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Bayerns Kreuzerlass gilt ab heute
"Man behandelt das Kreuz so ähnlich wie ein Kopftuch"

Die Debatte über den Kreuzerlass in Bayern erinnere ihn stark an die Diskussionen über das Kopftuch, sagte der Religionssoziologe Armin Nassehi im Dlf. Auch dabei werde darüber gestritten, ob es sich um ein religiöses oder ein kulturelles Symbol handle. Söder nutze das Kreuz strategisch, um damit Politik zu machen.

Armin Nassehi im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 01.06.2018
    Ein Kreuz wird an eine Wand gehängt.
    Ab heute gilt in Bayern der Kreuzerlass (dpa / picture alliance / Ralf Hirschberge)
    Ann-Kathrin Büüsker: Heute ist Freitag, der 1. Juni 2018. Das heißt, ab heute gilt in Bayern der Kreuzerlass. In Paragraf 28 der Allgemeinen Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaates heißt es: "Im Eingangsbereich eines jeden Dienstgebäudes ist als Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns gut sichtbar ein Kreuz anzubringen." – Zuletzt hat die Landesregierung noch mal klargestellt: Für Universitäten, Theater und Museen gibt es jetzt keine Pflicht, lediglich eine Empfehlung. Und warum das Ganze? – Hören wir den Ministerpräsidenten Markus Söder:
    O-Ton Markus Söder: "Das Kreuz ist natürlich in erster Linie ein religiöses Symbol. Aber es hat auch eine prägende Wirkung, eine identitätsstiftende prägende Wirkung für unsere Gesellschaft. Das steht in der bayerischen Verfassung. Da gibt es Bezüge zum Grundgesetz und wird sogar durch das Bundesverfassungsgericht bestätigt, denn wir in Bayern haben seit langer Zeit Kreuze in Gerichten und Schulen. Deswegen ist das jetzt eine Ergänzung, die wir tätigen, ein Stück eine Selbstvergewisserung unserer kulturellen, unserer geschichtlichen, aber auch unserer immateriellen Werte, und deswegen gehört dieses Kreuz ein Stück weit zu unserer Gesellschaft dazu. Es ist Bestandteil natürlich elementar der Religion, aber gehört auch zu den Grundfesten des Staates."
    Büüsker: Diese Entscheidung, die wurde viel diskutiert. Selbst aus der Kirche kam Kritik daran. Das Kreuz zwischen Symbol für Barmherzigkeit und spalterischem Potenzial – darüber möchte ich jetzt mit Professor Armin Nassehi sprechen. Er lehrt Soziologie an der Universität München und beschäftigt sich unter anderem mit Religionssoziologie. Guten Morgen, Herr Nassehi.
    Armin Nassehi: Hallo! Guten Morgen.
    Büüsker: Hängt bei Ihnen im Eingangsbereich des Instituts schon ein Kreuz?
    Nassehi: Nein, da hängt kein Kreuz und da wird auch keines hängen, weil Sie hatten es ja vorhin auch schon gesagt. Man könnte sagen, im Bereich der nachgeordneten Behörden des Ministeriums für Wissenschaft und Kunst, das heißt in Theatern, in Museen, auch in Universitäten keines hängen muss. Wenn man jetzt Söder wirklich ernst nehmen würde und das für die kulturelle Identität Bayerns steht, das Kreuz, müsste es ja eigentlich dort hängen, weil das sind ja die Institutionen, die die kulturelle Identität geradezu zum Thema haben. Also eine kleine Inkonsistenz, wenn ich das ironischerweise sagen darf.
    "Kreuz wird zu so etwas wie einem Kopftuch gemacht"
    Büüsker: Ich höre daraus, dass Sie diese Geschichte, dass Söder es als kulturelles Symbol definiert, nicht unbedingt glauben und dem nicht zustimmen?
    Nassehi: Na ja. Ich meine, die Frage ist ja, muss man das wirklich ernsthaft diskutieren. Wir wissen natürlich alle, dass es sich um ein Wahlkampfmanöver handelt, dass es sich um ein Manöver handelt, das sicherlich sehr stark anschließen möchte an so was, was man identitätspolitische Fragen nennen kann, das Eigene genauer zu definieren. Und man muss schon große Identitätsprobleme haben, wenn man tatsächlich glaubt, dass man das Kreuz in öffentlichen Gebäuden aufhängen muss, damit es so etwas wie eine kulturelle Selbstvergewisserung Bayerns oder auch Deutschlands oder auch des Abendlandes tatsächlich braucht.
