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Beck: Beschneidung darf nicht kriminalisiert werden

Die Diskussionen um die Beschneidung von Jungen in Deutschland geht weiter. Man müsse die Haltung jüdischer und muslimischer Eltern respektieren, fordert der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck. Eine Kriminalisierung könne zur Gefährdung des Kindeswohls führen.

Volker Beck im Gespräch mit Jasper Barenberg | 20.07.2012
    Jasper Barenberg: Sie wollen sicherstellen, "dass eine medizinisch fachgerechte Beschneidung von Jungen ohne unnötige Schmerzen grundsätzlich zulässig ist". Dabei soll das Wohl des Kindes und seine körperliche Unversehrtheit ebenso beachtet werden wie die Religionsfreiheit und wie das Erziehungsrecht der Eltern. So steht es in einem gemeinsamen Antrag von Union, FDP und SPD, den der Bundestag gestern mit großer Mehrheit verabschiedet hat. Es ist die Antwort des Parlaments auf ein Urteil des Kölner Landgerichts, das hatte die Beschneidung aus anderen als aus medizinischen Gründen als Körperverletzung gewertet und damit eine teils heftige Debatte ausgelöst. Auch Volker Beck ist dafür, die Beschneidung aus religiösen Gründen gesetzlich zu erlauben. Den Parlamentarischen Geschäftsführer der Grünen im Bundestag begrüße ich jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Beck.

    Volker Beck: Guten Morgen.

    Barenberg: Sie haben im Bundestag gestern von einer klassischen Kollision von Grundrechten gesprochen: Kindeswohl auf der einen Seite, das Recht auf körperliche Unversehrtheit, und auf der anderen die freie Ausübung der Religion, schließlich das Erziehungsrecht der Eltern. Einige Fraktionskollegen von Ihnen tun sich ja noch schwer, sich da zu entscheiden. Warum ist es Ihnen leichter gefallen?

    Beck: Ich habe mich sehr früh mit dieser Frage beschäftigt. Ich habe mich auch als eigentlich der erste aus der Politik zu dem Urteil des Landgerichts Köln geäußert, weil ich schon meine, dass jüdisches und muslimisches Leben in Deutschland weiter legal möglich sein muss, und bei einer Kriminalisierung einer fachgerechten Beschneidung wäre das meines Erachtens nicht mehr der Fall. Aber es gibt viele in der Fraktion bei uns, die sich meines Erachtens aus nachvollziehbaren Gründen erst mal mit diesem Verfahren, dass das jetzt hoppla hopp ohne vorherige Diskussion und Anhörung in den Fraktionen entschieden werden muss, schwer tun und andere auch, die aus ihrer Interpretation des Kindeswohls da zu einem anderen Ergebnis kommen, als ich das tue. Das ist eine Haltung, die man respektieren muss, ich habe trotzdem gestern versucht, in meiner Rede für die Position zu werben, die in diesem Antrag zum Ausdruck kommt.

    Barenberg: Die freie Religionsausübung der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland, aber auch der Muslime hierzulande zu ermöglichen, ist das in Ihren Augen der wichtigste Gesichtspunkt?

