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BDI-Präsident Thumann will weitere Lockerung des Kündigungsschutzes

Jürgen Thumann, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, dringt auf eine weitere Lockerung des Kündigungsschutzes. Darüber sei man mit der Bundesregierung auch nach der vereinbarten Verlängerung der Probezeit von 6 auf 24 Monate im Gespräch. "Wir müssen hier sehen, dass wir vorankommen", sagte Thumann.

Moderation: Bettina Klein |
    Bettina Klein: Der BDI, das ist vielleicht die einflussreichste wirtschaftliche Interessenvertretung der Republik. Es gab wahrscheinlich noch keinen Bundeskanzler, der über wirtschaftspolitische Pläne nicht mit dem jeweiligen BDI-Präsidenten gesprochen hätte. Heute trifft sich Bundeskanzlerin Merkel unter anderem mit Jürgen Thumann zu einem Spitzengespräch der deutschen Wirtschaft bei der Handwerksmesse in München, und den BDI-Präsidenten begrüße ich jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen!

    Jürgen Thumann: Schönen guten Morgen!

    Klein: Welchen wichtigsten Wunsch wollen Sie heute Frau Merkel auf den Weg geben?

    Thumann: Das wichtigste, glaube ich, das uns alle bedrängt, ist das Thema der Massenarbeitslosigkeit. Hier gilt es, weiter zu reformieren, die richtigen Schritte zu tun. An allererster Stelle steht eine weitere Modernisierung des Arbeitsrechts, und wir brauchen in der Wirtschaft Flexibilisierung der betrieblichen Bündnisse. Wir brauchen viele Möglichkeiten, damit die Unternehmer anfangen, verstärkt einzustellen. Die Lage ist insgesamt gut und bessert sich eigentlich in den letzten Monaten von Monat zu Monat, und wir haben alle Chancen, einen Aufschwung doch sicherzustellen.

    Klein: Herr Thumann, Sie haben vor der Wahl – und zwar nicht nur kurz vor der Wahl, sondern eigentlich über Jahre hinweg – entschiedene Reformen gefordert wie Liberalisierung des Arbeitsmarktes, Sozialreform, Unternehmenssteuerreform. Sehr viel ist bisher nicht passiert und von Ihnen hört man eigentlich erstaunlich wenig Kritik?

    Thumann: Nun ich gehe einfach von der Lage aus. Wir haben eine große Koalition. So haben die Wähler im September vergangenen Jahres entschieden. Dieser Koalitionsvertrag, der geschlossen wurde, bietet Perspektiven auch für die Industrie und die Wirtschaft insgesamt. Es gilt eigentlich darauf zu achten, dass diese große Koalition diese Inhalte, die sie verabredet hat, nun auch umsetzt. Und da, muss ich sagen, haben die gut ersten 100 Tage dieser Koalition eine sehr sachorientierte Arbeit geleistet und sie haben auch Entscheidungen getroffen, die wir begrüßen und die uns auch weiter bringen werden.
    Natürlich haben Sie Recht. Die Schritte, die bisher getan wurden, sind klein, aber sie sind wenigstens alle in die richtige Richtung getan.

    Klein: Jetzt sprechen Sie von sachorientierter Politik. Man kann es natürlich auch eine Politik der ruhigen Hand nennen, die ja nicht zu allen Zeiten wirklich auch auf Ihre Gegenliebe gestoßen ist?

    Thumann: Ich wiederhole: Das was die große Koalition bietet und was sie verabredet hat, wird abgearbeitet. Bedenken Sie bitte: Ein anderes drängendes Thema, um auch der Arbeitslosigkeit zu begegnen, ist ja das Thema der Bildung und Ausbildung, der Forschung und Entwicklung. Und hier hat die Regierung mit ihren Programmen, die sie in Genshagen beschlossen hat, wesentliche Schritte auch in die richtige Richtung getan. Weitergehende Reformen mahnen wir an und stehen auf der Tagesordnung. Bedenken Sie nur die Gesundheitsreform, die Reformen im gesamten sozialen Recht. Bedenken Sie auch bitte die große Unternehmenssteuerreform.

    Klein: Die alle geplant sind und ja vielleicht kommen werden. Vielleicht können wir davon ausgehen, dass nach den Landtagswahlen Ende März etwas mehr Schwung in die Innenpolitik wieder kommt. Noch mal die Frage: Welche konkreten Ziele, welche konkreten Reformen müssen als erstes jetzt angegangen werden von der Koalition?

