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Beate Klarsfeld zum Erfolg des Front National
"Mich erinnert das irgendwie an das Jahr 1933 in Deutschland"

Die Publizistin und Nazi-Enthüllerin Beate Klarsfeld sieht den Erfolg des rechtsextremen Front National bei der ersten Runde der Regionalwahlen in Frankreich als Warnung für die Politik. Die Menschen seien unzufrieden sowohl mit den Sozialisten als auch mit den Konservativen und ließen sich von Demagogen einfangen, sagte Klarsfeld im Deutschlandfunk.

Beate Klarsfeld im Gespräch mit Sandra Schulz | 08.12.2015
    Beate Klarsfeld zwischen den Stelen des Holocaust-Mahnmal in Berlin
    Beate Klarsfeld zwischen den Stelen des Holocaust-Mahnmal in Berlin (imago/IPON)
    Nun müsse man ihnen erklären, dass sie auf dem falschen Weg seien. Der Front National sei unter Marine Le Pen keinesfalls gemäßigter geworden. Klarsfeld betonte, bei ihr würden Erinnerungen an das Jahr 1933 in Deutschland wach. Sie hoffe nicht, dass sich der Erfolg der Rechtsextremen in der zweiten Runde der Wahlen verfestige.
    Landesweit hatte die Partei rund 28 Prozent der Stimmen erzielt und war in mehreren Regionen stärkste Kraft geworden. Das konservative Lager des früheren Staatschefs Sarkozy erreichte knapp 27 Prozent, die Sozialisten von Präsident Hollande kamen auf etwa 23 Prozent.

    Das Interview in voller Länge:
    Sandra Schulz: Es ist jetzt immer wieder gesagt worden: Bei den französischen Regionalwahlen sind die Ergebnisse nach dem zweiten Wahldurchgang entscheidend. Aber über den Zwischenstand nach der ersten Runde am Sonntag müssen wir reden, denn er wirft viele Fragen auf, der Triumph des rechten Front National am Wochenende. Mit knapp 28 Prozent der Stimmen landesweit ist er die stärkste Kraft geworden und jetzt beginnt vor dem zweiten Wahlgang das Taktieren. Die Sozialisten haben schon angekündigt, dass sie in den Regionen, in denen sie wohl keine Chance hätten, nicht antreten. Das schwächt die Rechten, denn die Chancen für die Republikaner von Nicolas Sarkozy wachsen. Der allerdings stellt schon klar: Für uns kommt ein Verzicht oder eine Zusammenarbeit nicht in Frage.
    Wird der Front National dann auch am Ende der lachende Dritte sein - Thema hier bei uns in den kommenden Minuten. Wir haben in Paris die deutsch-französische Journalistin Beate Klarsfeld erreicht, eine Frau, die weltweit Anerkennung gefunden hat für ihre wichtige Rolle bei der Aufarbeitung des NS-Unrechts und der Verfolgung der Täter. Sie lebt seit Jahrzehnten in Paris. Guten Morgen, Frau Klarsfeld.
    Beate Klarsfeld: Guten Morgen!
    Schulz: Das ist wohl auch heute Morgen noch die Frage des Tages: Wie ist es zu diesem Triumph des rechten Front National gekommen?
    Klarsfeld: Wie ist es dazu gekommen? Wie auch in Deutschland. Die Menschen waren nicht zufrieden mit der Regierung von Sarkozy im Allgemeinen, mit Hollande auch nicht, und dann ist es immer ein Dritter: ein Demagoge, der viel verspricht, der nie etwas geleistet hat, der nie an der Regierung war. Die unzufriedenen Bürger wählen dann diese Partei in der Hoffnung, dass es ihnen besser gehen wird, was natürlich völlig falsch ist.
    Schulz: Ist es diese Unzufriedenheit, oder war es vielleicht auch der islamistische Anschlag, die Islamisten, die jetzt dem Front National den Wahlsieg beschert haben?
    Klarsfeld: Das hat dazu beigetragen, selbstverständlich, ist aber nicht der einzige Grund. Bestimmt nicht!
