Archiv


Baugewerbe fürchtet Stellenabbau durch Dienstleistungsrichtlinie

Der Zentralverband des deutschen Baugewerbes (ZDB) verlangt Ausnahmeregelungen bei der EU-Dienstleistungsrichtlinie. ZDB-Tarifexperte Felix Pakleppa prophezeite den Wegfall von hunderttausend Arbeitsplätzen in der Branche, wenn im Hochlohnland Deutschland europäische Firmen Bauleistungen zu geringeren Preisen anbieten dürften. Die EU-Dienstleistungsrichtlinie besagt, dass in Zukunft nicht mehr das Recht des Staates gilt, in dem gearbeitet wird, sondern das Recht des Heimatlandes.

Moderation: Doris Simon |
    Simon: Die fade Verpackung täuscht hinweg über den Sprengstoff, der in der Sache steckt. Die so genannte Dienstleistungsrichtlinie, was für ein Wort, betrifft viele von uns direkt, im Guten wie im Bösen. Dem einen eröffnet die Dienstleistungsrichtlinie wichtige Arbeitsmöglichkeiten im Ausland, beim anderen bedroht sie die Sicherheit seines Arbeitsplatzes in Deutschland und für manche wird sie vielleicht eine Ersparnis bedeuten, wenn sie zum Beispiel preiswert Dienstleistung aus anderen EU-Ländern einkaufen. Denn das ist der Kern der Dienstleistungsrichtlinie, mit ihr sollen die Hürden und Vorschriften fallen, die die Länder in EU-Europa errichtet haben, um vor allem die Konkurrenz vom heimischen Arbeitsmarkt weg zu halten und bestimmte Standards aufrechtzuerhalten. Künftig sollen Unternehmer aus einem Mitgliedsland ihre Leistung in allen anderen Ländern der Union anbieten können, wenn sie nur nachweisen, dass die Beschäftigten zu Hause sozialversichert sind, der Lohn darf auch so niedrig sein wie zu Hause. Genau hier liegt das Problem für den deutschen Arbeitsmarkt. Dafür muss man nur mal die Löhne für polnische Fliesenleger mit denen für deutsche vergleichen. Am Telefon ist jetzt Felix Pakleppa vom Zentralverband des deutschen Baugewerbes, der 41 Verbände vertritt, die im weitesten Sinn mit Bauen zu tun haben. Ich grüße Sie.

    Pakleppa: Ich grüße Sie, Frau Simon.

    Simon: Herr Pakleppa, die Dienstleistungsrichtlinie ist noch lange nicht beschlossen, der Entwurf wird noch heftig diskutiert. Trotzdem arbeiten längst Handwerker aus den neuen EU-Ländern ganz legal in Deutschland. Wenn wir einmal beim Fliesenleger aus Polen bleiben. Unter welchen Bedingungen darf der, noch bevor es diese Dienstleistungsrichtlinie überhaupt gibt, denn jetzt hier arbeiten?

    Pakleppa: Polen ist ja, wie viele andere Länder Mittel- und Osteuropas am ersten Mai 2004 Mitglied der EU geworden. Grundsätzlich gilt dann das gesamte EU-Recht, also auch die Dienstleistungsfreiheit und die Arbeitnehmerfreizügigkeit. Das heißt, Polen, Firmen aus Polen können Leistungen in Deutschland anbieten und Arbeitnehmer aus Polen, wie auch aus Ungarn und Tschechien können sich in den alten EU-Staaten einen Job suchen. Da man aber in der Baubranche befürchtet hat, dass das zu einem Massenansturm auf den deutschen Baumarkt führen wird, ist für eine Zeit von bis zu sieben Jahren die Dienstleistungsfreiheit und die Arbeitnehmerfreizügigkeit beschränkt worden, das heißt, polnische Firmen dürfen keine Dienstleistung in Deutschland im Baumarkt anbieten. Arbeitnehmer aus Polen und auch aus Tschechien und den baltischen Staaten dürfen sich für eine Zeit von bis zu sieben Jahren keinen Job in Deutschland suchen. Davon gibt es eine Ausnahme und dementsprechend kann der polnische Fliesenleger durchaus auch in Deutschland legal arbeiten, und zwar, wenn er als Einmannbetrieb kommt, das heißt, er ist selbstständig, hat aber keine Arbeitnehmer. Das macht es so kompliziert zu sagen, ist ein polnischer Fliesenleger legal oder illegal hier. Er ist nur dann legal da, wenn er tatsächlich alleine arbeitet, selbstständig ist und ohne Arbeitnehmer eine Dienstleistung erbringt. Das heißt, wenn ich zum Beispiel in Berlin oder in Cottbus sitze und ich möchte mir mein Bad renovieren lassen, kann ich mir legale eine Einmannfirma aus Polen dafür nehmen und die beauftragen.

