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Baseball in Fukushima
Die Jugend trifft sich im Schatten der Atomruine

In knapp einem Jahr beginnen in Japan die Olympischen Spiele 2020 - dann blickt die Welt auch auf Fukushima, wo es 2011 nach einem Erdbeben und ein Tsunami zur Nuklearkatastrophe kam. In der Präfektur sollen sechs Olympischen Baseballspiele stattfinden. Doch zuvor zeigte der Nachwuchs hier sein Können.

Von Felix Lill |
Nachwuchs-Bassballer zeigen ihrer Urkunden bei der „World Children’s Baseball Fair“ in Fukushima
Der Tsunami und die Folgen sind für die Nachwuchs-Baseballer kein Thema (Deutschlandradio / Felix Lill)
Die Welt ist dieser Tage zu Gast in Fukushima. Oder zumindest die Welt des Nachwuchs-Baseballs. Kinder aus 14 Ländern sind in den krisengeschüttelten Nordosten Japans gereist, um sich in der "World Children’s Baseball Fair" zu messen. Das seit 1990 jährlich steigende internationale Turnier hat schon in den USA, Kanada, Puerto Rico und Taiwan stattgefunden. Das japanische Fukushima ist zum ersten Mal Veranstalter.
Und das ist kein Zufall. Auf die Rolle des Gastgebers will man sich hier schon mal vorbereiten. Schließlich werden hier in weniger als einem Jahr, wenn Japans Hauptstadt Tokio die Olympischen Spiele 2020 veranstaltet, sechs olympische Baseballmatches stattfinden: im von Tokio 250 Kilometer nördlich gelegenen Fukushima-City, der Hauptstadt der gleichnamigen Präfektur.
Am Samstagvormittag treffen unter praller Sonne zwei Mannschaften aus Taiwan und Japan aufeinander. Am Rande des Spielfelds steht Sadaharu Oh, Schirmherr des Turniers und japanische Baseballlegende. Der heute 79-Jährige, der seit Jahrzehnten den Weltrekord für die meisten Homeruns in einer Karriere hält, verfolgt das Spiel und macht sich Gedanken über die Region.
"Baseball ist ein toller Sport für Kinder. Man trainiert nicht nur seinen Körper, sondern auch den Kopf. Und es ist ein Sport für alle, für kleine und große, dünne und kräftige Körper. Und in Japan hat Baseball ja große Tradition. Daher ist er ein gutes Mittel, um Leute von außen anzuziehen, damit sie Fukushima kennenlernen. Das Image ist im Moment ja nicht das Beste. Aber die Kinder, die herkommen, sollen Spaß haben, das Essen genießen, merken, dass es hier sicher ist und zuhause davon erzählen. Das ist wichtig für die Erholung der Gegend hier."
Jugendturnier - 90 Kilometer von der Atomruine entfernt
In diesem Rahmen hat die Metropolregierung Tokios auch Journalisten nach Fukushima eingeladen, um über die Erholung seit dem großen Unglück zu informieren. Gut neun Jahre werden bei der Eröffnungsfeier der Spiele vergangen sein, seit Japan hier die schwerste Katastrophe seiner jüngeren Geschichte erlebte.
Am 11. März 2011 folgten auf ein Erdbeben der Stärke 9 mehr als 20 Meter hohe Tsunamiwellen. Ganze Küstenstriche wurden vom Meer geschluckt, fast 20.000 Menschen starben. Zu allem Überfluss kam es im Atomkraftwerk Fukushima Daiichi zu drei Kernschmelzen. In Fukushima und zwei benachbarten Präfekturen hatten am Ende der Katastrophentage 300.000 Menschen ihr Zuhause verloren.
Aber irgendwie ermunternd an diesem Jugendturnier, 90 Kilometer von der Atomruine entfernt, ist die Unbedarftheit der Kinder. Was in dieser Region zu Anfang des Jahrzehnts geschah, davon wissen sie wenig bis gar nichts.
"Ja, ich hatte davon gehört und hatte ein bisschen Angst. Aber ich freue mich, dass ich her reisen konnte. Und ich will wiederkommen", sagt der elfjährige Tseng Yi-yu aus Taiwan. "Meine Eltern haben mir ein bisschen davon erzählt. Aber ich erinnere mich nicht mehr", sagt Shuhei Abe, zehn Jahre, der aus Fukushima-City kommt. Und die elfjährige Amy aus den Niederlanden antwortet auf die Frage, ob sie über die Katastrophe Bescheid weiß: "Nein, nicht sehr viel."
