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Bayern vor der Landtagswahl
CSU rüstet sich für historischen Absturz

Bei der bayrischen Landtagswahl am Sonntag sagen die Umfragen der CSU-Regierung einen historischen Absturz voraus. Die Christsozialen könnten sogar die Macht im Freistaat verlieren. Angesichts des angekündigten Desasters droht spätestens nach der Wahl die Revolte gegen Parteichef Seehofer.

Von Michael Watzke | 09.10.2018
    Markus Söder (l.), Ministerpräsident von Bayern und Horst Seehofer, Bundesinnenminister, während einer Wahlkampfkundgebung im Stadttheater in Ingolstadt. Foto: Armin Weigel/dpa | Verwendung weltweit
    Im Wahlkampf noch vereint: Markus Söder (l.), Horst Seehofer (Armin Weigel / dpa)
    Wenn Bayern überall so wäre wie Rott am Inn, dann läge die CSU in den Umfragen nicht bei 33 Prozent der Stimmen, sondern bei 60 Prozent. In Rott am Inn predigt sogar der Pfarrer auf der Kanzel christsozial.
    "Mit Franz Josef Strauß und für ihn schauen wir gläubig auf zu Jesus Christus..."
    "Der Pfarrer ist CSU-Mitglied geworden, weil er so überzeugt ist von der soliden Politik der CSU."
    Verrät Klaus Stöttner, der örtliche CSU-Landtagsabgeordnete. Stöttner ist auf dem Weg zur Familiengruft von Franz Josef Strauß, der hier bei Rosenheim in Oberbayern gelebt hat und begraben ist.
    "Wir wollen beten für Franz Josef Strauß, der heute vor dreißig Jahren verstarb."
    Der 3. Oktober ist für die CSU nicht nur der Tag der Deutschen Einheit, sondern vor allem der Todestag ihres Übervaters. So nennt ihn Markus Söder. Der Ministerpräsident hat seinem Vor-Vor-Vor-Vorgänger schon 1983 bei einer Rede in Nürnberg zugejubelt.
    "In der ersten Rede standen ein paar junge Leute, ich unter anderem. Und wir schrien und riefen: 'Franz Josef, Franz Josef!' Damals als 16-Jähriger hätte ich nicht gedacht, dass ich an seinem 30. Todestag die Ehre habe, in einem seiner großen Ämter als sein Nachfolger ein paar Worte zu sprechen."
    Söder steht auf dem Friedhof und schaut, als hätte er Appetit auch auf das andere Amt, das FJS einst innehatte. Das des CSU-Vorsitzenden. Doch der aktuelle Parteichef steht neben Söder. Noch spricht Horst Seehofer ein Wörtchen mit.
    "Franz Josef Strauß ist der Bayer des Jahrhunderts. Der Mythos Strauß ist lebendig wie eh' und je."
    Ist er das wirklich? Schlägt in Rott am Inn tatsächlich noch das Herz von Bayern? Oder würde Strauß heute gar AfD wählen, wie die Alternative für Deutschland auf ihren Wahlplakaten behauptet? Christian Springer schüttelt den Kopf.
    "Das Strauß'sche, boarische Mia-san-mia-Denken - das ist vorbei!"
    Seehofer und Söder: "Bekriegt wie die Gockel"
    Der Kabarettist Springer tritt an diesem Abend keine 30 Kilometer entfernt von Rott am Inn auf, in Mühldorf am Inn. Die örtliche Kleinkunstbühne namens Haberkasten ist ausverkauft. Springer röstet die CSU, vor allem den Machtkampf ihrer Alphatiere.
    "Die ganze Republik hat es mitgekriegt. Es war peinlich, wie die beiden sich bekriegt haben, ja wie die Gockel. Und dann die große Versöhnung vor zwei Wochen auf dem CSU-Parteitag. Sagt Horst Seehofer von der Bühne zu Markus Söder herunter: Markus Söder ist das Beste, was Bayern zu bieten hat."
    Dankbar bejubelt das Publikum in Mühldorf jeden Scherz über die bayerische Regierungspartei. Aber in der Pause spürt man vor dem Haberkasten Ratlosigkeit. Wohin mit der Wahlstimme?
