Jürgen Liminski: Die Katastrophe in Japan gefährdet nach Einschätzung des Wirtschaftsministeriums nicht den Aufschwung in Deutschland. Die Signale für ein weiteres dynamisches Aufschwungsjahr stehen auf grün, hieß es in dem gestern veröffentlichten Monatsbericht. Angesichts des geringen Gewichts der japanischen Wirtschaft für den deutschen Außenhandel dürften von der Katastrophe, so heißt es weiter, nur begrenzte direkte Einflüsse ausgehen. Aber Deutschland und Japan sind nicht allein auf der Welt. Wie sind die Einflüsse auf die Weltwirtschaft und treffen uns mittelbar nicht doch die Folgen der Katastrophe? – Zu diesen Fragen begrüße ich den Präsidenten des Bundesverbands der Deutschen Industrie, Hans-Peter Keitel. Guten Morgen, Herr Keitel.
Hans-Peter Keitel: Guten Morgen, Herr Liminski!
Liminski: Herr Keitel, die Zahlen sind eindeutig: Der deutsche Export nach Japan liegt unter zwei Prozent, der Import unter drei Prozent, also keine unmittelbaren Auswirkungen. Aber mittelbar sind da nicht Auswirkungen zu befürchten, etwa über eine Abbremsung der Weltwirtschaft?
Keitel: Herr Liminski, ich bin sicherlich auch beunruhigt über die Fragen, wie sich die Weltwirtschaft im Zeichen dieser japanischen Katastrophe entwickeln wird. Aber viel, viel mehr bin ich im Moment betroffen über die Bilder, die uns aus Japan erreichen. Und wenn ich, wie gestern und vorgestern, mit meinen japanischen Freunden telefoniere, wenn ich beim japanischen Botschafter bin, um mit ihm über die Katastrophe zu sprechen, dann spüre ich dieses existenzielle Leid. Und mich bedrückt etwas, dass wir in Deutschland in allererster Linie eine innenpolitische Diskussion im Moment führen. Wir sollten uns auch die Zeit nehmen, mit den Japanern zu trauern.
Jetzt aber zu Ihrer Frage. Es ist richtig, dass Japan in den letzten Jahren aus der Weltwirtschaft etwas herausgewachsen ist. Wir sollten uns bemühen, sie wieder stärker zu integrieren. Dann wird auch die Auswirkung auf die Weltwirtschaft geringer bleiben, als wir dieses im Moment vielleicht befürchten.
Liminski: Sind nicht doch vielleicht auch Lieferengpässe zu befürchten in Bereichen, in denen Japan stark ist, zum Beispiel Elektroindustrie, oder im Optik- und Hightech-Sektor?
Keitel: Das mag im einen oder anderen Fall vorkommen. Es ist aber sicherlich viel zu früh, um hier endgültig etwas zu sagen. Wir wissen aber, dass natürlich die Katastrophe in Japan sich nicht etwa positiv auf die Wirtschaft auswirken wird. Es wird also schwieriger werden. Und schon deshalb müssen wir uns insgesamt auch in unseren Überlegungen über die Energieversorgung mit dieser neuen Situation sehr, sehr ernsthaft auseinandersetzen.
Liminski: Sie haben eingangs gesagt, wir sollten mit den Japanern auch mittrauern können, wenn nicht Solidarität zeigen, indem wir denen auch konkret helfen. Vielleicht auch die deutsche Wirtschaft in der einen oder anderen Weise?
Keitel: Es wird im Moment von der Wirtschaft, insbesondere auch von der Energiewirtschaft, unmittelbar geholfen. Es sind Hilfsleistungen nach Japan unterwegs und ich persönlich habe dem japanischen Botschafter die Hilfe der deutschen Industrie angeboten. Mittelfristig können wir anders helfen, indem wir uns mit unseren japanischen Freunden eben darüber unterhalten, wie ihre Abstinenz in der Weltwirtschaft – denn sie waren ja nun mal eine der führenden Nationen; sie waren fast eine Bedrohung wirtschaftlich für uns gewesen -, wie wir diese Abstinenz beenden, wie wir auch Investitionsentscheidungen so treffen, dass sie zugunsten Japans sich auswirken.
