Remme: Gut fünf Jahre ist es her, dass in dieser Republik erbittert um das kontroverse Thema "großer Lauschangriff" gerungen wurde. Schon der Begriff polarisierte Befürworter dieser angeblich so notwendigen Waffe gegen die organisierte Kriminalität, sprachen weitaus weniger emotional von "akustischer Wohnraumüberwachung". Diese ist seit Mai _98 also zulässig, nachdem dafür zunächst Artikel 13 des Grundgesetzes zur Unverletzlichkeit der Wohnung geändert werden musste. Die Verfassungsklagen ließen nicht lange auf sich warten, doch erst heute wird sich das Bundesverfassungsgericht damit beschäftigen. Unter den Beschwerdeführern ist auch Gerhart Baum von der FDP, ehemaliger Bundesinnenminister. Er ist jetzt am Telefon in Karlsruhe. Guten Morgen Herr Baum!
Baum: Guten Morgen.
Remme: Herr Baum, wie lautet Ihre Beschwerde gegen den sogenannten "großen Lauschangriff"?
Baum: Frau Leutheusser-Schnarrenberger, Herr Hirsch und ich haben schon vor einigen Jahren Beschwerde eingereicht und wir möchten, dass das Gericht den Artikel 13 kritisiert. Der Artikel 13 hat die Unverletzlichkeit der Wohnungen ausgehöhlt durch das Gesetz von 1998. Wir wollen auch die Ausführungsbestimmung durch das Gericht aufgehoben wissen, denn wir sind der Meinung, dass dieses heimliche Abhören von vertraulich gesprochenen Worten in einer Wohnung, also im intimsten Bereich eines Menschen, nicht so gehandhabt wird, wie das mit der Menschenwürde, also mit einem Grundwert unserer Verfassung in Übereinstimmung steht. Ich nenne Ihnen einen Teil unserer Vorbehalte. Das Gesetz lässt zu, dass auch Gespräche abgehört und aufgezeichnet werden, an denen der Beschuldigte gar nicht teilnimmt. Es werden also die Gespräche anderer, nicht Beteiligter aufgenommen. Wie wir festgestellt haben beziehen sich etwa 40 Prozent aller abgehörten Gespräche auf diese Personen, also auf Personen, die mit dem Lauschangriff gar nichts zu tun haben. Wir haben festgestellt, dass die erlauschten Informationen, wenn sie so genannte Zufallsfunde enthalten, zu anderen Fahndungsansätzen verwendet werden. Wir haben festgestellt, dass diese Maßnahme gar nicht wirksam ist, denn nur in 1 Prozent der Fälle der organisierten Kriminalität hatten sie wirklich eine Bedeutung. Das ist also keine wirksame Waffe gegen die organisierte Kriminalität.
Remme: Richtet sich Ihre Kritik jetzt dagegen, dass diese Waffe eben nicht wirkt, oder dagegen, dass sie verfassungswidrig ist?
Baum: Die Waffe ist verfassungswidrig und wenn ein so intensiver Eingriff in die Privatheit erfolgt muss man auch die Frage stellen, ob es wirklich wirkungsvoll, ob es wirklich notwendig ist. Wir haben einen Straftatenkatalog, wo zum Beispiel die Fälschung von Vordrucken von Euroschecks, also eine gering zu bewertende Straftat, schon zum Lauschangriff führt. Wir haben festgestellt, dass etwa 40 Prozent der Beteiligten nicht benachrichtigt wird, wie das eigentlich vom Gesetzgeber beabsichtigt worden ist. Wir haben festgestellt, dass der so genannte Richtervorbehalt, dass also Richter entscheiden müssen, nicht wirkungsvoll ist, weil die Richter gar nicht ermitteln.
Remme: Wir haben aber Zahlen was die Praxis angeht und die besagen, dass zwischen 1998 und dem Jahr 2000 "gerade mal" 80 Wohnungen so elektronisch abgehört wurden. Es gibt hohe Hürden, die dort aufgesetzt wurden, und sie scheinen doch angesichts dieser geringen Zahl zu wirken oder?