    Thumann: Aus Sicht der Industrie in der Wirtschaft insgesamt ist für uns ganz oben auf der Agenda die Reform des Arbeitsrechts, an zweiter Stelle die Unternehmenssteuerreform und hier ein Teil, der mir fest zugesagt worden ist, nicht nur von unserer Bundeskanzlerin Frau Merkel, auch von Herrn Müntefering, auch von Herrn Steinbrück in Gesprächen noch in den letzten Tagen, dass nämlich die Erbschaftssteuerreform noch in diesem Jahr verabschiedet werden wird, und sie soll zum 1. Januar nächsten Jahres wirksam werden. Das bedeutet: Bei betrieblichen Übergängen wird die Erbschaftssteuer, sollte der Betrieb von den Kindern mindestens zehn Jahre fortgeführt werden, abgeschmolzen. Das heißt, nach zehn Jahren ist sie ganz entfallen. Ein wichtiges Signal für alle Eigentümerunternehmer und hier gilt es nämlich auch dafür zu sorgen, dass diese Übergänge reibungslos verlaufen, die Unternehmen nicht schwächeln, um so Arbeitsplätze zu sichern und hoffentlich auch weitere neue Arbeitsplätze in Deutschland zu schaffen.

    Klein: Einen anderen Punkt haben Sie gerade angesprochen: Reform des Arbeitsrechtes. Was ist Ihnen denn da schon zugesagt worden von der großen Koalition?

    Thumann: Bei der Reform des Arbeitsrechts haben wir einmal die Verlängerung der Kündigungsfristen von 6 auf 24 Monate. Hier sind wir in intensiven Gesprächen, was es weiter zu tun gilt im Rahmen der betrieblichen Bündnisse und einer weiteren Lockerung und Vereinfachung auch des Kündigungsschutzes. Wir müssen hier sehen, dass wir vorankommen und dass es hier zu einer Deregulierung kommt.

    Klein: Eine andere Entscheidung, Herr Thumann, die gefallen ist, ist die mit Bezug auf die Mehrwertsteuer, die angehoben werden wird zum 1. Januar. Die größte Steuererhöhung, so gut wie, in der Geschichte der Bundesrepublik. Welches positive Signal erwarten Sie denn von dieser Entscheidung für die Wirtschaft?

    Thumann: Die Erhöhung der Mehrwertsteuer ist von uns und auch von mir bisher in der Höhe von drei Prozentpunkten nicht begrüßt worden. Wenn sie denn aus Sicht der großen Koalition und der Bundesregierung unbedingt sein muss, so drängen wir sehr darauf, dass zumindest ein großer Teil dieser Mehrwertsteuererhöhung dahingehend eingesetzt und verwandt wird, dass die Lohnzusatzkosten gesenkt werden. Da geht es uns einfach darum, dass die Arbeitskosten in Deutschland geringer werden und dass wir versuchen, über die Senkung der Lohnzusatzkosten an Wettbewerbsfähigkeit zu gewinnen. Wir müssen aber klar sagen, dass die Mehrwertsteuererhöhung, sollte sie weitestgehend nicht zur Senkung der Lohnzusatzkosten eingesetzt werden, sondern weitestgehend zur Sanierung der Haushalte, sicherlich ein Risiko in sich birgt, dass die nun gerade in Gang kommende bessere Konjunktur wieder gebremst wird.

    Klein: Der Bundestag wird sich heute mit der Lissabonstrategie beschäftigen, ein Prozess, der vor einigen Jahren angeschoben wurde. Und da ging es unter anderem auch um Reformen in den EU-Staaten. Das Ziel war mehr Wachstum und Beschäftigung. Das Ziel war, Europa zu einer der dynamischsten oder der dynamischsten Wirtschaftsregionen der Welt weiter zu entwickeln. Wie zufrieden sind Sie denn in Bezug darauf mit dem, was passiert ist bisher?

    Thumann: Aus deutscher Sicht müssen wir, wenn wir ehrlich sind, sagen gehören wir nicht zu denen, die diesen Prozess in den letzten Jahren beschleunigt und befördert haben. Das Gegenteil ist der Fall. Wir sind eigentlich immer im Konjunkturzug Europa sozusagen im letzten Wagen gesessen. Hier gilt es auch, dass wir in Deutschland vorankommen. Als die größte wirtschaftliche Nation innerhalb des europäischen Verbundes, der Europäischen Union müssen wir dafür sorgen, dass es hier durch unsere Reformpolitik, durch Zeichen, die wir damit setzen, voran geht und dass wir an Wettbewerbsfähigkeit eben nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa gewinnen.

    Klein: Wieviel Zeit haben wir denn noch dafür?

    Thumann: Wenig, denn die Welt um uns herum bleibt nicht stehen. Sie entwickelt sich weiter. Wir leben hier nicht auf einer Insel. Wir müssen uns tagtäglich in der Wirtschaft mit dem Wettbewerb aus der gesamten Welt auseinandersetzen, und es wird für uns alle hier nicht einfacher. Je länger wir warten, umso größer wird die Reformnotwendigkeit und umso größer werden auch die Schnitte, die getan werden müssen – Sie kennen den berühmten Gürtel, den wir alle enger schnallen müssen -, damit wir hier in Deutschland an Wettbewerbsfähigkeit gewinnen. Den müssen wir dann noch ein Loch enger ziehen.

    Klein: BDI-Präsident Jürgen Thumann war das. Danke für das Gespräch!