Liminski: Sie fahren jetzt zum Spitzengespräch der deutschen Wirtschaft in München. Ifo-Chef Hans-Werner Sinn hat gestern für die deutsche Wirtschaft da eine goldene Dekade vorausgesagt, und ein Grund seien eben die Investitionen. Sie hätten das Wachstum stärker angekurbelt als die Exporte. Herr Keitel, fällt jetzt nicht erst mal ein wichtiges asiatisches Land für Investitionen aus, oder heißt es für die deutsche Wirtschaft, nun erst recht in Japan investieren, wenn ich Sie so verstehen kann?
Keitel: Ich bin mit Prognosen etwas vorsichtig. Wir haben seit einer Woche eine völlig neue Lage und jetzt wiederum zehn Jahre nach vorne zu sehen, das ist doch sehr anspruchsvoll. Aber eines kann ich bestätigen: Die Voraussetzungen sind alles andere als negativ. Wir werden in diesem Jahr sicherlich, wenn nicht noch ganz Gravierendes passiert, wieder ein solides Wachstum hinlegen. Was ich nicht bestätigen kann, ist, dass es von großen Investitionen getragen ist. Wir werden Investitionen vornehmen müssen, um diesen Aufschwung zu stabilisieren. Deutschland ist ein Industrieland, ein Industrieland, das auf private und öffentliche Investitionen angewiesen ist, und der BDI tut sehr viel dafür, um deutlich zu machen, dass wir bei diesen Investitionen wieder zulegen müssen, denn die Zahlen zeigen, dass wir mittlerweile praktisch von unserer Substanz leben.
Liminski: Und wie sieht es mit den Investitionen in Asien und speziell in Japan aus?
Keitel: Ich sagte und möchte das gerne noch mal auch als Appell verstanden wissen: Wenn es darum geht, in Asien zu investieren, wo wir häufig immer wieder nur an China denken, mag es angezeigt sein, in der nächsten Zukunft darüber nachzudenken, ob nicht Japan der bessere Standort für Investitionen sein mag.
Liminski: Ein Faktor der guten Entwicklung in Deutschland ist der Binnenkonsum. Durch die Katastrophe in Japan, aber auch durch die Entwicklung in den arabischen Ländern übrigens werden Öl und Gas teurer. Man sieht es bei den Benzinpreisen. Geht über den Entzug von Kaufkraft nicht doch auch eine Bremswirkung auf die Konjunktur aus?
Keitel: Das mag so sein. Alle Überlegungen, die wir jetzt anstellen, auch während des Moratoriums in Bezug auf die zukünftige Energieversorgung, werden sich damit befassen müssen, was passiert denn, wenn die Voraussetzungen für unsere Energieversorgung eher schwieriger werden. Das sind alles Faktoren, die sich belastend auf die Konjunktur auswirken. Ich appelliere deshalb dringend an die verantwortlichen Politiker, nicht schon zu Beginn des Moratoriums schon wieder zu wissen, was am Ende der Überlegungen stehen wird. Wir alle wollen in eine saubere, in eine sichere, in eine bezahlbare Energie investieren. Wir wollen, dass die Zukunft an dieser Stelle für uns alle günstiger ist. Aber wir müssen dort auch zu vertretbaren Konditionen hinkommen.
Liminski: Eine Zukunft ohne Atomenergie für die nächste Zeit sehen Sie nicht?
