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Barley über Kramp-Karrenbauer
"Das ist Frankreich gegenüber eher ein unfreundlicher Akt"

Katarina Barley, Spitzenkandidatin der SPD bei der Europawahl, hat die EU-Reformideen von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron als "fast revolutionär" bezeichnet. Die Antwort darauf von CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauers sei zum Teil sehr brüsk, kritisierte Barley im Dlf.

Katarina Barley im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 11.03.2019
Katarina Barley spricht gestikulierend auf dem Podium der SPD-Delegiertenkonferenz im Willy-Brandt-Haus, hinter ihr ist "#EUROPA" zu lesen.
Bundesjustizministerin Katarina Barley ist Spitzenkandidatin der SPD für die Europawahl im Mai (picture alliance / Jörg Carstensen / dpa)
Jörg Münchenberg: Es war nicht Angela Merkel, die jetzt auf den offenen Aufruf des französischen Präsidenten an Europa geantwortet hatte, sondern die neue CDU-Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer, was wiederum im politischen Berlin aufmerksam registriert worden ist – gibt es doch längst Spekulationen darüber, ob die Saarländerin nicht auch schon bald das Amt der Bundeskanzlerin übernehmen könnte, um ihre Chancen bei den nächsten Wahlen zu erhöhen. Dafür müsste sich aber Kramp-Karrenbauer auch inhaltlich stärker profilieren, was sie jetzt mit der Antwort auf Emmanuel Macron getan hat.
Heute Morgen habe ich ein Interview mit der SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahlen, Katarina Barley, geführt. Wir haben sie am Flughafen erreicht und sie zunächst gefragt, ob Kramp-Karrenbauer die richtigen Antworten auf Macron gegeben hat.
Katarina Barley: Ehrlich gesagt, ich finde es schon mal seltsam, dass eine Parteivorsitzende die Antwort an einen Staatspräsidenten formuliert. Das finde ich der Kleiderordnung erst mal nicht wirklich angemessen.
Zum zweiten hätte ich mir einen mutigen Entwurf gewünscht, etwas, was auf Macron zugeht. Denn wir wissen, dass wir miteinander arbeiten wollen, wenn wir für Europa was erreichen wollen.
"Brauchen Schritt hin zu einem sozialen Europa"
Münchenberg: Was konkret fehlt Ihnen?
Barley: Es ist insgesamt sehr zögerlich. Der Schritt hin zu einem sozialen Europa, den wir dringend brauchen, den lehnt Frau Kramp-Karrenbauer ausdrücklich ab. Macron ist ja nun wirklich kein Sozialdemokrat. Er handelt auch in seinem Land nicht wirklich sozialdemokratisch. Aber er vertritt zum Beispiel einen europäischen Mindestlohn. Das halte ich für eine sehr wichtige und sehr gute Entwicklung. Da hat Frau Kramp-Karrenbauer sehr brüsk drauf reagiert.
Münchenberg: Auf der anderen Seite hat die CDU-Vorsitzende jetzt mehr Eigenverantwortung gefordert. Sie hat sich gegen Zentralismus ausgesprochen, auch gegen eine gemeinschaftliche Haftung. Das würden doch sicherlich viele Deutsche so unterstützen.
Barley: Die Europäische Union baut auf auf dem Prinzip der Subsidiarität, auf dem Prinzip, dass das, was auf niedrigerer Ebene erledigt werden kann, auch auf niedriger Ebene geregelt werden soll. Das ist schon ein Prinzip. Wir müssen da noch stärker darauf achten, dass das auch umgesetzt wird. Soweit kann ich auf jeden Fall mitgehen. Aber insgesamt ist das Ganze gerade gegenüber Frankreich eher fast ein unfreundlicher Akt, weil da zum Teil Maßnahmen angesprochen werden, die nun genau bei den Franzosen explizit auf wenig Gegenliebe stoßen werden.
Münchenberg: Aber Macron schlägt zum Beispiel auch mehr EU-Institutionen vor, zum Beispiel beim Klimaschutz, bei der digitalen Sicherheit. Das heißt eigentlich übersetzt auch mehr Bürokratie. Ist das im Sinne der SPD?