Man muss jung genug sein, um beim Namen Fukushima eben nicht an die Reaktorkatastrophe zu denken. Und genau deshalb ist der Nachwuchs hier so bedeutend. Mit ihm kommt ein willkommener frischer Wind. Schließlich hat Premierminister Shinzo Abe versprochen, die Spiele von Tokyo 2020 werden die "Spiele des Wiederaufbaus." Es geht um den Blick nach vorn.
Präfekturregierung: Strahlung etwa so hoch wie in London
Am selben Wochenende in der Nähe hält Hiroshi Hanzawa von der Präfekturregierung Fukushima einen Vortrag für Journalisten – Unter dem Titel: "Aktuelle Lage und Wiederaufbau." Präsentiert er vor allem die Fortschritte seit der Katastrophe:
"Seit 2011 hat die Strahlung hier in Fukushima-City stark abgenommen. Sie ist jetzt in etwa so hoch wie in London. Auch in vielen der einst evakuierten Gebiete konnte dekontaminiert werden, deshalb konnten Rücksiedlungen erreicht werden. Nun bleiben nur noch gut 40.000 Menschen evakuiert. Von den beschädigten Bauwerken sind 94 Prozent wieder aufgebaut. Außerdem Japan hat heutzutage die international strengsten Strahlengrenzwerte für Lebensmittel. So hat unsere landwirtschaftliche Produktion fast wieder das Niveau von vor 2011 erreicht. Und unser Image wollen wir weiter verbessern."
Weniger betont wird aber, dass die Atomruine noch immer nicht voll unter Kontrolle gebracht ist. Jahre noch werden vergehen, bis der geschmolzene, radioaktiv strahlende Schutt im Reaktorinneren abtransportiert werden kann.
Und zu den von Hiroshi Hanzawa erwähnten gut 40.000 noch verbleibenden Evakuierten zählen auch nur diejenigen, die wieder zurückkehren zu wollen. Dabei sind es vor allem jüngere Leute, die ihr Glück heute anderswo im Land suchen. Und auch im olympischen Sommer 2020 werden in der Region Fukushima noch ganze Orte evakuiert bleiben. So mag man sich fragen, ob der Titel "Spiele des Wiederaufbaus" nicht etwas zu früh kommt.
Die Jugendlichen wollen wieder kommen
Womit die Offiziellen aber richtig liegen dürften: Eine Erholung der Region führt insbesondere über die Jugend, wo der Sport wiederum eine wichtige Rolle spielen kann. Gusbert Selderyk, Trainer des holländischen Teams, hat nach der Einladung keine Sekunde gezögert, ob seine Truppe anreisen sollte:
"Wir nehmen seit Jahren an diesem Turnier teil. Als es hieß, dieses Jahr geht es nach Fukushima, haben wir uns nur kurz mit den Eltern abgesprochen. Alle waren der Meinung, dass man sich auf die Veranstalter verlassen kann, wenn die sagen, hier ist es sicher, dann ist das auch so."
Für die Kinder jedenfalls eine aufregende Sache. Kurz nach dem Spiel zwischen Japan und Taiwan, das die Gastgeber mit 8:3 gewonnen haben, werden auf dem Feld nebenan schon wieder Wurf- und Schlagübungen durchgeführt. Und die elfjährige Holländerin Amy sagt, sie werde nach Ende des Turniers nächste Woche mit breiter Brust nachhause gehen:
"Es ist total schön hier. Und hier sind so viele Trainer, die uns helfen und sie sind so nett. Ich habe gelernt, dass man zur Base sehen muss, wenn man über sie rennt und ganz viele andere Sachen. Ich will wiederkommen. Die Leute sind auch so nett."
Langer Weg des Wiederaufbaus
Auch wenn die Jugend nicht viel spürt von der Katastrophe, bis zur "Erholung" und zum "Wiederaufbau" ist der Weg noch lang. So sieht auch Schirmherr Sadaharu Oh, der sich ja dafür starkgemacht hat, dass möglichst viele Sportveranstaltungen, auch olympische, nach Fukushima kommen. Am Ziel sei man aber noch nicht:
"Der Tsunami und die ganzen Folgen waren sehr hart. Bis man sich davon erholen kann, wird es lange dauern, 50 bis 100 Jahre vielleicht? Und man wird bis dahin gemeinsam hart dafür arbeiten müssen."

Die Recherchen, die diesem Beitrag zugrunde liegen, wurden teilweise auf einer Pressereise gemacht.