    Beck: Nein. Der wichtigste Gesichtspunkt ist und bleibt das Kindeswohl, und hier muss man halt, wenn man die verschiedenen Grundrechtspositionen miteinander ausgleicht und versucht, alle Grundrechtspositionen auch optimal zur Geltung zu bringen, schauen: ist es nicht auch im Sinne des Kindeswohls, dass es aufwachsen kann als jüdisches oder muslimisches Kind, weil im jüdischen Glauben ist eben vorgeschrieben als erstes Gebot, das von Gott in der Bibel zitiert ist, der Beschneidungsbefehl, und der begründete damals den Bund Gottes mit Abraham. Darüber kann man als Befund nicht hinweggehen und das muss man auf jeden Fall einbeziehen, wenn man eine Grundrechtsabwägung trifft, und gemeinhin gehen wir eigentlich davon aus, dass die Eltern die Aufgabe haben, im Rahmen ihres Erziehungsrechts und ihrer Erziehungspflicht, wie es in der Verfassung steht, die Kindeswohlentscheidung in den Grenzen der Rechtsordnung zu treffen, und sie entscheiden, wenn sie sich für die Beschneidung des Kindes entscheiden, ihrem Verständnis nach für das, was für dieses Kind am besten ist. Und ich kann diese Entscheidung durchaus verstehen und respektiere sie auch und mein Interesse ist auch, dass das Kindeswohl dieser Kinder, wenn sie denn beschnitten werden, auch insofern berücksichtigt wird, dass das medizinisch-fachlich korrekt geschieht, mit möglichst wenig Schmerzen, und das gewährleisten wir nicht mehr, wenn wir es strafrechtlich verbieten, weil dann machen das irgendwelche selbst ernannten Beschneider, die nicht die fachlichen Kenntnisse haben, dann ist es nicht unter ärztlicher Aufsicht, dann können Komplikationen eintreten, die tatsächlich erheblich die körperliche Unversehrtheit des Kindes und die Gesundheit beeinträchtigen können, und das wollen wir auch dann im Rahmen einer rechtlichen Regelung eben abwenden.

    Barenberg: Und Eltern haben auch dann das Recht, über ihre minderjährigen Kinder zu entscheiden, wenn Gewalt im Spiel ist, denn – da waren sich, glaube ich, alle jedenfalls formal im Bundestag einig – eine Körperverletzung ist es?

    Beck: Eine Körperverletzung ist es zweifelsohne wie jeder körperliche Eingriff. Auch eine Operation ist eine Körperverletzung, oder eine Impfung, und Eltern entscheiden zum Beispiel auch bei den Impfungen, die nicht zwingend gesetzlich vorgeschrieben sind, ob sie eine Impfung für die Gesundheit des Kindes und für das Kindeswohl für förderlich halten, oder ob sie es für förderlicher halten, auf die Impfung zu verzichten, um Komplikationen bei der Impfung abzuwenden. Das sind Entscheidungen, die fällen Eltern nach ärztlicher Beratung, und darum handelt es sich hier bei diesem medizinisch nicht notwendigen Eingriff natürlich auch. Es gibt auch Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit, die eher kosmetischer Natur sind, die auch bei Kindern vorgenommen werden können, wenn Eltern in sie einwilligen. Das betrifft zum Beispiel die Korrektur von abstehenden Ohren, oder auch das Stecken von Ohrlöchern. Das sind sicher keine gesundheitlich indizierten Eingriffe, trotzdem können die Eltern in eine Entscheidung, wenn sie vernünftig begründet ist, einwilligen und dann ist der körperliche Eingriff, der Eingriff in die körperliche Unversehrtheit gerechtfertigt und nicht strafbar.

    Barenberg: Herr Beck, weil dieser Eingriff eben irreversibel ist, hat ja Jens Petermann von der Linksfraktion gestern darauf verwiesen, dass beispielsweise in jüdischen Gemeinden in Großbritannien diese Beschneidung quasi vertagt wurde, reduziert wurde auf einen symbolischen Akt und dann verschoben auf eine Zeit, wo die Kinder religionsmündig sind, mit 14. Warum kommt das aus Ihrer Sicht nicht infrage?

    Beck: Das kommt für diejenigen infrage, für die Eltern, für die das Judentum so zu interpretieren ist. Der Staat kann in einer freiheitlichen Gesellschaft nicht die Religion zu Reformen zwingen, sondern muss als Befund entgegennehmen, was eine Religionsgemeinschaft glaubt. Ich habe übrigens gestern, nachdem Herr Petermann das sagte, ein bisschen versucht zu googeln. Ich habe die Quelle, dass das allgemein in Großbritannien so ist, erst mal nicht gefunden. Aber ich habe eine Stelle gefunden, wo jüdische Vertreter in Großbritannien das Urteil des Landgerichts Köln scharf kritisiert haben als Angriff auf ihre Religionsfreiheit.

    Barenberg: Volker Beck, der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen im Bundestag. Danke für das Gespräch heute Morgen, Herr Beck.

    Beck: Bitte schön und schönen Tag.


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