    "Nein, ich weiß es noch nicht"
    "Ich weiß noch gar nicht, was ich wählen soll!"
    "Keine Ahnung".
    45 Prozent der Wähler noch unentschlossen
    Rund 45 Prozent der bayerischen Wähler sind laut einer Allensbach-Analyse noch unentschlossen. So viele wie noch nie - und das wenige Tage vor der Wahl am 14. Oktober. Das lässt den Alt-Ministerpräsidenten Edmund Stoiber hoffen.
    "Ich hab' das Gefühl, dass die letzten Tage doch noch sehr entscheidend werden werden. Es ist natürlich immer die Frage: wie viele können wir dann wirklich zur Stimmabgabe zwingen, äh, bringen? Nicht zwingen."
    Stoiber hat weder seinen Elan noch seine Zerstreutheit eingebüßt. Auch mit 77 Jahren ist der Politik-Veteran für seine CSU im Dauer-Einsatz. 25 Veranstaltungen im ganzen Freistaat, denn:
    "Wie hat Franz Josef Strauß immer so schön formuliert? Bayern ist unsere Heimat."
    Edmund Stoiber bei einer CSU-Vorstandssitzung in München.
    Beschwört den Strauß-Mythos: Wahlkämpfer Stoiber. (dpa / picture alliance / Andreas Gebert)
    Der CSU-Ehrenvorsitzende Stoiber absolviert mehr Wahlkampf-Auftritte als der aktuelle CSU-Vorsitzende Horst Seehofer. An Stoiber liegt es also nicht, dass die Umfragewerte der CSU mit jeder neuen Meinungsumfrage abrutschen statt zu steigen. Von 46 Prozent auf 42 Prozent der Stimmen. Dann 40, 38, 35. Die desaströsen Zahlen zwingen die CSU zu einer Art Umfrage-Limbo: Immer stärker muss Generalsekretär Markus Blume seinen Rücken verbiegen, um Markus Söder den Rücken zu stärken. Aktueller Umfragewert von Infratest Dimap: 33 Prozent der Stimmen. Und Walter Fritz hält selbst das für optimistisch.
    "Ich glaube, dass es vielleicht sogar noch schlimmer wird. Das ist ein reines Bauchgefühl. Und das, was man halt so rundum hört. Ich denke, dass gerade die Protestwähler nach wie vor da sein werden und verstärkt in diese Richtung laufen - was sehr, sehr schade ist für Bayern."
    Der Münchner Unternehmer hat - wie viele Industriebosse in Bayern - Angst um die Stabilität im Freistaat. Fritz begreift nicht recht, warum die CSU solch katastrophale Umfragewerte hat.
    "In der Tiefe finde ich es schade, muss ich ganz ehrlich sagen, weil Bayern geht es gut. Ich meine, jetzt wiederholt man das, was ein Söder sagt, aber vom Grundsatz her ist die Politik, die bisher gemacht worden ist, war so schlecht nicht. Wenn man sich mal die Vergangenheit anschaut: Man hat Industrie nach Bayern geholt. Bayern ist damit gewachsen, ist stark geworden."
    CSU und Bayern Opfer des eigenen Erfolgs?
    Hat sich die CSU am Ende zu Tode gesiegt? Frisst der wirtschaftliche Erfolg des Freistaates den politischen Erfolg der CSU auf? 1950 hatte das Agrarland Bayern gerade mal acht Millionen Einwohner. Heute sind es 13 Millionen. Immer mehr "Zugroaste", zu Deutsch: Zugereiste, ziehen nach Bayern. Junge, mobile, urbane Menschen. Menschen wie Malte Satow.
    "Ich komme aus Köln. Ich bin erst seit drei Jahren hier. Ich bin 22 Jahre alt und habe mich entschlossen, zum Studieren nach München zu ziehen. Aus verschiedenen Gründen. Das ist im Nachhinein eine gute Entscheidung gewesen. Ich bin zufrieden hier in München."
    Der Geographie-Student lebt in einem Münchner Wohnheim-Projekt zusammen mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen. Und auch Satow ist ...