Baum: Es ist ja nicht ein statistisches Problem. Ein Fall würde schon genügen, um uns auf den Plan zu rufen. Es waren im Laufe von _98 bis 2002, wie wir festgestellt haben, 116 Verfahren mit etwa 400 Betroffenen mit etwa 250 Beschuldigten und einer großen Zahl Nichtbeschuldigter. Nur in der Hälfte der Fälle hatte das Abhören irgendeine Wirkung auf das Verfahren. Es finden hier Verfahren statt, in denen auch die Normenklarheit fehlt. Wir haben festgestellt, dass der Gesetzgeber es sich sehr einfach gemacht hat, vieles der Verwaltung überlassen hat, und wir fordern einfach ein, dass bei einem so intensiven Eingriff der Gesetzgeber genauer wird, das Vorgehen begrenzt und genauer bestimmt. Das ist Teil unserer Beschwerde.
Remme: Aber ist Ihr Protest verhältnismäßig, wenn man sich zum Beispiel anschaut, dass seit 1995 die Zahl der telefonischen elektronischen Abhöraktionen verfünffacht wurde, 22.000 allein im vergangenen Jahr. Sollte uns das nicht viel mehr Sorgen machen?
Baum: Das macht uns genauso Sorgen, aber hier gehen wir ja einen Schritt weiter. Jedermann in Deutschland hat irgendwie das Gefühl, das Telefon ist nicht sicher, aber hier wird der private Schutzbereich ganz intensiv verletzt. Selbst Gespräche mit den engsten Familienangehörigen können belauscht werden, auch das Gespräch der Eheleute im Schlafzimmer. Das kuriose Ergebnis ist, dass das Gespräch mit dem Steuerberater mehr geschützt ist als das Gespräch des Betroffenen mit seiner Frau. Jedes Wort wird aufgenommen. Die Maschine wird angeworfen. In Amerika sitzt Jemand dabei, 24 Stunden wird das Abhören begleitet von Menschen, die sofort abschalten, wenn etwas gesagt wird, was mit dem Verfahren nichts zu tun hat. Wir gehen hier zu weit. Selbst wenn man das Instrument einsetzt, so ist es wie die Verfahrensberichte gezeigt haben, die wir jetzt vorliegen haben, so extensiv ausgelegt, dass es mit der Verfassung, mit dem Schutz der Menschenwürde nichts zu tun hat.
Remme: Vielen Dank! - Das war Gerhart Baum, der frühere Bundesinnenminister von der FDP.
Link: Interview als RealAudio
Baum: Guten Morgen.
Remme: Herr Baum, wie lautet Ihre Beschwerde gegen den sogenannten "großen Lauschangriff"?
Baum: Frau Leutheusser-Schnarrenberger, Herr Hirsch und ich haben schon vor einigen Jahren Beschwerde eingereicht und wir möchten, dass das Gericht den Artikel 13 kritisiert. Der Artikel 13 hat die Unverletzlichkeit der Wohnungen ausgehöhlt durch das Gesetz von 1998. Wir wollen auch die Ausführungsbestimmung durch das Gericht aufgehoben wissen, denn wir sind der Meinung, dass dieses heimliche Abhören von vertraulich gesprochenen Worten in einer Wohnung, also im intimsten Bereich eines Menschen, nicht so gehandhabt wird, wie das mit der Menschenwürde, also mit einem Grundwert unserer Verfassung in Übereinstimmung steht. Ich nenne Ihnen einen Teil unserer Vorbehalte. Das Gesetz lässt zu, dass auch Gespräche abgehört und aufgezeichnet werden, an denen der Beschuldigte gar nicht teilnimmt. Es werden also die Gespräche anderer, nicht Beteiligter aufgenommen. Wie wir festgestellt haben beziehen sich etwa 40 Prozent aller abgehörten Gespräche auf diese Personen, also auf Personen, die mit dem Lauschangriff gar nichts zu tun haben. Wir haben festgestellt, dass die erlauschten Informationen, wenn sie so genannte Zufallsfunde enthalten, zu anderen Fahndungsansätzen verwendet werden. Wir haben festgestellt, dass diese Maßnahme gar nicht wirksam ist, denn nur in 1 Prozent der Fälle der organisierten Kriminalität hatten sie wirklich eine Bedeutung. Das ist also keine wirksame Waffe gegen die organisierte Kriminalität.