Keitel: Alle Experten wissen, dass wir für eine absehbare Zeit weiter auch in Deutschland Atomenergie brauchen. Ich sage "auch in Deutschland", denn das ist ja bei Leibe keine deutsche Frage alleine. Wir werden aber natürlich darüber diskutieren müssen, welche anderen Energieformen wir brauchen, um die Atomkraft zu ersetzen, wenn wir denn früher aussteigen wollen. Anders geht es nicht. Und diese Diskussionen werden dann wieder zu Fragen führen (auch in der Bevölkerung), was sind wir bereit zu akzeptieren, wenn es um Kohlekraftwerke, wenn es um Gaskraftwerke geht, wenn es um Übertragungsleitungen geht. Dieses alles wird nicht gehen, indem wir uns einzig und allein auf die Frage des Abschaltens der Kernkraftwerke konzentrieren; wir müssen sehr wohl darüber reden, was an deren Stelle nachher stehen soll.
Liminski: Im Schatten der japanischen Katastrophe, Herr Keitel, ist ein weitreichender Beschluss der Staats- und Regierungschefs der EU kaum beachtet worden, aber es geht um Weichenstellungen hier auch für unsere Währung, für den Euro. Wie beurteilen Sie die jüngsten Beschlüsse der Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone?
Keitel: Es war ein großer Schritt nach vorne. Wir wissen, dass wir auch in Deutschland in Zukunft ganz offensichtlich mehr für die Stabilisierung tun müssen, auch mehr Geld in die Hand nehmen müssen, als uns das allen lieb ist. Wir müssen jetzt mit dafür sorgen, dass das, was in den politischen Entscheidungen angelegt ist, um die Schuldnerländer zu mehr Disziplin zu zwingen, dass das nicht zahnlos bleibt, sondern dass es politische Wirkung entfaltet, und dass wir zu sehr konkreten Maßnahmen kommen, die die Märkte stabilisieren, ohne dass wir immer nur auf einen Rettungsschirm vertrauen. Das heißt, wir müssen Brandherde, die dort entstanden sind, auch mal endgültig löschen und die Feuerwehr dann dort wieder abziehen.
Liminski: Nach der Meinung des früheren Finanzministers Steinbrück befinden wir uns bereits in einer Transferunion. In einem Gespräch mit dem Deutschlandfunk sagte er:
"Ich kritisiere, dass das Thema Transferunion im Sprachgebrauch so vermittelt wird, als ob wir damit ein völliges Neuland betreten. In Wirklichkeit haben wir längst eine Transferunion. In Wirklichkeit haben wir längst den Zustand erreicht, wo solvente europäische Staaten Bonität oder ihre Bonität und Liquidität an die Staaten abgeben und transferieren, die dies brauchen."
Liminski: Herr Keitel, sind wir bereits in einer Transferunion?
Keitel: Wir alle wissen, dass die Grenze sehr leicht überschritten ist, und wir alle können uns jetzt darüber streiten, sind wir schon über der Grenze, oder sind wir nahe dran. Deshalb sage ich noch mal: Alles, was sich hier an Rettungsmaßnahmen in der jüngeren Vergangenheit dargestellt hat und was beschlossen ist für die Zukunft, ist nur vertretbar, wenn gleichzeitig Disziplin eingefordert wird und wir uns gemeinsam, auch politisch, wirtschaftspolitisch, wirtschaftlich bemühen, dass die Abstände zwischen den Ländern nicht größer werden, sondern sich mittelfristig schließen.
Liminski: Sollte man hier nicht auch die Banken und privaten Kapitalgeber stärker einbeziehen?
Keitel: Ich sagte vorhin, wir sollten den einen oder anderen Brandherd endgültig löschen. Das geht nicht ohne Beteiligung der Gläubiger, auch der privaten Gläubiger. Dieses kann zu Schwierigkeiten im Einzelfall führen, in den Bilanzen der Banken. Deshalb muss es mit Umsicht geschehen. Aber ich plädiere dafür, dass man dieses den Fachleuten überträgt und dass man hier rasch zu endgültigen Lösungen kommt, denn nur so beruhigt man Finanzmärkte, die sich dieses sehr genau ansehen.