    "... komplett nicht sicher, wen ich wählen soll. Und deshalb vertraue ich wirklich auf diese Podiums-Diskussion."
    Malte Satow hat zu einem Gesprächsabend ins Wohnheim eingeladen. Auf dem Podium sitzen die Landtags-Kandidaten des Wahlkreises München-Giesing. Im Publikum: Satows Kommilitonen.
    "Wir freuen uns, dass sie heute alle gekommen sind zur Podiumsdiskussion."
    Dann nennt Satow drei Themenschwerpunkte: Wohnen, Bildung, Infrastruktur. Die drei großen Aufreger-Themen in München. Asyl und Flüchtlinge, das große Thema der AfD, kommt nur am Rande vor. Aber die AfD ist auch gar nicht eingeladen. Von den anwesenden Parteien hat die CSU als einzige nicht ihren örtlichen Direktkandidaten Andreas Lorenz geschickt, sondern eine Vertreterin. Die hat es unter den Studenten nicht leicht, stellt Satow fest:
    Wenig Rückhalt bis offene Ablehnung in den Großstädten
    "Ich sehe die CSU natürlich in der Stadt nicht so sehr vertreten wie auf dem Land. Vor allem, wenn man die Studenten sieht, die auf Demos gehen. "Ausgehetzt" wurde ja auch vor allem gegen die CSU gehalten. Und da auch ein großer Anteil aus Studenten, aus Kommilitonen bestand."
    Tatsächlich tut sich die CSU besonders in den bayerischen Großstädten schwer. In München drohen die Christsozialen mehrere Direkt-Mandate an die Grünen zu verlieren. Vor allem junge Wähler können mit der CSU immer weniger anfangen. In den sozialen Netzwerken fegt ein Shitstorm nach dem anderen über die sonst so stolze Staatspartei. Als Markus Söder neulich das bayerische Raumfahrtprogramm "Bavaria One" vorstellte, machte auf Twitter ein Bild des Ministerpräsidenten die Runde. Es zeigt das Konterfei Söders vor einem Sternenhimmel. Überschrift: "Bavaria One - Mission Zukunft". Söder als "Captain Future"? Das Bild war ein augenzwinkerndes Geschenk der "Jungen Union" an Söder. Doch die Ironie blieb irgendwo im Netz hängen. Ein Beispiel dafür, wie glücklos der CSU-Wahlkampf ist, sagt Michael Piazolo.
    "Ich glaube, dass die CSU monatelang mit inneren Kämpfen beschäftigt war. Mit dem Kampf Markus Söder gegen Horst Seehofer um den Posten des Ministerpräsidenten. Mit dem Kampf Horst Seehofer gegen Angela Merkel. Und das dann andere, auch handwerkliche Dinge, aus dem Blick verloren gegangen sind."
    Michael Piazolo ist Kandidat der Freien Wähler in München-Giesing. Eigentlich leben die Wähler seiner Partei - ähnlich wie die der CSU - eher auf dem Land. Aber der 58-Jährige hat sich in Giesing einen hohen Bekanntheitsgrad erarbeitet.
    "Doch, doch, wir werden immer besser. Es geht bergauf. Das liegt natürlich auch daran, dass wir eine ganze Reihe von Initiativen auch gestartet haben, die auch für die Großstädte gut sind."
    Die jungen Leute freuen sich über Piazolos Interesse. Sie kennen den Professor für europäische Studien an der Hochschule München. Das ist der, raunt ein Student, der die Studiengebühren abgeschafft hat. Tatsächlich startete Piazolo im Jahr 2013 ein Volksbegehren gegen Studiengebühren. Horst Seehofer gab damals nach, schaffte die Studiengebühren wieder ab und tat so, als stamme die Idee von ihm. Die CSU kopiere gern mal Ideen der Freien Wähler, grinst Piazolo.
    "Das finde ich auch gar nicht so schlimm. Hauptsache, es geschieht was. Aber noch besser ist es natürlich, wenn wir die Dinge selber gestalten können."
