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BDI-Jahresauftakt
Industrie teilt gegen Regierung aus

Die deutsche Industrie steckt in der Rezession: Die Produktion sinkt, Arbeitsplätze gehen verloren. Und der Frust steigt. Jetzt nimmt der Industrieverband BDI die Politik in die Pflicht: Die soll endlich mehr investieren und die Unternehmen entlasten.

Von Niklas Potthoff | 16.01.2020
16.01.2020, Berlin: Dieter Kempf, BDI-Präsident, bei der Jahresauftakt-Pressekonferenz des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) in der Bundespressekonferenz. Der BDI führt das BIP-Plus von 0,5 Prozent zu achtzig Prozent auf die höhere Zahl an Arbeitstagen zurück. Foto: Jörg Carstensen/dpa | Verwendung weltweit
BDI-Präsident Dieter Kempf: Für 2020 rechnet sein Verband nur noch mit 0,5 Prozent Wachstum (dpa)
Hohe Belastungen für Unternehmen, wenig Investitionen, lange bürokratische Prozesse. BDI-Präsident Dieter Kempf schlägt nach den ernüchternden Zahlen des vergangenen Jahres Alarm für die Zukunft der deutschen Industrie:
"Ich habe es an anderer Stelle schon mal gesagt: Deutschland ist ein Schnarchland geworden."
Die Botschaft des BDI heute: Es muss gehandelt werden. Denn die Unternehmen in Deutschland würden so langsam ungeduldig - und nervös.
Energiekosten, Steuern - alles runter, sagt der BDI
Nachdem 2019 mit 0,6 Prozent der schwächste Zuwachs des Bruttoinlandsproduktes seit 2013 zu verzeichnen war, geht der BDI in den Erwartungen für dieses Jahr sogar noch runter - auf 0,5 Prozent:
"Etwas weniger als im gerade abgelaufenen Jahr. Und wenn man bedenkt das 0,4 Prozentpunkte sich allein aus der deutlich höheren Anzahl von Arbeitstagen im Jahr 2020 ergeben, dann ist es berechtigt nur von einer Seitwärtsbewegung zu sprechen."
Dass sich bald daran etwas ändert, ist für Kempf nicht absehbar: Zu groß sind seiner Ansicht nach die Standortnachteile, die Unternehmen hierzulande momentan hätten. Immer wieder bemüht Dieter Kempf dabei den europäischen Vergleich: Die Energiekosten seien zu hoch, und auch bei Steuerbelastungen für Unternehmen liege man weit über dem Durchschnitt.
Kritik am Kohlekompromiss
Dabei nimmt er auch Bezug auf den gestern ausgehandelten Kohlekompromiss. Darin enthalten sind geplante Entlastungen für die Wirtschaft. Für Kempf sind die ausgehandelten Ausgleichszahlungen jedoch zu gering. Der BDI fordert jetzt eine sofortige Investitionsoffensive als Wachstumsprogramm - angelegt auf zehn Jahre, bis 2030.
Finanzminister Olaf Scholz hatte am Montag einen Haushaltsüberschuss in Höhe von 13 Milliarden Euro für das vergangene Jahr verkündet. Dazu Kempf heute:
"Die Kassenlage erlaubt es ja auch. Der Finanzminister hat ja wieder mal eine positive Überraschung bei der Steuerschätzung erlebt und weist ja auch selbst immer wieder darauf hin, dass eigentlich genügend Geld da war."
Im Handelsstreit nur eine Atempause
Das Geld wird aber an den falschen Stellen eingesetzt, urteilt der BDI-Präsident. Über Jahre sei zu wenig etwa in die Infrastruktur investiert worden. Dazu sei der bürokratische Aufwand an vielen Stellen immer noch enorm und blockiere wichtige Bauprojekte:
"Nehmen Sie das Beispiel Mobilfunkmast. In Deutschland dauert es im Schnitt 18 Monate, ehe ein Mast genehmigt ist. Im Europäischen Ausland im Schnitt zwischen vier und sechs."
Dabei spricht Kempf immer wieder über die internationale Lage. Das gestern zwischen den USA und China unterzeichnete Abkommen im Handelsstreit schätzt Kempf maximal als Atempause im Handelskonflikt ein. Er appelliert immer wieder an eine gezielte Stärkung von Europa. "Um sich auf Augenhöhe mit China oder den USA zu bewegen, muss man die gemeinsame Handelskraft einsetzen", bekräftigt Kempf.
Geld für den Klimawandel soll auch von der Politik kommen
Das hält er auch mit Blick auf die Klimapolitik für entscheidend. Kempf kritisiert die aktuelle Politik als kurzsichtig.
"Der Klimawandel wird nicht zu bewältigen sein mit nahezu religiös vorgebrachter Verzichtskultur. Das werden wir nur bewältigen mit der richtigen Industrietechnologie für morgen, und da sehen wir deutsche, europäische Unternehmen mit an vorderster Front."
Dabei gehöre es zur Verpflichtung jedes Unternehmens, seinen Beitrag zum Erreichen der Klimaziele umzusetzen. Doch ohne einen monetären Anschub an verschiedenen Stellen sieht Kempf schwarz, dass jemand die Finanzierung in die Hand nimmt.