Liminski: Zu den Auswirkungen von Fukushima auf die Konjunktur, auf die Weltkonjunktur, und zur Zukunft der Währung war das hier im Deutschlandfunk Hans-Peter Keitel, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie. Besten Dank für das Gespräch, Herr Keitel.
Keitel: Gerne, Herr Liminski. Auf Wiederhören.
Hans-Peter Keitel: Guten Morgen, Herr Liminski!
Liminski: Herr Keitel, die Zahlen sind eindeutig: Der deutsche Export nach Japan liegt unter zwei Prozent, der Import unter drei Prozent, also keine unmittelbaren Auswirkungen. Aber mittelbar sind da nicht Auswirkungen zu befürchten, etwa über eine Abbremsung der Weltwirtschaft?
Keitel: Herr Liminski, ich bin sicherlich auch beunruhigt über die Fragen, wie sich die Weltwirtschaft im Zeichen dieser japanischen Katastrophe entwickeln wird. Aber viel, viel mehr bin ich im Moment betroffen über die Bilder, die uns aus Japan erreichen. Und wenn ich, wie gestern und vorgestern, mit meinen japanischen Freunden telefoniere, wenn ich beim japanischen Botschafter bin, um mit ihm über die Katastrophe zu sprechen, dann spüre ich dieses existenzielle Leid. Und mich bedrückt etwas, dass wir in Deutschland in allererster Linie eine innenpolitische Diskussion im Moment führen. Wir sollten uns auch die Zeit nehmen, mit den Japanern zu trauern.
Jetzt aber zu Ihrer Frage. Es ist richtig, dass Japan in den letzten Jahren aus der Weltwirtschaft etwas herausgewachsen ist. Wir sollten uns bemühen, sie wieder stärker zu integrieren. Dann wird auch die Auswirkung auf die Weltwirtschaft geringer bleiben, als wir dieses im Moment vielleicht befürchten.
Liminski: Sind nicht doch vielleicht auch Lieferengpässe zu befürchten in Bereichen, in denen Japan stark ist, zum Beispiel Elektroindustrie, oder im Optik- und Hightech-Sektor?
Keitel: Das mag im einen oder anderen Fall vorkommen. Es ist aber sicherlich viel zu früh, um hier endgültig etwas zu sagen. Wir wissen aber, dass natürlich die Katastrophe in Japan sich nicht etwa positiv auf die Wirtschaft auswirken wird. Es wird also schwieriger werden. Und schon deshalb müssen wir uns insgesamt auch in unseren Überlegungen über die Energieversorgung mit dieser neuen Situation sehr, sehr ernsthaft auseinandersetzen.
Liminski: Sie haben eingangs gesagt, wir sollten mit den Japanern auch mittrauern können, wenn nicht Solidarität zeigen, indem wir denen auch konkret helfen. Vielleicht auch die deutsche Wirtschaft in der einen oder anderen Weise?
Keitel: Es wird im Moment von der Wirtschaft, insbesondere auch von der Energiewirtschaft, unmittelbar geholfen. Es sind Hilfsleistungen nach Japan unterwegs und ich persönlich habe dem japanischen Botschafter die Hilfe der deutschen Industrie angeboten. Mittelfristig können wir anders helfen, indem wir uns mit unseren japanischen Freunden eben darüber unterhalten, wie ihre Abstinenz in der Weltwirtschaft – denn sie waren ja nun mal eine der führenden Nationen; sie waren fast eine Bedrohung wirtschaftlich für uns gewesen -, wie wir diese Abstinenz beenden, wie wir auch Investitionsentscheidungen so treffen, dass sie zugunsten Japans sich auswirken.