    Wahlkampfplakat mit Michael Piazolo von den Freien Wählern
    Möglicher Königsmacher für Söder: Wahlplakat mit Michael Piazolo von den Freien Wählern (dpa/Alexander Pohl)
    Es sieht gar nicht schlecht aus für die Freien Wähler. In den Umfragen liegen sie stabil bei über 10 Prozent der Stimmen. Piazolo muss am Wahlkampfstand häufig die Koalitionsfrage beantworten.
    "Und was viele sagen, ist, dass sie glauben, es ist notwendig, dass die CSU ein Korrektiv braucht. Dass man sie nicht wie in den letzten Jahren alleine vor sich herwurschteln lässt. Und da gibt es schon sehr, sehr viele, die sagen, gerade an unseren Infoständen, es wäre gut, wenn die Freien Wähler da mit dabei wären."
    Piazolo ist nicht abgeneigt. Er denkt in vielen Politikfeldern ähnlich konservativ wie die CSU. Manche bezeichnen die Freien Wähler gern als Fleisch vom Fleische der Christsozialen. Böse Zungen stellen gar die Formel auf: CSU gleich Freie Wähler plus Freibier. Piazolo lächelt nachsichtig.
    "Das ist ein hübscher Satz. Wobei ich glaube, dass gerade in der heutigen Zeit wir so viele Steuer-Einnahmen haben, dass wir die auch vernünftig ausgeben sollten."
    Bei solchen Sätzen zuckt Julika Sandt zusammen. Die FDP-Kandidatin ist Piazolos Mitbewerberin im Wahlkreis München-Giesing und steht für Haushalts-Disziplin. Vor zehn Jahren saß sie schon einmal im bayerischen Landtag - in einer Koalition mit der CSU unter Horst Seehofer. Dem damaligen Ministerpräsidenten gelang es, die Freien Demokraten auszubooten: Bei der Wahl 2013 flogen die Liberalen nach fünf Jahren nicht nur aus Regierung, sondern auch aus dem Landtag. Eine bittere, aber lehrreiche Erfahrung für Sandt:
    "Nee, sowas wird uns nicht mehr passieren. Da, glaube ich, sind jetzt andere Leute dran. Wir haben gelernt."
    Erstmal allerdings muss die FDP bei der Wahl am Sonntag die Fünf-Prozent-Hürde überspringen.
    "Alle Umfragen seit über einem Jahr sehen die FDP im Landtag. Und die letzte nochmal deutlicher."
    Ein Regenbogen für Bayern?
    Über dieser letzten Umfrage von Infratest Dimap ging kurz vor der Wahl plötzlich ein Regenbogen auf. Denn eine Koalition aus Grünen, SPD, Freien Wählern und FDP - ein so genanntes Regenbogen-Bündnis - hätte laut Demoskopen eine knappe Mehrheit. Dazu bräuchte es auch nicht die AfD, mit der niemand koalieren will. Zum ersten Mal seit Jahren tut sich in Bayern eine Macht-Option jenseits der CSU auf.
    "Ehrlich gesagt habe ich vor wenigen Tagen noch gedacht: egal was ist, an der CSU nicht vorbei in Bayern. Jetzt sieht es ja anders aus und ich finde das interessant."
    Zwar warnt Julika Sandt, dass eine Regenbogen-Koalition gegen die CSU ein wackliges Bündnis wäre. Eine Koalition mit der CSU hätte für sie Vorrang. Allerdings setzen beide Szenarien voraus, dass die Freien Wähler mitspielen. Und deren Spitzenkandidat Hubert Aiwanger schließt eine Koalition mit SPD und Grünen kategorisch aus. Aiwanger poltert zwar oft und gern gegen die CSU.
    "Söder ist größenwahnsinnig unterwegs, den müssen wir auf den Boden der Tatsachen zurückholen."
    Aber böte sich Aiwanger die Gelegenheit, mit der CSU zu regieren - der bauernschlaue Landwirt würde sofort einschlagen. Das Problem seiner Freien Wähler ist: Erreicht die CSU tatsächlich nur 33 Prozent der Stimmen, dann wird es knapp für eine schwarz-orangene Koalition. Dann wäre die FDP das Zünglein an der Waage - vorausgesetzt, die Partei von Julika Sandt schafft es ihrerseits ins Maximilianeum. Den Liberalen könnte am Ende das komplizierte bayerische Wahlsystem schaden. Mit solchen Problemen muss sich eine andere Partei in Bayern längst nicht mehr herumschlagen. Im Gegenteil.
