Samstag, 20. April 2024

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Beck (Grüne) zu Erdogan
"In Deutschland kann man nicht ungestört auftreten als Diktator"

Mit dem Staatsbesuch für Erdogan habe die Bundesregierung einem Präsidenten gehuldigt, "der seine Gegner ins Gefängnis sperrt und die Menschenrechte nicht achtet", sagte der Grünen-Politiker Volker Beck im Dlf. Der Moscheeverband Ditib könne mit seinem derzeitigen Kurs nicht Kooperationspartner des deutschen Staates sein.

Volker Beck im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 29.09.2018
    Volker Beck, Bundestagsabgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen, spricht am 15.01.2017 im Islamischen Zentrum in Hamburg, während einer Konferenz der SCHURA, Rat der Islamischen Gemeinschaften Hamburg. "Islamfeindlichkeit und Rechtspopulismus als Herausforderung für Islam und Demokratie in Europa" ist das Thema der 7. Konferenz der SCHURA. Foto: Bodo Marks/Bodo Marks/dpa | Verwendung weltweit
    Der frühere Grünen-Bundestagsabgeordnete Volker Beck (Bodo Marks/dpa)
    Dirk-Oliver Heckmann: Wir sind jetzt telefonisch verbunden mit Volker Beck, lange Jahre Mitglied des Deutschen Bundestags, lange erster parlamentarischer Geschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen und Menschenrechts-, innenpolitischer, religions- sowie migrationspolitischer Sprecher, schönen guten Tag, Herr Beck!
    Volker Beck: Guten Tag!
    Heckmann: Herr Beck, der Erdogan-Besuch sorgt für Streit und Diskussionen. Auch gestern bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Angela Merkel, da ist ein türkischstämmiger Pressefotograf von BKA-Beamten aus dem Saal geführt worden, weil er ein T-Shirt trug mit der Forderung nach Pressefreiheit. Welches Signal geht von einer solchen Aktion aus, dass man diesen Mann da rausbringt?
    Beck: Zunächst mal ist die Botschaft dieser Aktion. In Deutschland kann man nicht ungestört auftreten als Diktator, ohne dass man an die Menschenrechte erinnert wird, und deshalb fand ich es eigentlich eine gute und verständliche Aktion des Journalisten. Die Bundesregierung sagt nun, es gelt da wie im Bundestag: keine Transparente, sondern nur Antwort und Frage seien zugelassen als Artikulation. Ich kann das verstehen, aber ich kann es nicht recht nachvollziehen, weil derjenige hat ja keine Politik gemacht, sondern er hat sich nur für Pressefreiheit eingesetzt bei einem Presseevent. Das scheint mir eigentlich durchaus der Sache nach angemessen gewesen zu sein, und deshalb fand ich es übertrieben, dass man ihn da von der Pressekonferenz entfernt hat.
    Heckmann: Welches Signal geht denn davon aus, dass man ihn da rausgebracht hat und Erdogan sich das so lächelnd anschauen kann?
    Beck: Na ja, das Signal ist das Signal des ganzen Besuches ein Stück weit. Man versucht, einerseits die Beziehungen zur Türkei weiter auszubauen oder zu retten, und andererseits muss man dafür einen Preis zahlen wie bei dem ganzen protokollarischen Gehabe mit Herrn Erdogan, den man eigentlich nicht zahlen möchte, weil man damit immer einem Staatspräsidenten huldigt, der seine Gegner ins Gefängnis sperrt und die Menschenrechte nicht achtet.
    Heckmann: War es also falsch, Erdogan den roten Teppich auszurollen?
    Beck: Ich hätte mir gewünscht, dass man beim Protokoll etwas tiefer ansetzt. Ich kenne die internen Auseinandersetzungen zwischen der deutschen und türkischen Regierung nicht, wir kennen die alle nicht, bezüglich der Frage, welchen Preis es gehabt hätte, wenn wir das nicht so protokollarisch als Staatsbesuch gemacht hätten.
    "Bundesregierung hat Interesse, Beziehung nicht ganz sterben zu lassen"
    Heckmann: Dann wäre er vielleicht nicht gekommen.
    Beck: Ja, das kann sein. Es gibt natürlich gemeinsame strategische Interessen von Deutschland und der Türkei, unabhängig von der aktuellen Regierung, weshalb die Bundesregierung natürlich ein Interesse hat, diese Beziehung nicht ganz sterben zu lassen.
    Heckmann: Zum Beispiel die Lage in Syrien, zum Beispiel die Flüchtlingssituation.
