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Batumi in Georgien
Las Vegas am Schwarzen Meer

Bis zur Coronapandemie boomte der Tourismus in Georgien. Auch die Küstenstadt Batumi profitierte, was vor allem am Glücksspielverbot in Russland und den meisten muslimischen Ländern der Region liegt. Doch nicht alle in dem ehemals verschlafenen Kurort finden gut, wie sich ihre Stadt entwickelt.

Von Christoph Kersting | 04.10.2020
Skyline von Batumi im Abendlicht. (Georgien)
Boomtown und Touristenmagnet: Vor einigen Jahren war Batumi noch ein Dorf (imago / Frank Sorge)
Elf Stockwerke ohne Aufzug, darüber kann David Ruebush inzwischen nur noch müde lächeln. Alleine am Vortag sei er insgesamt 100 Etagen zu Fuß rauf und runter gespurtet, meistens einen oder mehrere Kunden aus aller Welt im Schlepptau. Der Rohbau im Zentrum von Batumi ist eins von fünf Immobilien-Projekten, die der gebürtige Texaner aktuell vermarktet in der Schwarzmeer-Metropole. Die Käufer: Russen, Ukrainer, zunehmend aber auch Westeuropäer und Israelis.
Investor David Ruebush, T-Shirt, kurze Hosen, kahl geschorener Schädel, steht jetzt auf dem Dach des Rohbaus und blickt ins Rund: im Westen die Schwarzmeerküste mit dem kilometerlangen Strandboulevard von Batumi, in der anderen Richtung die hügeligen, subtropischen Wälder der autonomen Provinz Adscharien, deren Hauptstadt Batumi ist – und nur 15 Kilometer weiter südlich liegt die türkische Grenzstadt Sarp. Wie viele Hochhäuser es inzwischen in Batumi gebe? Die Frage entlockt dem 48-Jährigen nur ein mildes Grinsen.
Die georgische Schwarzmeer-Region boomt ordentlich
"Als wir 2013 nach Batumi gekommen sind, hatte die Stadt vielleicht 30.000 permanente Bewohner, im Sommer natürlich mehr. Es gab zwei größere Restaurants für Leute wie mich oder für Touristen. Es gab vier höhere Gebäude, alles größere Hotelketten wie Sheraton und Radisson. Schauen Sie sich um: Heute kann man gar nicht zählen, wieviele Hochhäuser hier stehen. Vor drei, vier Jahren habe ich vom Dach eines der Gebäude die Anzahl der Baukräne gezählt: Es waren 42. Heute lebt sicherlich eine Viertelmillion Menschen in Batumi. Die Stadt boomt und hat sich buchstäblich von einem Dorf zu einer Stadt entwickelt, und das alles in nur sechs Jahren."

Die georgische Schwarzmeer-Region boomt jedenfalls ordentlich, aber auch der Rest des Landes: Georgien belegt aktuell Platz 7 im weltweiten "Doing Business"-Ranking der Weltbank – und landet damit weit vor Ländern wie Deutschland, Platz 22, oder China auf Rang 31. Fimengründer, auch aus dem Ausland, müssen lediglich ihren Reisepass in einer der über das ganze Land verteilten "Public Service Halls" vorlegen. Und: Es gibt kaum ein Land, das derart liberale Aufenthaltsbestimmungen hat wie Georgien: Staatsangehörige der meisten Länder können zeitlich unbegrenzt und visafrei im Land bleiben, Iraner 45 Tage lang, und selbst Staatenlose bekommen problemlos ein Visum.
Den Stein ins Rollen gebracht hat Micheil Saakaschwili, von 2004 bis 2013 georgischer Staatspräsident. Er förderte vor allem die Ansiedlung von Casinos in Batumi – ein einträgliches Geschäft, weil Glücksspiel in der Türkei und den meisten anderen muslimischen Ländern der Region, aber auch in Russland, weitestgehend verboten ist. Dann wurden die Strände hergerichtet, der Strandboulevard gebaut – um nicht nur Glücksspieler, sondern auch Badegäste nach Batumi zu locken.