Barley: Das muss nicht unbedingt mehr Bürokratie bedeuten, weil das sind ja Einrichtungen, die er vorschlägt, die miteinander arbeiten sollen. Die sollen ja nun nicht unbedingt – so habe ich es jedenfalls verstanden – dann direkt Bescheide an Unternehmen oder Bürger ausgeben. Sondern es geht darum, dass wir viel besser zusammenarbeiten in Europa. Das brauchen wir dringend. Die Europäische Union ist ja ein organischer Körper, der entwickelt sich immer weiter. Wir sind gekommen von einem reinen Wirtschaftsraum und entwickeln uns jetzt hin zu einer Union, zu einer Gemeinschaft, die auch gemeinsam beispielsweise den Klimaschutz angehen will, aber auch so etwas wie das soziale Europa. Das ist uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten natürlich besonders wichtig.
"Auf einigen Gebieten enger zusammenarbeiten als bisher"
Münchenberg: Das heißt, Sie würden da auch sagen, mehr EU-Institutionen ist ein richtiger Ansatz?
Barley: Das muss nicht unbedingt sein. Nicht um der Institutionen willen. Es geht mir mehr darum, dass wir auf einigen Gebieten viel, viel enger zusammenarbeiten müssen, als wir das bisher tun. Da ist der Klimaschutz auf jeden Fall ein sehr großes Beispiel. Das kann man nicht mehr national angehen; das geht nur über Grenzen hinweg, und da sind wir bisher noch nicht gut genug.
Münchenberg: Frau Barley, Sie haben den europäischen Mindestlohn schon angesprochen. Man muss allerdings auch sagen, da bleibt Macron in seinem Aufruf ja relativ vage. Wie das Ganze umgesetzt werden soll, das sagt er nicht. Denn das bleibt faktisch auch in der Verantwortung der Mitgliedsstaaten. Auch da muss man sagen, es bleibt vieles offen, was Macron in diesem Aufruf angesprochen hat.
Barley: Ich finde das trotzdem fast revolutionär, weil wie gesagt, die Europäische Union ist gegründet worden als Wirtschaftsraum, und alles, was an sozialen Errungenschaften bisher erzielt worden ist – die gibt es ja -, das hatte alles dann direkt was mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit zu tun. Jetzt so etwas wie den europäischen Mindestlohn in den Raum zu stellen als Liberaler – wie gesagt, er ist ja kein Sozialdemokrat -, das finde ich einen riesigen Schritt. Denn das heißt übersetzt, wir wollen uns nicht nur um Wirtschaftsverkehr kümmern, nicht nur um Unternehmen, nicht nur um Banken, sondern wirklich auch um die Menschen vor Ort. Das ist in diesen Zeiten unglaublich wichtig, wo so viele Menschen das Gefühl haben, die Europäische Union kümmert sich um alles, nur nicht um sie selbst, um die Menschen vor Ort.
Münchenberg: Gehören aber zu diesem gemeinsamen Europa nicht auch gemeinsame Rüstungsprojekte? Das ist ein sehr konkretes Projekt, bei dem die SPD ja eher im Bremserhäuschen sitzt.
Barley: Das ist so nicht richtig. Es gibt ja schon gemeinsame Beschaffungsprojekte. Einige Systeme werden jetzt schon grenzüberschreitend gebaut, hergestellt, und das soll noch weiter ausgeweitet werden. Das unterstützt die SPD nachdrücklich.
"Bei der Beschaffung noch deutlich weitergehen"
Münchenberg: Bei den Waffenexporten nach Saudi-Arabien, da blockiert die SPD, und das hat erhebliche Auswirkungen auch auf die europäischen Partner.
Barley: Erst mal: Bei der Beschaffung wollen wir noch deutlich weitergehen. Wir wollen, dass wir wegkommen von diesen, manchmal sind es 20 unterschiedlichen Systemen innerhalb Europas. Das ist eine völlig unsinnige Ausgabe. Da können wir sehr viel tun.