    Simon: Ist das denn ein verbreitetes Phänomen? Gibt es viele solcher Einmannbetriebe aus den neuen EU-Ländern inzwischen in Deutschland?

    Pakleppa: Ja, die Zahl nimmt zu. Wir haben auch mit dem Zoll, der das kontrolliert, darüber gesprochen und der Zoll sagt, es ist ein steigendes Phänomen. Wir haben uns auch einmal die Anmeldezahlen angesehen bei den Gewerbeämtern allein in diesem Jahr, und das Jahr ist noch sehr jung, haben sich alleine in Köln über 650 Fliesenleger aus Polen angemeldet, in München 1000 und so weiter und so weiter. Das heißt, hier liegt der Verdacht nahe, dass mit dieser Regelung Missbrauch getrieben wird und wir befürchten, dass es sich nun nicht um wirklich Selbstständige handelt, die nun als Einmannbetrieb Bäder fliesen, sondern um Arbeitnehmer, die zu Selbstständigen umdeklariert werden und dann das Verbot der Arbeitnehmerfreizügigkeit im Moment unterlaufen. Es handelt sich also um illegale Beschäftigung.

    Simon: Natürlich ein Umstand, der sehr schwer zu beweisen ist. Herr Pakleppa, das ist die Situation jetzt, bevor die Dienstleistungsrichtlinie überhaupt existiert. Was wird sich denn ändern, wenn die Dienstleistungsrichtlinie kommt?

    Pakleppa: Die Dienstleistungsrichtlinie besagt, dass in Zukunft nicht mehr das Recht des Staates gilt, in dem gearbeitet wird, sondern das Recht des Heimatlandes. Das klingt auf den ersten Blick sehr plausibel, dass man sagt, man bekommt in der EU nicht alle Regelungen harmonisiert zwischen Portugal und Baltikum sondern es gilt immer für jeden Betrieb, ganz egal, wo er arbeitet, das Recht seines Heimatlandes. Das heißt, wenn ein französischer Maler in Frankreich malt, muss er die französischen Regeln beachten, wenn er in Zukunft in Großbritannien malt, muss er auch die Regelungen Frankreichs beachten. Das führt aber dazu, dass in dem Land, in dem gearbeitet wird, nicht mehr die Kontrolle bei den dortigen Behörden liegt, das heißt, wenn jetzt Firmen aus Polen, aus Portugal, aus Großbritannien in Deutschland bauen wollen, dann dürfen sie nicht mehr vom deutschen Zoll und den deutschen Behörden kontrolliert werden, weil nach der Dienstleistungsrichtlinie die Kontrolle zukünftig auch beim Heimatland liegen soll. Da haben wir große Sorge, dass dies natürlich zu einem erheblichen Abbau von Arbeitnehmerschutzrechten führt und der Wettbewerb auf dem deutschen Baumarkt völlig zusammenbricht.

    Simon: Weil Sie davon ausgehen, dass die Heimatländer gar nicht so interessiert sind an Kontrollen?

    Pakleppa: Davon gehen wir aus. Die können zum Teil auch gar nicht wissen, dass ihre Firmen in einem anderen europäischen Land arbeiten, weil sie sich auch nicht abmelden müssen. Eine polnische Firma muss ja zu Hause nicht Bescheid sagen, dass sie jetzt zum Beispiel in Berlin oder in Dresden einen Auftrag abarbeitet.