Menschen am Strand von Batumi (Georgien)
Im Sommer genießen Touristen in Batumi den Strandurlaub, im Winter kommen vor allem Glücksspieler in die Schwarzmeerstadt (imago / Frank Sorge)
Glücksspiel ist wichtig für Batumi
Bis heute aber seien die Casinos eine der Säulen für den Tourismus in Batumi, berichtet Mamuka Berdzenishvili. Der Soziologe war bis vor zwei Jahren Chef der städtischen Tourismus-Behörde und leitet heute eine Denkfabrik, die sich für nachhaltigen Tourismus in Georgiens Küstenregion stark macht.
"Das Glücksspiel ist wichtig für Batumi, weil es für eine Auslastung der Hotels auch außerhalb der Sommersaison sorgt. Darum halte ich es zunächst einmal für eine gute Entscheidung der früheren Regierung Saakaschwili Anreize für die Ansiedlung von Casinos zu schaffen. Diese Sonderregelungen gelten ja auch heute noch: Wenn Du ein Hotel mit mehr als 100 Betten in Batumi baust, bekommst Du die Glücksspiel-Lizenz umsonst dazu. Das wird auch künftig neue Hotels in die Stadt bringen. Eine gute Sache, denke ich."
Und auch wer nur ein Casino eröffnet, also ohne Hotel, zahlt moderate 100.000 Euro Konzessionsgebühr pro Jahr – zum Vergleich: In der Hauptstadt Tiflis sind dafür zwei Millionen Euro fällig. Zwölf große und unzählige kleinere Casinos gibt es inzwischen in Batumi, und jedes Jahr kommen neue hinzu. Im Sommer 2018 hat das "Eclipse" im Süden der Stadt eröffnet, und auch schon am frühen Abend ist der riesige Casino-Saal ganz gut besucht. Wieviel hier umgesetzt wird an einem Tag wie heute, wieviel gewonnen und verloren, darüber darf Sofia Karapetyan allerdings nichts sagen. Die junge Frau arbeitet schon seit zehn Jahren in der georgischen Glücksspiel-Branche und ist Marketing-Chefin des "Eclipse"-Casinos.
"Wir stehen hier im Casino, da hinten ist der Wett-Club, oben ein Restaurant und eine Sommer-Terrasse. Wir sind im Moment das größte Casino in ganz Georgien. Die meisten Gäste kommen schon aus der Türkei, die Grenze ist ja nicht weit. Dann haben wir sehr viele Gäste aus Israel. Und aus arabischen Ländern, dem Iran und natürlich auch aus Georgien. Da hinten wird Roulette gespielt, hier weiter vorne Baccara. Das mögen vor allem Gäste aus dem Iran und aus China."
Sofia entschuldigt sich, ein Anruf. Der Casino-Chef will nicht, dass ein Reporter im "Eclipse" mit Mikrofon herumläuft, schon gar nicht, dass Casino-Besucher befragt werden – Diskretion ist hier eines der obersten Gebote. Ich werde höflich aber bestimmt gebeten mein Aufnahmegerät auszuschalten.
Die Urlaubssaison wird immer länger
Draußen, auf dem riesigen Casino-Parkplatz steht eine kleine Gruppe junger Männer mit Zigaretten in der Hand. Birkan Aksu und seine drei Freunde kommen alle aus Samsun, der größten türkischen Stadt am Schwarzen Meer, rund 500 Kilometer westlich von Batumi. Birkan ist Ingenieur und reist beruflich mehrfach im Jahr nach Batumi – und besucht dann eigentlich jedes Mal eines der großen Casinos.
"Es ist bunt und voll da drinnen. Das gefällt mir. Bei uns in der Türkei gibt es das ja nicht, weil es verboten ist. Ich würde sagen, alleine heute Abend sind sicherlich die Hälfte der Besucher hier Türken. Ich spiele vor allem, wenn die Saison vorbei ist. Denn, mal ganz ehrlich: Wenn der Sommer zu Ende ist, kannst Du in Batumi nicht viel anderes machen."