    Und ich meine das tatsächlich auch nicht nur ironisch, sondern das hat natürlich eine sehr merkwürdige Bedeutung. Ich meine, wir diskutieren diese Dinge seit Jahren. Auch über das Kopftuch wird diskutiert, handelt es sich um ein religiöses Symbol oder um ein Symbol kultureller Selbstverständigung. Theologisch-Islamisch würde man sagen, kein Mensch muss das Kopftuch tragen, aber es dient eigentlich dazu, ostentativ zu zeigen, wer man ist. Das Kreuz wird inzwischen zu so etwas wie einem Kopftuch gemacht, und das finde ich, wenn ich ehrlich bin, schon ein sehr merkwürdiges Manöver.
    Büüsker: Aber das heißt ja, dass es für den Einzelnen durchaus etwas Identitätsstiftendes hat, und dann in einem Bundesland wie Bayern, was ja nun mehrheitlich katholisch geprägt ist. Was spricht denn dagegen, das auch tatsächlich in der Öffentlichkeit so zu zeigen und zu demonstrieren?
    Nassehi: Es spricht überhaupt nichts dagegen, das Kreuz öffentlich zu zeigen, und ich muss auch sagen, das gilt für mich persönlich auch. Das Kreuz ist für mich auch etwas, was durchaus ein kulturelles Symbol ist und auch ein religiöses Symbol. Ich bin dafür durchaus erreichbar, bin selber auch katholisch. Aber dass der Staat das als ostentatives Merkmal vor sich herträgt, das ist schon ein bisschen grenzwertig und es ist natürlich ein Hinweis darauf, dass der Staat offensichtlich im Moment – und der Staat ist ja hier eher die CSU, die Wahlkampf macht -, dass hier die CSU tatsächlich so etwas wie Identitätspolitik wenigstens symbolisch vorführen will.
    Man weiß natürlich ganz genau, dass der moderne Verfassungsstaat konfessionell und religiös neutral sein soll, natürlich nicht weltanschaulich neutral, aber in dieser Weise schon. Man weiß auch, dass man darüber wunderbare Debatten führen kann, weil man damit zeigt, dass man so etwas wie die eigene kulturelle Identität versucht zu beschreiben. Aber ich glaube, die größten politischen Probleme, die wir zurzeit haben, liegen nicht darin, unsere eigene kulturelle abendländische Identität zu beschreiben, sondern da gibt es ein paar operative Fragen, an denen man sehr schön vorbeidiskutieren kann, wenn man darüber diskutiert, ob in Amtsstuben oder vor Amtsstuben ein Kreuz hängen soll.
    Nassehi: Nicht mit Widerspruch aus der Katholischen Kirche gerechnet
    Büüsker: Also setzt die CSU hier ganz bewusst auf das spalterische Potenzial dieser Debatte?
    Nassehi: Na ja. Das spalterische Potenzial wäre schon eine sehr, sehr starke Formulierung.
    Büüsker: Wir haben ja intensiv darüber diskutiert in der Öffentlichkeit und selbst aus den Kirchen kam Widerspruch.
    Nassehi: Ja. Ich glaube, dass dieser Widerspruch vielleicht ein bisschen überraschend für die CSU kam. Ich meine, das Interessante ist ja, dass die meisten doch nach einer Art Drehbuch argumentieren. Natürlich hat man sich auch in der CSU vorher Gedanken darüber gemacht, wer denn wohl dagegen reden wird, und die üblichen Verdächtigen reden dagegen. Das heißt, diejenigen, die dagegen reden, sind dann auch wieder der Anlass, stark zu machen, warum stehen wir eigentlich zu unserer eigenen kulturellen Identität.
    Dass das nun ausgerechnet aus der Katholischen Kirche, vor allem in der Person von Kardinal Marx kommt, damit hat man vielleicht nicht gerechnet, aber zu einen guten Drehbuch gehört auch zumindest eine Überraschung. Der Bußgang, der heute nach Rom stattfindet durch Söder, kann das ja vielleicht wieder geraderücken. Söder ist ja heute im Vatikan, das auch noch als Protestant. Man sieht also, dass die kulturellen Identitäten durchaus ein bisschen durcheinandergeraten können.
    Büüsker: Also machen wir beide uns jetzt auch zum Teil des CSU-Drehbuchs, indem wir über die ganze Sache sprechen?