    Die Regierung hatte ein Jahr, um den Anschlag zu verhindern
    Schulz: Warum stemmen sich die Wähler nicht dagegen, dass dieses Kalkül der Islamisten jetzt auch so aufgeht?
    Klarsfeld: Wie bitte?
    Schulz: Warum stemmen sich die Wähler nicht dagegen, wenn das Kalkül der Islamisten ja doch eigentlich so klar auf der Hand liegt?
    Klarsfeld: Es gibt viele Moslems, die jetzt den Front National wählen, auch deswegen, weil sie glauben, dass der Front National in der Lage ist, diese Anschläge der Islamisten zu beenden. Sie wissen ja: Seit dem Attentat damals auf Charlie Hebdo und das jüdische Delikatessengeschäft hatten die Franzosen, die Hollande-Regierung ein Jahr, um irgendetwas zu unternehmen, um einen zweiten Anschlag zu verhindern, was nicht geschehen ist leider Gottes. Das ist natürlich auch die Tatsache, dass man sagt, die französische Regierung, der Verfassungsschutz haben nicht genug gearbeitet, um das zu verhindern, was vielleicht auch ein bisschen möglich ist, denn im Allgemeinen, was wir immer versucht haben, den Regierungen zu erklären, dass diejenigen, die anfällig sind und die ja alle polizeilich festgehalten sind, wie auch bei Ihnen in Deutschland, dass man die irgendwie entfernt aus der Gesellschaft. Es gibt dafür das schöne Wort in Deutschland "Vorbeugehaft". Das hätte man natürlich nach den Anschlägen auf Charlie Hebdo tun sollen, um zu verhindern, dass all diejenigen, die jetzt in Paris für die Anschläge verantwortlich sind und für den Tod von 130 Menschen in den Restaurants und im Bataclan, es vielleicht nicht geschafft hätten, diese Attentate durchzuführen.
    Schulz: Nach den Anschlägen vom 13. November, da hat der französische Präsident Hollande ja versucht, sich als Krisenmanager zu zeigen, als jemand, der durchgreift mit einer schnellen militärischen Antwort und weiteren Luftschlägen auch gegen den IS in Syrien. War das dann gerade falsch? War es nicht genug?
    "Wir haben ein bisschen Angst, dass Marine Le Pen Präsidentin werden kann"
    Klarsfeld: Ich weiß nicht, ob man mit Luftanschlägen in Syrien die Islamisten ausschalten kann. Sie wissen ja, das ist eine Diskussion jetzt auch zwischen Deutschland und Frankreich. Die Deutschen sind nicht für den Einsatz in Syrien, aber es werden ja nur Flugzeuge geliefert. Aber trotz allem ist es sehr, sehr schwer, das zu erreichen, denn es müsste irgendwie eine Lösung in Syrien geschaffen werden, denn die Situation ist sehr merkwürdig. Die Rebellen, die gegen Assad kämpfen, werden von Russland unterstützt. Die Europäer wollen die Islamisten töten. Es ist sehr, sehr kompliziert. Das ist eine Situation, die von den Regierungen geklärt werden muss, aber das ist sehr schwierig, und um den Islamismus zu bekämpfen, ist es eine lange Frage.
    Schulz: Haben die Parteien, die im Moment in der Rolle der Akteure sind, anders als der Front National, der das Ganze nur kommentiert und kaum, abgesehen von Bürgermeisterposten, tatsächliche Verantwortung trägt, haben die Parteien da tatsächlich auch die weitaus schwierigere Rolle?
    Klarsfeld: Es ist natürlich so: Im Augenblick hat der Front National von den 13 Regionen immerhin sechs gewonnen. Für mich als Deutsche erinnert mich das irgendwie an das Jahr 1933 in Deutschland. Während des Wohlstandes 1924-28, da hatten die Nazis 12 oder 14 Abgeordnete im Reichstag. 1933 waren es 117 und 1933 war Hitler an der Macht. Wir haben ein bisschen Angst, dass 1933 vergleichbar wird mit 2017 hier in Frankreich und Marine Le Pen Präsidentin werden kann.