Liminski: Sie fahren jetzt zum Spitzengespräch der deutschen Wirtschaft in München. Ifo-Chef Hans-Werner Sinn hat gestern für die deutsche Wirtschaft da eine goldene Dekade vorausgesagt, und ein Grund seien eben die Investitionen. Sie hätten das Wachstum stärker angekurbelt als die Exporte. Herr Keitel, fällt jetzt nicht erst mal ein wichtiges asiatisches Land für Investitionen aus, oder heißt es für die deutsche Wirtschaft, nun erst recht in Japan investieren, wenn ich Sie so verstehen kann?
Keitel: Ich bin mit Prognosen etwas vorsichtig. Wir haben seit einer Woche eine völlig neue Lage und jetzt wiederum zehn Jahre nach vorne zu sehen, das ist doch sehr anspruchsvoll. Aber eines kann ich bestätigen: Die Voraussetzungen sind alles andere als negativ. Wir werden in diesem Jahr sicherlich, wenn nicht noch ganz Gravierendes passiert, wieder ein solides Wachstum hinlegen. Was ich nicht bestätigen kann, ist, dass es von großen Investitionen getragen ist. Wir werden Investitionen vornehmen müssen, um diesen Aufschwung zu stabilisieren. Deutschland ist ein Industrieland, ein Industrieland, das auf private und öffentliche Investitionen angewiesen ist, und der BDI tut sehr viel dafür, um deutlich zu machen, dass wir bei diesen Investitionen wieder zulegen müssen, denn die Zahlen zeigen, dass wir mittlerweile praktisch von unserer Substanz leben.
Liminski: Und wie sieht es mit den Investitionen in Asien und speziell in Japan aus?
Keitel: Ich sagte und möchte das gerne noch mal auch als Appell verstanden wissen: Wenn es darum geht, in Asien zu investieren, wo wir häufig immer wieder nur an China denken, mag es angezeigt sein, in der nächsten Zukunft darüber nachzudenken, ob nicht Japan der bessere Standort für Investitionen sein mag.
Liminski: Ein Faktor der guten Entwicklung in Deutschland ist der Binnenkonsum. Durch die Katastrophe in Japan, aber auch durch die Entwicklung in den arabischen Ländern übrigens werden Öl und Gas teurer. Man sieht es bei den Benzinpreisen. Geht über den Entzug von Kaufkraft nicht doch auch eine Bremswirkung auf die Konjunktur aus?
Keitel: Das mag so sein. Alle Überlegungen, die wir jetzt anstellen, auch während des Moratoriums in Bezug auf die zukünftige Energieversorgung, werden sich damit befassen müssen, was passiert denn, wenn die Voraussetzungen für unsere Energieversorgung eher schwieriger werden. Das sind alles Faktoren, die sich belastend auf die Konjunktur auswirken. Ich appelliere deshalb dringend an die verantwortlichen Politiker, nicht schon zu Beginn des Moratoriums schon wieder zu wissen, was am Ende der Überlegungen stehen wird. Wir alle wollen in eine saubere, in eine sichere, in eine bezahlbare Energie investieren. Wir wollen, dass die Zukunft an dieser Stelle für uns alle günstiger ist. Aber wir müssen dort auch zu vertretbaren Konditionen hinkommen.
Liminski: Eine Zukunft ohne Atomenergie für die nächste Zeit sehen Sie nicht?
Keitel: Alle Experten wissen, dass wir für eine absehbare Zeit weiter auch in Deutschland Atomenergie brauchen. Ich sage "auch in Deutschland", denn das ist ja bei Leibe keine deutsche Frage alleine. Wir werden aber natürlich darüber diskutieren müssen, welche anderen Energieformen wir brauchen, um die Atomkraft zu ersetzen, wenn wir denn früher aussteigen wollen. Anders geht es nicht. Und diese Diskussionen werden dann wieder zu Fragen führen (auch in der Bevölkerung), was sind wir bereit zu akzeptieren, wenn es um Kohlekraftwerke, wenn es um Gaskraftwerke geht, wenn es um Übertragungsleitungen geht. Dieses alles wird nicht gehen, indem wir uns einzig und allein auf die Frage des Abschaltens der Kernkraftwerke konzentrieren; wir müssen sehr wohl darüber reden, was an deren Stelle nachher stehen soll.