    Nassehi: So ist es. Und auch über Drehbücher zu reden, gehört zu dem Drehbuch, und man kann es ja nicht vermeiden. Man kann die Dinge ja nicht nicht diskutieren. Ich finde es in Bayern ganz interessant, dass ausgerechnet – ich habe es vorhin schon erwähnt – im Bereich des Ministeriums für Wissenschaft und Kunst die Dinge etwas laxer gehandhabt werden, nur in Verwaltungsgebäuden und nicht in den nachgeordneten Behörden selbst hängen sollen. Und das ist ja auch ein Hinweis darauf, dass das womöglich in der bayerischen Regierung selbst ein bisschen umstritten ist. Die neue Wissenschaftsministerin hat sich ja schon kritisch zu der Frage geäußert.
    Das heißt, man sieht auch dort, dass das womöglich nicht die klügste Form ist, über so etwas wie Identitätspolitik nachzudenken. Der Begriff der Heimat spielt ja wieder eine größere Rolle. Ich finde das durchaus legitim, über Heimat nachzudenken. Vielleicht wäre es ja ganz spannend, darüber nachzudenken, unter welchen Bedingungen man sich in dieser Gesellschaft eigentlich heimisch fühlen kann. Das Kreuz als eine Art von verbindendem Symbol scheint, das im Moment eher nicht zu tun. Das heißt, man streitet darüber.
    Interessanterweise gehört zu dem Drehbuch ja auch, dass diejenigen, die mit dem Kreuz, also mit religiösen Symbolen normalerweise nicht allzu viel anfangen können, jetzt das Kreuz verteidigen als ein religiöses Symbol, an dem sich der Staat nicht vergreifen darf. Das heißt, zu dem Drehbuch gehört im Prinzip auch, dass man so ein bisschen Rollenwechsel macht, und der Effekt ist, dass wir darüber reden. Der Effekt ist, dass die CSU darstellen kann, dass sie eigentlich für das Eigene steht, und der unsichtbare Elefant im Raum ist natürlich auf der rechten Seite die AfD, die man versuchen will, aus dem bayerischen Landtag herauszuhalten. Ob das damit gelingt? Ich habe meine Zweifel.
    Büüsker: Der Effekt ist ja auch, dass ein gewisser Streit über das Kreuz als Symbol an sich entsteht. Und ich könnte mir vorstellen, dass das für viele wirklich zutiefst religiöse Menschen, denen das Kreuz sehr wichtig ist, auch ein gewisses verletzendes Potenzial haben könnte. Wie erleben Sie das?
    Nassehi: Ja, ich meinte das ja gerade mit der Idee, dass man das Kreuz so ähnlich behandelt wie das Kopftuch. Wer ernsthaft behauptet aus dem islamischen Bereich, dass das Kopftuch wirklich etwas ist, was für das Seelenheil relevant ist, was theologisch relevant ist, macht daraus tatsächlich nichts anderes als ein politisches Kampfsymbol. Und wenn man das Kreuz auch in erster Linie als kulturelles Symbol behandelt, dann nimmt man es religiös womöglich nicht ernst.
    In dem Einspieler, den Sie gerade von Söder gebracht haben, betont er ja extra, es sei natürlich nicht nur ein kulturelles, sondern auch ein religiöses Symbol. Die ersten Einlassungen waren tatsächlich so, dass er fast nur von Kultur gesprochen hat und das Religiöse ihm hinterher noch mal ins Manuskript reingeschrieben werden musste, weil man feststellte, das Kreuz hat ja durchaus auch eine religiöse Bedeutung. Man sieht daran, dass das natürlich eine Strategie ist, bei der es eher darum geht, Politik zu machen.
    Allerdings – und das ist vielleicht etwas, was in dem Drehbuch noch mal eine Wendung ist – könnte man gleichzeitig sagen, Söder selbst hat das ja durchaus auch mit geradezu ironischen Ikonografien vorgetragen, wie er selbst das Kreuz in seiner eigenen Staatskanzlei aufgehängt hat. Das hatte ja so was Ostentatives, so etwas geradezu filmisch Inszeniertes, dass man gleichzeitig die Ironie auch noch mit sehen konnte. Der Blick hat gesagt, wir werden jetzt mal sehen, dass alle die Rollen spielen, die sie spielen sollen, und am Ende wird es mir in die Karten spielen. Ich habe es gerade schon gesagt. Man weiß nicht, ob das dann aufgeht oder nicht.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.