Was die Waffenexporte nach Saudi-Arabien angeht, da sind wir meines Wissens sogar weltweit die einzige Nation, die gesagt hat, wegen des Jemen-Konflikts und wegen der Ermordung von Herrn Kashoggi setzen wir alle Waffenexporte nach Saudi-Arabien aus. Das ist ein Schritt, der sehr scharf ist, den wir aber gerade in der Sozialdemokratie für richtig halten. Da sind wir teilweise nicht einer Meinung mit unseren europäischen Partnern, das ist schon richtig.
Münchenberg: Ein anderes Stichwort ist die Digitalsteuer. Da hat der SPD-Finanzminister Olaf Scholz nicht mitgemacht, weshalb jetzt Frankreich die Steuer gegen Google, Facebook und Co. alleine eingeführt hat. Auch da steht die SPD eher auf der Bremse.
Barley: Auch das ist nicht richtig. Es gibt einen Entwurf, den Olaf Scholz mit seinem französischen Kollegen gemeinsam erarbeitet hat, der allerdings bei drei Mitgliedsstaaten keine Mehrheit findet. Bei Steuerfragen gibt es in der Europäischen Union immer noch das Einstimmigkeitsprinzip und man braucht alle Länder an Bord. Beispielsweise Irland ist nicht dabei.
Münchenberg: Aber Deutschland hätte auch mit Frankreich gemeinsam eine Digitalsteuer einführen können.
Barley: Der Weg, den wir gehen, der geht über die OECD, also weltweit die Einführung einer Mindestbesteuerung für Unternehmen. Das ist schon sehr konkret, weil es einen Beschluss gibt, dass bis zum Sommer 2020 dafür eine Vorlage erstellt werden muss und vorgelegt werden muss. Dass alle Unternehmen, darunter dann vor allen Dingen auch die großen Digitalkonzerne eine Mindestbesteuerung auferlegt bekommen, das wäre noch mal ein viel weitergehender Schritt und auch viel gerechter noch als nur eine isolierte Digitalsteuer.
"Auf einen Regierungschef sollte eine Regierungschefin offiziell antworten"
Münchenberg: Frau Barley, Sie haben vorhin kritisiert, dass jetzt die CDU-Vorsitzende auf Macron geantwortet hat, nicht die Bundeskanzlerin. Auf der anderen Seite muss man auch sagen, es gab keine offizielle Antwort der SPD auf Macrons Initiative. Auch der Außenminister hat nur gesagt, Macron habe sehr wertvolle Impulse geliefert. Das klingt ja auch eher ziemlich oberlehrerhaft.
Barley: Auf einen Regierungschef sollte eine Regierungschefin offiziell antworten. Wir haben auf der Ministerinnen- und Ministerebene sehr gute Kontakte mit Frankreich. Ich kann das für den Justizbereich ausdrücklich sagen. Meine Kollegin Nicole Belloubet und ich haben viele bilaterale und auch im größeren Rahmen Treffen schon gehabt. Wir haben sogar zusammen einen gemeinsamen europäischen Bürgerdialog mit Bürgerinnen und Bürgern im Palais de Justice in Paris gemacht. Das Verhältnis zwischen uns ist sehr, sehr gut und wir machen auch sehr, sehr viel gemeinsam.
Münchenberg: Aber wird da die Verantwortung nicht ein bisschen abgeschoben auf die Bundeskanzlerin? Wir haben schließlich jetzt Europawahlkampf. Da würde es doch auch der SPD gut zu Gesicht stehen, wenn zum Beispiel der Außenminister klar Position bezieht.
Barley: Es gibt eine klare Aufgabenverteilung, was offizielle Reaktionen betrifft. Inoffizielle Reaktionen hat es in der SPD einige gegeben, aber die offiziellen Reaktionen, da gibt es schon eine Kleiderordnung in der Bundesregierung. Da sind die Minister nicht das gleiche wie eine Kanzlerin, und das hat auch seine Richtigkeit so.
Münchenberg: Stichwort Kleiderordnung. Dass Kramp-Karrenbauer hier Position bezogen hat, ist das ein Profilierungsversuch der CDU-Vorsitzenden auch im Hinblick auf eine mögliche Übernahme des Bundeskanzleramts?
Barley: Das müssen Sie sie fragen. Das kann ich nicht beantworten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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