Doch auch die Urlaubssaison wird immer länger in Batumi. Inzwischen beginnt sie im Mai, und auch im September, Oktober ist die Strandpromenade noch gut gefüllt mit Touristen, die vor allem Türkisch und Russisch sprechen. Zwar hat Russland im Juli 2019 wegen politischer Spannungen mit Georgien sämtliche Direktflüge ins kleine Nachbarland eingestellt – doch das hält russische Besucher nicht ab, trotzdem zu kommen. Entweder sie fliegen mit Zwischenstopp zum Beispiel in Istanbul oder Minsk – oder sie machen es wie Sergej und Irina Sokolov. Das Paar kommt aus Archangelsk am Weißen Meer, die 3.200 Kilometer sind die beiden mal eben mit dem eigenen Auto gefahren: drei Tage, zwei Übernachtungen – kein Problem, sagt Sergej. Die beiden sind schon zum dritten Mal in Batumi, sind begeistert davon, wie sich die Stadt entwickelt – und wollen wiederkommen, ungeachtet der aktuellen Probleme zwischen Moskau und Tiflis. Diese offizielle Politik habe mit den Menschen doch nichts zu tun, finden die beiden Russen und loben die Gastfreundschaft der Georgier.
Auf einer Parkbank am Strandboulevard sitzen zwei halb verschleierte Frauen und schauen mit einer Eiswaffel in der Hand dem Treiben zu. Hunderte Menschen flanieren an diesem lauen Herbstabend über die breite Promenade oder sitzen in einem der zahlreichen Strandlokale. Im Westen, über dem Schwarzen Meer, verabschiedet sich langsam und fast unwirklich rotglühend die Sonne.
Glücksspiel, Bade-Tourismus, Gastfreundschaft und gutes Essen
Soheila Masudi und ihre Freundin, beide Mitte 40, kommen aus Bam im Südosten des Iran und sind für eine Woche nach Georgien gereist. Soheila: "Wir waren vier Tage in Tiflis und jetzt hier drei Tage in Batumi. Ich mag die Kultur, die alten orthodoxen Kirchen. Und die Natur: So viel Grün, das gibt es bei uns nicht. Georgien ist für uns relativ nah, von Teheran gerade mal eine Flugstunde. Die Preise sind niedrig, und wir brauchen als Iraner kein Visum, anders als in den meisten anderen Ländern. Die Casinos? Nein, die interessieren uns nicht. Aber viele iranische Männer gehen dahin."
Glücksspiel, Bade-Tourismus, Gastfreundschaft und gutes Essen – all das seien Dinge, mit denen Batumi punkten könne, sagt auch der Texaner David Ruebush. Das viele Investoren-Geld fließt aber seiner Ansicht nach aus anderen Gründen in die Stadt.
"Ich sage immer: Georgien ist da schon ein Glückspilz gewesen in den vergangenen zehn Jahren, weil man quasi von den Problemen seiner Nachbarn profitiert hat. Als Russland und die Ukraine Probleme miteinander bekamen, haben die Leute ihr Geld von dort abgezogen und nach Batumi gebracht. Als die türkische Lira ins Trudeln geriet, dasselbe. Und als der Iran für eine gewisse Zeit offener wurde, kamen auch von dort Investoren. Und: Georgien ist stabil, es gibt keine Korruption, und hier ändert sich nicht gleich alles, wenn eine neue Regierung an die Macht kommt, anders als in den meisten Ländern Osteuropas. All das ist für mich ein Zeichen dafür, dass Georgien inzwischen eine stabile Demokratie ist."
Doch die Entwicklung der vergangenen Jahre gefällt nicht allen in der Stadt. Irma Zoidze zum Beispiel hat vor allem mit dem architektonischen Wildwuchs in Batumi ein Problem. Der so genannte "Alphabetic Tower", ein 130 Meter hohes Stahlgebilde zu Ehren der einzigartigen georgischen Schriftzeichen, oder viele der neumodischen Hotelburgen – all das erinnert die Journalistin eher an Disneyland. Und: Viele Häuser im historischen Zentrum von Batumi seien quasi über Nacht abgerissen worden in den vergangenen Jahren, kritisiert die 47-Jährige. Sie macht sich in einer Bürgerinitiative für den Erhalt der alten Bausubstanz stark und steht an diesem Herbstmorgen in einer der engen Altstadt-Straßen vor einer dreistöckigen Bauruine.
