem Jahr, und trotzdem 200.000 Mark zum Beispiel versteuern muss., weil der Staat sagt: Gewinne will ich bei Dir sofort besteuern, aber Verluste die schieben wir in die Zukunft - und ähnliche Dinge. Die fördern bestimmt nicht das Wirtschaftswachstum, sondern die sind eher hemmend. Und in der Richtung gäbe es noch sehr, sehr viel zu tun im Einkommenssteuergesetz. Was die sogenannte Unternehmenssteuerreform anlangt, fällt mein Urteil eindeutig aus: Die ist nicht zu rechtfertigen.
Birke: Weshalb?
Bareis: Da gibt's viele Gründe. Der erste Grund ist der, dass ohne Not ein bewährtes und dem jetzigen Wirtschaftsstand völlig angemessenes Körperschaftssteuersystem ohne Not, ohne richtige Begründung einfach über Bord geworfen wurde. Und jetzt haben wir eine definitive Belastung, niedrig, 25 Prozent. Dazu kommt die Gewerbesteuerbelastung, also sind wir im Durchschnitt bei zwischen 37 und 40 Prozent definitiver Belastung der Körperschaft. Das ist niedriger als die 42 Prozent, die wir bei der Einkommenssteuer haben im Grenzfall. Das heißt: Alle Unternehmer müssen sich überlegen, ob es sinnvoll ist, jetzt in der Personengesellschaft zu bleiben, in die Kapitalgesellschaft zu gehen und zu überlegen, wie sich ihre Gewinne entwickeln und, und, und. Da wird unglaublich viel Gehirn dafür verwendet, um da die bestmögliche Lösung zu finden. Die Steuerberater verdienen dabei, die Wirtschaftsprüfer verdienen dabei, ich kann Vorträge halten und verdiene dabei. Aber ökonomisch ist das sinnlos.