    Simon: Herr Pakleppa, es gibt deutsche Handwerker, die warten schon seit langem auf den Wegfall der bürokratischen Hürden im EU-Ausland, zum Beispiel um dort einen neuen Markt zu erschließen. Der Wirtschaftsminister Wolfgang Clement plädiert seit langem für die Dienstleistungsrichtlinie und hat die Hoffnung, dass dadurch viele Arbeitsplätze geschaffen werden. Wie sieht das denn im Baugewerbe aus? Bringt die Dienstleistungsrichtlinie nur Gefahren oder bringt sie vielleicht auch Chancen für Arbeitsplätze?

    Pakleppa: Wir sehen halt große Risiken und große Gefahren für den Baumarkt im Inland, weil wir nun in Deutschland ein Hochlohnland sind, das heißt, wir haben relativ hohe Löhne im Vergleich zu anderen europäischen Ländern und eine starke Belastung mit Steuern und Abgaben, so dass natürlich Länder, in denen die Wettbewerbsvoraussetzung günstiger sind, über die Dienstleistungsrichtlinie ihre günstigeren Wettbewerbsbedingungen nach Deutschland importieren können. Da der Baumarkt nun eben ein heimischer Markt ist, das heißt, 90 Prozent der Bauleistungen werden hier erbracht, sind natürlich die Gefahren deutlich größer als für die wenigen spezialisierten Firmen, die im Ausland arbeiten können und dort in Zukunft vielleicht etwas erleichtert arbeiten können. Aber die wirklich gut spezialisierten deutschen Baufirmen, die jetzt schon im Ausland gearbeitet haben, im Tunnelbau, im Brückenbau, die haben ihren Weg bisher auch schon gemacht, so dass wir unterm Strich sehen müssen, das Risiko ist deutlich größer für die deutsche Bauwirtschaft.

    Simon: Wenn Sie von Arbeitsplatzbedrohung sprechen, um wie viel Leute geht es in der Baubranche in Deutschland?

    Pakleppa: Wir haben in den letzten sieben Jahren allein im Bauhauptgewerbe, also dem klassischen Hoch- und Tiefbau 800.000 Arbeitsplätze verloren. Das hat sicherlich damit zu tun, dass die Sonderkonjunktur in den neuen Ländern abgeflaut ist, dass weniger gebaut wird. Wir haben viele Arbeitslose, wer arbeitslos ist baut sich kein Haus oder keine Wohnung. Aber wir haben im Bauhauptgewerbe noch 800.000 Leute und wenn ich den gesamten Bau nehme, ungefähr 2,5 Millionen Beschäftigte. Da kann man natürlich sagen, bei über fünf Millionen Arbeitslosen machen ein paar hunderttausend Arbeitslose aus der Bauwirtschaft auch nichts mehr aus. Aber wir wollen um jeden Arbeitsplatz kämpfen und wir befürchten, dass mehrere zehntausend, wenn nicht hunderttausend Arbeitsplätze im Moment wegfallen würden, wenn die Dienstleistungsrichtlinie so umgesetzt würde, wie sie die EU-Kommission plant.

    Simon: Das ist ja derzeit wohl nicht mehr der Fall. Es sieht alles danach aus, dass es einen abgemilderten Entwurf gibt. Ganz kurz: Was wünschen Sie sich für die Baubranche in der Dienstleistungsrichtlinie?

    Pakleppa: Es gibt bei der Dienstleistungsrichtlinie bisher schon Wirtschaftszweige wie Daseinsvorsorge oder elektronische Netze, die davon ausgenommen worden sind, weil die Dienstleistungsrichtlinie für diese Branchen einfach nicht passt. Wir wünschen uns, dass wir auch als Bauwirtschaft aus dem Geltungsbereich der Dienstleistungsrichtlinie ausgenommen werden.

    Simon: Das war Felix Pakleppa vom Zentralverband des deutschen Baugewerbes.