Remme: Richtet sich Ihre Kritik jetzt dagegen, dass diese Waffe eben nicht wirkt, oder dagegen, dass sie verfassungswidrig ist?
Baum: Die Waffe ist verfassungswidrig und wenn ein so intensiver Eingriff in die Privatheit erfolgt muss man auch die Frage stellen, ob es wirklich wirkungsvoll, ob es wirklich notwendig ist. Wir haben einen Straftatenkatalog, wo zum Beispiel die Fälschung von Vordrucken von Euroschecks, also eine gering zu bewertende Straftat, schon zum Lauschangriff führt. Wir haben festgestellt, dass etwa 40 Prozent der Beteiligten nicht benachrichtigt wird, wie das eigentlich vom Gesetzgeber beabsichtigt worden ist. Wir haben festgestellt, dass der so genannte Richtervorbehalt, dass also Richter entscheiden müssen, nicht wirkungsvoll ist, weil die Richter gar nicht ermitteln.
Remme: Wir haben aber Zahlen was die Praxis angeht und die besagen, dass zwischen 1998 und dem Jahr 2000 "gerade mal" 80 Wohnungen so elektronisch abgehört wurden. Es gibt hohe Hürden, die dort aufgesetzt wurden, und sie scheinen doch angesichts dieser geringen Zahl zu wirken oder?
Baum: Es ist ja nicht ein statistisches Problem. Ein Fall würde schon genügen, um uns auf den Plan zu rufen. Es waren im Laufe von _98 bis 2002, wie wir festgestellt haben, 116 Verfahren mit etwa 400 Betroffenen mit etwa 250 Beschuldigten und einer großen Zahl Nichtbeschuldigter. Nur in der Hälfte der Fälle hatte das Abhören irgendeine Wirkung auf das Verfahren. Es finden hier Verfahren statt, in denen auch die Normenklarheit fehlt. Wir haben festgestellt, dass der Gesetzgeber es sich sehr einfach gemacht hat, vieles der Verwaltung überlassen hat, und wir fordern einfach ein, dass bei einem so intensiven Eingriff der Gesetzgeber genauer wird, das Vorgehen begrenzt und genauer bestimmt. Das ist Teil unserer Beschwerde.
Remme: Aber ist Ihr Protest verhältnismäßig, wenn man sich zum Beispiel anschaut, dass seit 1995 die Zahl der telefonischen elektronischen Abhöraktionen verfünffacht wurde, 22.000 allein im vergangenen Jahr. Sollte uns das nicht viel mehr Sorgen machen?
Baum: Das macht uns genauso Sorgen, aber hier gehen wir ja einen Schritt weiter. Jedermann in Deutschland hat irgendwie das Gefühl, das Telefon ist nicht sicher, aber hier wird der private Schutzbereich ganz intensiv verletzt. Selbst Gespräche mit den engsten Familienangehörigen können belauscht werden, auch das Gespräch der Eheleute im Schlafzimmer. Das kuriose Ergebnis ist, dass das Gespräch mit dem Steuerberater mehr geschützt ist als das Gespräch des Betroffenen mit seiner Frau. Jedes Wort wird aufgenommen. Die Maschine wird angeworfen. In Amerika sitzt Jemand dabei, 24 Stunden wird das Abhören begleitet von Menschen, die sofort abschalten, wenn etwas gesagt wird, was mit dem Verfahren nichts zu tun hat. Wir gehen hier zu weit. Selbst wenn man das Instrument einsetzt, so ist es wie die Verfahrensberichte gezeigt haben, die wir jetzt vorliegen haben, so extensiv ausgelegt, dass es mit der Verfassung, mit dem Schutz der Menschenwürde nichts zu tun hat.
Remme: Vielen Dank! - Das war Gerhart Baum, der frühere Bundesinnenminister von der FDP.
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