Aktivistin erwartet nichts Gutes für die Zukunft der Stadt
Vor einigen Balkonen hängt Wäsche zum Trocknen, eine ältere Frau steckt neugierig den Kopf zum Fenster hinaus und begrüßt Irma Zoidze – man kennt sich.
"Da unten hat jemand auf die Hauswand gesprüht: Hände weg von unseren Häusern! Und genau darum geht es. An dieser Stelle stand bis vor sechs, sieben Jahren ein altes, typisches Haus aus dem 19. Jahrhundert. Dann kamen die Abrissbagger, es wurde dieses Haus, das jetzt hier steht, gebaut. Aber nicht fertiggestellt - angeblich wollte der Bauherr noch zwei Etagen oben draufsetzen, was ihm nicht erlaubt wurde. Jedenfalls hat er das Projekt dann völlig fallen gelassen. Eigentlich darf da niemand rein, die Treppen haben keine Geländer, der Aufzugschacht ist nicht gesichert. Aber was sollen die Leute machen, die vorher hier gewohnt haben? Viele sind einfach in die Bauruine gezogen und wohnen da seit Jahren, auch Kinder. Solche Häuser gibt es haufenweise in Batumi."
Nur 100 Meter weiter biegt Irma Zoidze durch einen Torbogen auf die "Piazza" ein, einen kleinen Platz, der wohl irgendwie italienisch wirken soll und fast erdrückt wird von den umliegenden Restaurants und Bars.
"Das ist purer Kitsch hier, schrecklich. Aber das eigentlich Schlimme an der Sache ist, dass hier früher eine Grundschule stand. Die hat man abgerissen, es gibt aber kein Ersatzgebäude. Abgerissen und fertig. Kein Problem. Und das ist nicht die einzige Schule, mit der so verfahren wurde."
Und dann das Glücksspiel-Thema: Auf einem zentralen Platz unweit der Altstadt blickt Irma Zoidze um sich und zählt jene sieben, acht Casinos auf, die alleine im Umkreis von 500 Metern stehen.
Die Aktivistin Irma Zoidze jedenfalls erwartet nichts Gutes für die Zukunft der Stadt, in der sie geboren wurde. Eine Art Geisterstadt werde Batumi irgendwann sein, mit leeren Hotelburgen im Winter, fürchtet sie.
Georgien hat für jeden etwas zu bieten
Auch der Investor David Ruebush sieht nicht alles in seiner Wahlheimat Batumi nur durch die rosarote Brille. Ja, es werde aktuell zu viel, vor allem zu viel Gleiches gebaut in der Stadt. Die Immobilien-Blase jedenfalls könnte seiner Einschätzung nach innerhalb der kommenden zwei Jahre platzen. Das sei aber normal, werde den Markt bereinigen und der Stadt neue Entwicklungsfelder eröffnen. Langfristig kann sich David Ruebush sogar vorstellen, dass Batumi mit seinem milden Klima, den niedrigen Preisen und langen Stränden zu einem Domizil für Ruheständler aus Westeuropa werden könnte. Der Amerikaner sieht jedenfalls noch lange kein Ende des Batumi-Booms.
"Die Touristen kommen, und sie werden auch weiterhin in Massen kommen, und zwar, weil Georgien ganz generell für jeden etwas zu bieten hat: für Besucher aus Kasachstan, Japan, Südafrika genauso wie für jemanden aus New York City oder Dänemark. Und das hat man nicht oft, dass ein so kleines Land quasi ein globaler Markt ist, wenn es um Tourismus geht. Und wenn Ihr Markt quasi die Welt ist, dann ist eine Stadt wie Batumi mit 250.000 Einwohnern doch eher klein, wird aber noch kräftig wachsen. Schauen Sie sich an, wie Dubai sich entwickelt hat: von einem Fischerdorf im Wüstensand zu einer Weltmetropole. Auch in Batumi ist da noch viel Luft nach oben."