    Ludwig Hartmann und Katharina Schulze, das Spitzenduo von Bündnis 90/Die Grünen für die bayerische Landtagswahl 2018, und Robert Habeck, Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, beim kleinen Parteitag der bayerischen Grünen am 07.10.2018. Foto: Tobias Hase/dpa | Verwendung weltweit
    Im Höhenflug: Grünes Spitzenduo Ludwig Hartmann (l.) und Katharina Schulze (Tobias Hase / dpa)
    "Ja, von mir ein ganz liebes Hallo an euch alle. Schön, dass Sie, dass Ihr hierher gefunden habt. Herzlich willkommen an Katharina Schulze und Ludwig Hartmann."
    Ein Hotel-Konferenzsaal in Augsburg. Hier präsentieren die bayerischen Grünen ihr Spitzenduo, das in den Umfragen gerade von Erfolg zu Erfolg eilt. 18 Prozent - weit vor SPD, AfD und Freien Wählern. Grünen-Spitzenkandidat Hartmann will nicht zu euphorisch klingen, denn seine Partei blieb in früheren Jahren oft hinter ihren Umfragewerten zurück.
    "Also ich bin dann zufrieden, wenn wir die Umfragen auch als Wahlergebnis einfahren. Ich hab im Wahlkampf dieses Anpacker-Gen in Bayern kennengelernt. Die Menschen in Bayern, die jubeln nicht, wenn die Herausforderungen kommen. Dazu sind wir viel zu gemütlich. Wenn sie aber da sind, dann wird angepackt und gesagt, das meistern wir doch. Wir sind ein starkes und gutes Land. Und deshalb glaube ich, dass wir diesmal wirklich die Umfragen als Wahlergebnis am Wahltag einfahren."
    Im Konferenz-Saal in Augsburg bleiben an diesem Sonntagmorgen viele Plätze frei. Hartmann und Schulze sind weder Showtalente noch Publikums-Magneten. Sie füllen keine Bierzelte mit 3.000 Menschen wie CSU-Konkurrent Söder. Allerdings sitzen bei den Grünen viele junge Leute - und ein paar ältere, die bisher CSU gewählt haben. Ein älterer Herr aus Augsburg sagt:
    "Ich schaue mir die Vorträge und die Vorstellungen von verschiedenen Parteien an. Also ich bin da so unabhängig. Ich will da auch keine ausschließen. Ja, das wäre bei jeder Partei möglich."
    Die Grünen, raunt der ältere Herr im Publikum, seien inzwischen bürgerlicher als die CSU. Geradezu spießig. Doch ab und zu blitzt das Anarchische in der grünen Seele auf. Etwa, als ein Publikumsgast verrät, er sei nur hier, weil der Wahlomat ihm die Grünen vorgeschlagen habe.
    "Darf ich kurz mal die Gegenfrage stellen: wer war denn der zweite Treffer beim Wahlomat?"
    "Das war 'Die Partei'!"
    "Also mit denen würden wir schon regieren, wenn wir die Möglichkeit hätten."
    Grüne debattieren über mögliche Koalition mit CSU
    Die Spaßtruppe "Die Partei" wird es nicht in den bayerischen Landtag schaffen. Die spannendere Frage ist: Würden die Grünen nach der Landtagswahl auch mit der CSU koalieren? Noch vor zwei Monaten schloss die grüne Spitzenkandidatin Katharina Schulze eine Koalition unter Ministerpräsident Söder faktisch aus.
    "Also Markus Söder war ja ganz vorn mit dabei, als wir die Regierungskrise in unserem Land hatten. Er stand ja vor den ganzen Fernseh-Kameras und hat ordentlich mit angeheizt und hat Worte verwendet über Menschen, die fliehen, die ihn als Ministerpräsidenten disqualifizieren. Und dann kann ich dann immer nur wieder sagen, wer mit uns über anti-europäische Sachen oder hier den Rassismus weiter voranbringen will, mit dem können wir nicht reden."
