Dienstag, 23. April 2024

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Bau des Kraftwerks Kaprun vor 80 Jahren
Wahrzeichen für das neue Österreich

Das Elektrizitätswerk Kaprun ist ein eindrucksvolles Beispiel der Ingenieurskunst. Seinen Nimbus bezog es auch aus der besonderen Situation, in der es entstand: in einem verarmten, zum Staatszwerg verkleinerten Österreich, in dem sich die politischen Lager zwischen den Weltkriegen unversöhnlich bekämpft hatten.

Von Beatrix Novy | 16.05.2018
    Die Fuerthermoar Alm, der Wasserfallboden Stausee mit Staumauer.
    Das Kraftwerk Kaprun wurde 1955 fertiggestellt. (imago)
    "Zu Füßen der Limbergsperre, aus dieser Sicht von einer erdrückenden Wucht, die gewölbte Wand ragt höher als das Freiburger Münster, liegt das Krafthaus der Oberstufe. 400 Meter tief stürzen die Wasser ab, auf die Turbinen des oberen Werks."
    Der Reporter Ernst von Khuon ließ sich 1956 vom Anblick des Tauernkraftwerks Kaprun im Salzburger Land hörbar überwältigen. Der weltweit beachtete Bau in großer Höhe war ein Jahr zuvor fertig geworden. Im selben Jahr hatte der Staatsvertrag mit den Alliierten Österreichs Souveränität nach dem Zweiten Weltkrieg wiederhergestellt. Zur Befreiung von den Besatzungsmächten und zum Selbstverständnis eines nach vielen Lagerkämpfen geeinten Österreichs lieferte die imposante Fortschrittsleistung den Mythos. Dass sie nur dem Marshall-Plan zu verdanken war, wurde gleich vergessen.
    Schon nach dem Ersten Weltkrieg, als das Habsburger Reich auf die Alpenrepublik geschrumpft war und die Kohle aus Schlesien und Böhmen schmerzlich fehlte, hieß die Devise: Wasserkraft. Die Gletscherlandschaft über der Gemeinde Kaprun mit ihren stark abfallenden Bergen war besonders vielversprechend, Pläne wurden gemacht und gingen wieder unter im zunehmenden politischen Chaos der Ersten Republik. Bis im März 1938 deutsche Truppen Österreich zur so genannten Ostmark annektierten. Nur zwei Monate später, am 16. Mai 1938, eröffnete Hermann Göring als Hitlers "Beauftragter für den Vierjahresplan" die Baustelle Kaprun: Das Kraftwerk als Prestigeprojekt Nazideutschlands.
    "Dann wird, in den nächsten Monaten und Jahren, eben hier eine gewaltige Symphonie der Arbeit brausen, wird das Echo zurückwerfen, an den Berg lehnen und wird jedem einzelnen von Euch sagen: hier steht Deutschland!"
    Symbol endlich vereinten Strebens
    In Görings Rede war schon enthalten, was weit über die sieben Restjahre des Tausendjährigen Reichs hinaus den Nimbus von Kaprun ausmachte: das technische Wunderwerk als Symbol endlich vereinten Strebens. Allzu weit kam man nicht mehr mit dem Bau, obwohl auch während des Krieges Tausende daran arbeiteten. Für den Bauprozess brauchte es riesige Tunnel und eigene Seilbahnen, Versorgungstrupps brachten regelmäßig Nahrungsmittel und Material in die Höhe. Ein Bergbauer, der dabei war:
    "Wir sind immer von Heiligenblut aufgestiegen, mussten zu Fuß aufsteigen, wegen der Lawinen, … alles zu Fuß und mit Krax'n und Tragegestelle."
    Weder der Bergbauer noch der Reporter, der ihn interviewte, noch irgend jemand sonst erwähnte, dass unter diesen härtesten Bedingungen auch Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene schufteten. Zwar wurden zunächst Arbeitskräfte noch angeworben:
    "Bis spätestens nach Kriegsbeginn wurden immer mehr Zwangsarbeiter deportiert und in Kaprun eingesetzt."
    Genaue Zahlen gibt es allerdings nicht, sagt Margit Reiter, Historikerin an der Universität Wien. Wie viele Kriegsgefangene schufteten hier?
    "Da wissen wir, dass sehr viele dort waren, aber die sind namentlich nicht erfasst, es muss offenbleiben, wie viele es wirklich waren."
    Und wie viele von ihnen zu Tode kamen - keineswegs nur durch die bei Großprojekten unvermeidliche Unfälle.
    "Das hat eine besondere Komponente, weil diese Zwangsarbeiter extrem schlecht ausgerüstet waren, Kleidung, Schuh, Schnee, Gletscher, und die hatten ganz dürftiges Schuhmaterial."
    Teil der österreichischen Lebenslüge
    Bis in die 80er Jahre blieb der Mythos Kaprun unbefleckt. Erst mit der folgenreichen Diskussion um die NS-Vergangenheit von Präsident Kurt Waldheim erschien auch Kaprun als Teil der österreichischen Lebenslüge von der Nazi-verfolgten Unschuld. Als solche karikierte giftig die Schriftstellerin Elfriede Jelinek "Das Werk" in ihrem gleichnamigen Stück.
    "Das ist unser Wiederaufbau, und den lassen wir uns nicht nehmen!"
    Im Jahr 2000 brachte ein furchtbares Seilbahnunglück Kaprun wieder in die Schlagzeilen - diesmal als Metapher für die Grenzen der Technik. Damals dachte kaum jemand mehr daran, dass der Name Kaprun einmal für das Gegenteil gestanden hatte.