Liminski: Im Schatten der japanischen Katastrophe, Herr Keitel, ist ein weitreichender Beschluss der Staats- und Regierungschefs der EU kaum beachtet worden, aber es geht um Weichenstellungen hier auch für unsere Währung, für den Euro. Wie beurteilen Sie die jüngsten Beschlüsse der Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone?
Keitel: Es war ein großer Schritt nach vorne. Wir wissen, dass wir auch in Deutschland in Zukunft ganz offensichtlich mehr für die Stabilisierung tun müssen, auch mehr Geld in die Hand nehmen müssen, als uns das allen lieb ist. Wir müssen jetzt mit dafür sorgen, dass das, was in den politischen Entscheidungen angelegt ist, um die Schuldnerländer zu mehr Disziplin zu zwingen, dass das nicht zahnlos bleibt, sondern dass es politische Wirkung entfaltet, und dass wir zu sehr konkreten Maßnahmen kommen, die die Märkte stabilisieren, ohne dass wir immer nur auf einen Rettungsschirm vertrauen. Das heißt, wir müssen Brandherde, die dort entstanden sind, auch mal endgültig löschen und die Feuerwehr dann dort wieder abziehen.
Liminski: Nach der Meinung des früheren Finanzministers Steinbrück befinden wir uns bereits in einer Transferunion. In einem Gespräch mit dem Deutschlandfunk sagte er:
"Ich kritisiere, dass das Thema Transferunion im Sprachgebrauch so vermittelt wird, als ob wir damit ein völliges Neuland betreten. In Wirklichkeit haben wir längst eine Transferunion. In Wirklichkeit haben wir längst den Zustand erreicht, wo solvente europäische Staaten Bonität oder ihre Bonität und Liquidität an die Staaten abgeben und transferieren, die dies brauchen."
Liminski: Herr Keitel, sind wir bereits in einer Transferunion?
Keitel: Wir alle wissen, dass die Grenze sehr leicht überschritten ist, und wir alle können uns jetzt darüber streiten, sind wir schon über der Grenze, oder sind wir nahe dran. Deshalb sage ich noch mal: Alles, was sich hier an Rettungsmaßnahmen in der jüngeren Vergangenheit dargestellt hat und was beschlossen ist für die Zukunft, ist nur vertretbar, wenn gleichzeitig Disziplin eingefordert wird und wir uns gemeinsam, auch politisch, wirtschaftspolitisch, wirtschaftlich bemühen, dass die Abstände zwischen den Ländern nicht größer werden, sondern sich mittelfristig schließen.
Liminski: Sollte man hier nicht auch die Banken und privaten Kapitalgeber stärker einbeziehen?
Keitel: Ich sagte vorhin, wir sollten den einen oder anderen Brandherd endgültig löschen. Das geht nicht ohne Beteiligung der Gläubiger, auch der privaten Gläubiger. Dieses kann zu Schwierigkeiten im Einzelfall führen, in den Bilanzen der Banken. Deshalb muss es mit Umsicht geschehen. Aber ich plädiere dafür, dass man dieses den Fachleuten überträgt und dass man hier rasch zu endgültigen Lösungen kommt, denn nur so beruhigt man Finanzmärkte, die sich dieses sehr genau ansehen.
Liminski: Zu den Auswirkungen von Fukushima auf die Konjunktur, auf die Weltkonjunktur, und zur Zukunft der Währung war das hier im Deutschlandfunk Hans-Peter Keitel, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie. Besten Dank für das Gespräch, Herr Keitel.
Keitel: Gerne, Herr Liminski. Auf Wiederhören.