    Jetzt, kurz vor der Wahl, klingt Schulze anders. Die 33-Jährige will schließlich regieren, sie will gestalten und nicht am Spielfeldrand stehen.
    "Also, wir Grüne waren schon den ganzen Wahlkampf über klar, dass man mit uns immer über eine gerechte und ökologische Politik reden kann. Und das hat vor dem 14.10. schon immer gegolten, und das gilt jetzt bis zum 14.10. - und es gilt auch nach dem 14.10."
    Schulzes verbaler Eiertanz kommt an der grünen Basis nicht so gut an. Eva Lettenbauer, die Vorsitzende der Grünen Jugend in Bayern, will lieber Oppositionspartei bleiben.
    "Aus meiner Sicht ist Ministerpräsident Söder derartig autoritär abgerutscht und anti-europäisch unterwegs, dass das mit den grünen Inhalten nicht zusammengehen kann."
    Bereits eine Woche nach der Wahl treffen sich die bayerischen Grünen zum Parteitag. Dort müssten sich die Spitzenkandidaten Schulze und Hartmann die Erlaubnis für Koalitionsverhandlungen mit der CSU holen. Ausgang ungewiss. Und die Zeit drängt. Die bayerische Verfassung gibt den Parteien nur rund vier Wochen Zeit für die Wahl des Ministerpräsidenten und die Regierungsbildung. Klappt das nicht, müsste sich der frisch gewählte Landtag schon im November auflösen. Es gäbe Neuwahlen. Und spätestens dann verstünde Markus Orterer die Welt nicht mehr. Markus Orterer ist Getränke-Lieferant aus Königsdorf, einem oberbayerischen Örtchen am Alpenrand. Wenn er auf seiner Tour das Mittenwalder Dunkelbockbier ablädt, verwickelt er die Kunden ins Gespräch. Orterer, ein Bär von einem Mann mit speckiger Lederhose und einem mächtigen Zwirbelbart, spürt in Bayern eine Unsicherheit wie nie zuvor.
    Seehofers Zeit scheint abzulaufen
    "Viele wissen nicht, was sie machen sollen. Wie es weitergeht bei uns. Das spürt man. Wenn man ein bisschen ins Gespräch kommt bei den Kunden, merkt man schon: die wissen nicht, was sie wählen sollen."
    Neulich habe jemand über Asylanten geschimpft und die AfD gelobt. Orterer hat ihn gefragt, ob es ihm in Bayern jemals besser gegangen sei als derzeit, unter der Alleinherrschaft der CSU?
    "Und das möchtest Du jetzt verändern? Möchtest ein paar Neue mit reinmischen, dass wir zu dritt, zu viert da san? Schau nach Berlin auffi, die ham's, das ist das Vorzeige-Modell. Funktionieren tut’s nicht, weil nur noch g'hackelt wird."
    Hackeln ist oberbayerisch für streiten. In letzter Zeit sei in der CSU viel gehackelt worden, findet Orterer. Zu viel. Der Oberhackler sei Horst Seehofer.
    "Der Seehofer jetzt momentan, der ist da irgendwo in so einem Rausch drin wahrscheinlich, wo er sich selber nicht mehr kennt. Aber ich täte ihn schon ausschimpfen. Bürscherl, pass auf, so gehst Du mit unserm Land nicht um. Ich würde ihm ins Gesicht sagen: was machst Du mit unserem bayerischen Heimatland?
    Kommenden Montag, direkt nach der Landtagswahl, trifft sich in München der CSU-Vorstand. Es gibt Hinweise darauf, dass Seehofers Parteifreunde ihrem Chef ähnlich deutliche Worte ins Gesicht sagen wollen. Horst Seehofers Zeit als Parteivorsitzender scheint abzulaufen. Und das politische Schicksal Markus Söders? Nix is gwiss, sagt der Kabarettist Christian Springer.
    "Ich glaube sehr, wenn am Wahltag um 18 Uhr die ersten amtlichen vorläufigen Ergebnisse verkündet werden und es wird ganz still in Bayern, dann hört man ein "Rrrrrrrrrrrrr". Da rotiert der Strauß im Grab.