    Schulz: Sie würden so weit gehen, die Gefährlichkeit der Situation zu vergleichen mit Deutschland '33? Ist das nicht ein angreifbarer Vergleich?
    "Eine Regierung mit dem Front National ist ganz unmöglich"
    Klarsfeld: Nicht so, aber zumindest symbolisch gehandelt. Das heißt, die Reaktion der Menschen auf Unzufriedenheit. Man stellt sich mal vor, man hätte nie gedacht, dass Hitler das tun würde, was er gemacht hat im Zweiten Weltkrieg. Die Menschen sind ein bisschen verblendet und sie lassen sich eigentlich einspannen von einem Demagogen, und das muss man verhindern. Man muss ihnen erklären, wie ist die Realität, wie würde diese Regierung etwas machen. Eine Regierung mit dem Front National ist ganz unmöglich. Raus aus Europa, raus aus dem Euro. Und dann die deutsch-französische Freundschaft wird natürlich beendet sein. Erinnern wir uns an den 7. Oktober in diesem Jahr, als Frau Merkel und Hollande in das Europaparlament kamen. Was sagte da Marine Le Pen? Guten Tag, Frau Merkel. Schön, dass Sie gekommen sind in Begleitung Ihres Vizekanzlers Hollande und Administrator der Provinz Frankreich. Glauben Sie, das ist ein gutes deutsch-französisches Verhältnis?
    Schulz: Klingt nicht so. - Gleichzeitig versucht Marine Le Pen ja, ihrer Partei oder ihrem Front National jetzt ein gemäßigteres Bild zu geben. Das halten Sie für vorgeschoben?
    Klarsfeld: Sie meinen, dass sie sich vom Vater völlig getrennt hat. Da gab es solche Äußerungen wie, die deutsche Wehrmacht war nicht so schlimm. - Ich glaube nicht, denn die Freundschaft zum Vater bleibt. Die ist immer noch stark. Im Augenblick hat natürlich Marine Le Pen versucht, Antisemitismus und dergleichen etwas zur Seite zu stellen. Deswegen hat sie ja auch mehr Wähler bekommen. Aber ich glaube, wenn sie an der Macht ist, wird das alles wieder erscheinen.
    Schulz: Entscheidend ist wie gesagt die zweite Runde am kommenden Wochenende. Wie blicken Sie jetzt darauf?
    Klarsfeld: Ich habe schon die Reportagen gelesen hier in Frankreich, Sie wahrscheinlich in Deutschland auch. Im Augenblick sieht es so aus, dass der Erfolg des Front National zurückgehen wird. Hoffen wir es!
    "Wenn der Front National gestärkt wird, wäre das ganz fürchterlich"
    Schulz: Das wäre dann nur ein Paukenschlag gewesen?
    Klarsfeld: Ja! Aber der Paukenschlag kann auch viele anziehen, die im ersten Wahlgang nicht gewählt haben und jetzt im zweiten gehen, um den Front National zum Beispiel zu wählen. Das ist auch eine Möglichkeit.
    Schulz: Was heißt all das für die Präsidentschaftswahl 2017?
    Klarsfeld: Wenn der Front National jetzt gestärkt wird, das wäre natürlich ganz fürchterlich. Mit einer Marine Le Pen als Präsidentin würden wir wahrscheinlich wie viele Juden Frankreich verlassen müssen.
    Schulz: Ist das ein vorstellbares Szenario, dass sie das schafft im nächsten Jahr?
    Klarsfeld: Das kann ich heute nicht sagen. Rufen Sie mich am Sonntag an, wenn wir den zweiten Wahlgang haben. Aber im Augenblick bin ich sehr pessimistisch.
    Schulz: Da nehmen wir Sie beim Wort. Vielen Dank an Beate Klarsfeld für Ihre Einschätzungen heute Morgen. Danke Ihnen.
    Klarsfeld: Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.