    Beck: Ja, die Sicherheitslage in der ganzen Region, die Flüchtlingssituation und auch eben die Bereitschaft der Türkei, diese drei Millionen Flüchtlinge im Land zu halten, und da gibt es schon Gründe dafür, dass man das nicht ganz einfriert, aber man kann es eben immer an diesen Grenzen, wie in der Situation mit dem Journalisten, ein Stück weit auch zeigen, dass man nicht einverstanden ist. Präsident Steinmeier hat das gestern zum Beispiel während des Staatsbanketts gemacht und damit den Staatspräsidenten verärgert. Ich fand das eine richtige Geste, damit klar ist, hier sitzen wir nicht unter Freunden zusammen, sondern hier sitzen wir unter auf der einen Seite Demokraten und dann auf der anderen Seite ein Diktator.
    Heckmann: Cem Özdemir, der ist ja hin zum Staatsbankett, anders als andere Oppositionspolitiker, die das Treffen des Banketts boykottiert haben. Özdemir sagte, Erdogan müsse ihn aushalten, und beim Handshake, da habe er ihm Folgendes gesagt, ich zitiere mal: "Ich hoffe, dass es nachher noch eine Gesprächsmöglichkeit gibt, und ich bedaure, dass von dem früheren Erdogan nichts mehr übrig ist", Zitat Ende, und auf seinem Revers, da trug Özdemir einen Button, auf dem auf Türkisch stand: Geben Sie Meinungsfreiheit. Und auch Angela Merkel und Steinmeier, der Bundespräsident, die hielten ja mit Kritik nicht vorm Berg, Sie haben es gerade eben schon gesagt. Ist dieser Besuch also nicht auch eine gute Gelegenheit, den deutschen Standpunkt klarzumachen und dennoch wieder ins Gespräch zu kommen?
    Beck: Das ist zumindest die Intention. Ich weiß nicht, ob es so recht gelungen ist.
    Heckmann: Herr Beck, Sie müssten vielleicht kurz ein bisschen versuchen, noch mal etwas näher ans Handy ranzugehen, wir haben gerade einen sehr gestörten Empfang.
    Beck: Okay. Also man versucht natürlich, diesen Besuch dafür zu nutzen - das ist sehr sicher die Intention und auch die legitime Intention der Bundesregierung -, ob es wirklich gelungen ist in den internen Gesprächen bei den Fragen, an denen man gemeinsam arbeiten kann und arbeiten muss, gelungen ist, das kann man von außen jetzt schwer beurteilen. Bislang gibt es da, meines Erachtens, keine belastbaren, dahingehenden Informationen.
    Ein Gebäude als "Versprechen" an die Gesellschaft
    Heckmann: Heute Nachmittag soll also die Zentralmoschee der Ditib in Köln eröffnet werden. Die galt ja mal als Zeichen der Integration und des Dialogs. Auch Sie haben das damals ja so gesehen. Haben Sie sich da getäuscht?
    Beck: Ich habe es zunächst mal gesehen als ein berechtigtes Interesse einer Gemeinschaft von Gläubigen, ein Gotteshaus zu errichten, das den Ansprüchen an Repräsentativität und dergleichen genügt. Dieses Gebäude und das architektonische Konzept ist ja ein Versprechen der Ditib an die Gesellschaft, an Transparenz und Offenheit und auch Zuwendung an die Modernität und an unser Land. Dieses Versprechen hat die Ditib natürlich in den letzten Jahren überhaupt nicht eingelöst, sie hat sich eigentlich in eine gegenteilige Richtung entwickelt, und es ist schon fast tragisch, dass heute ohne Beteiligung deutscher Repräsentanten dieses Gebäude quasi dann von Erdogan in Besitz genommen wird, aber das ist gegenwärtig die Politik der Ditib, so wie sie handeln beziehungsweise so hat sie nach Ankaras Wunsch zu handeln, und wir werden hier weiter die Auseinandersetzung suchen müssen.
    Ich glaube, wir müssen gerade gegenüber der Ditib, in der wirklich ganz viele auch demokratisch gesinnte Menschen engagiert sind, klarmachen, dass sie mit diesem Kurs nicht als Kooperationspartner des deutschen Staates infrage kommt, aber dass wenn muslimische Religionsgemeinschaften sich von diesen politischen Herkunftsländern und Parteien lösen und wirklich echte Religionsgemeinschaften sind, dass sie dann natürlich die gleichen Rechte bekommen bei uns wie die Kirchen auch, weil wir haben kein christliches Recht, sondern wir haben ein religionsfreiheitliches Recht.
    Heckmann: Volker Beck war das von Bündnis 90/Die Grünen live hier im Deutschlandfunk. Die schlechte Tonqualität, die bitten wir zu entschuldigen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.