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Beck: Koalitionsbeschlüsse werden Bürgern "sauer aufstoßen"

Einerseits wolle die Regierungskoalition einen ausgeglichenen Haushalt präsentieren, andererseits aber mit dem Betreuungsgeld eine Sozialleistung die kein Mensch brauche auf Pump einführen, bemängelt der Grünen-Politiker Volker Beck.

Volker Beck im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    Mario Dobovisek: Es war die mittlerweile gewohnte langwierige Prozedur. Sieben Stunden haben die Spitzen der Koalition im Kanzleramt um Kompromisse in Streitfragen gerungen, die das Klima zwischen Schwarz und Gelb seit Monaten erheblich belastet haben. Am Ende gab ein Jahr vor der Bundestagswahl jeder ein bisschen nach und bekam dafür seine Lieblingsprojekte zugestanden.

    Und die Kritik der Grünen wollen wir noch einmal vertiefen, und zwar begrüße ich dazu Volker Beck, den Parlamentarischen Geschäftsführer der Grünen im Bundestag. Guten Tag, Herr Beck!

    Volker Beck: Guten Tag.

    Dobovisek: Ein Geben und Nehmen im Kanzleramt und eine Reihe handfester Ergebnisse. Ist Schwarz-Gelb dann doch noch handlungsfähig?

    Beck: Das ist ein klassischer Kuhhandel von Milchbuben, die auch Milchbubenrechnungen aufgemacht haben. Wenn einerseits Herr Rösler sagt, jetzt kommt der ausgeglichene Haushalt, dann wäre das ja ein ambitioniertes und richtiges politisches Ziel. Wie man das allerdings hinkriegen will, indem man eine neue Sozialleistung, die kein Mensch braucht, auf Pump einführt, wie das Betreuungsgeld, die zwei Milliarden Euro jährlich in der Zukunft dann in dem Haushalt als Loch reißt, das ist mir unerfindlich. Und außerdem hat die Koalition auch in ihren Reden über Betreuungsgeld und Praxisgebühr im Hintergrund noch ein paar andere Sachen versteckt, die den Bürgerinnen und Bürgern sauer aufstoßen werden. Die Haushaltskonsolidierung will der Bund nämlich hinkriegen, indem er in die Gesundheitskasse greift und sagt, der gesetzliche steuerliche Zuschuss, den fahren wir zurück, die Solidarität im System muss allein von den Beitragszahlern finanziert werden und nicht mehr von der Summe aller Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Das heißt, die Leute, die Krankenversicherungsbeiträge in der gesetzlichen Versicherung bezahlen, die leisten jetzt einen wesentlichen Beitrag, um den Haushalt zu konsolidieren.

    Dobovisek: Was ist denn falsch daran, Herr Beck, wenn die Kassen der Krankenkassen dann übersprudeln?

    Beck: Das ist das Geld der Beitragszahler.

    Dobovisek: Ja aber das ist doch dann sowieso mein Geld, wenn ich Steuern bezahle. Dann zahle ich ohnehin doppelt.

    Beck: Ja. Aber wir Abgeordneten, die Beamten, die Freiberufler sind oftmals nicht in der gesetzlichen Krankenkasse versichert. Wir sind fein raus, wir werden nicht mehr belastet für diesen sozialen Ausgleich im Krankenversicherungssystem, ...

    Dobovisek: Sie bekommen auch keine Leistungen.

    Beck: ... , obwohl der soziale Ausgleich für die Schwachen eine gesamtstaatliche Aufgabe ist und nicht nur eine Aufgabe der gesetzlichen Versicherten. Wir belasten diejenigen, die ohnehin weniger haben, hier stärker, statt die Solidargemeinschaft aller Bürgerinnen und Bürger heranzuziehen. Das ist im Gesetz bislang anders vorgesehen, von der Koalition auch so eingeführt, und jetzt wird das zurückgedreht. Das heißt: Statt dass die Versicherungsbeiträge für die Krankenversicherten sinken, oder ihre Leistungen verbessert werden, müssen sie jetzt den sozialen Ausgleich finanzieren, obwohl das eigentlich die Aufgabe des Bundeshaushalts wäre.

    Dobovisek: Dann bleiben wir doch, Herr Beck, mal bei der Praxisgebühr, die nun ab Januar bereits abgeschafft wird. Eigentlich wurde die Praxisgebühr einst eingeführt von Rot-Grün, im übrigen, um, so hieß es damals, Patientenströme zu lenken. Sind denn keine Patientenströme mehr zu lenken, oder warum brauchen wir die Praxisgebühr nicht mehr?

    Beck: Also die Praxisgebühr hat die Lenkungswirkung nicht entfaltet, die wir damals erwartet haben, und Politik muss auch lernen. Deshalb finde ich die Entscheidung, die Praxisgebühr abzuschaffen, vollständig richtig. Wir hatten entsprechende Anträge gerade in der letzten Sitzungswoche selber eingebracht, um hier entsprechend eine Entlastung einerseits der Patienten und andererseits auch der Arztpraxen im Bereich Bürokratie zu erreichen. Das ist ein an sich sinnvoller Schritt. Man kann ihn sich jetzt auch gerade leisten, angesichts der finanziellen Situation der gesetzlichen Krankenversicherung. Aber das ist auch der einzige sinnvolle Punkt, den ich auf diesem Gipfel erkennen konnte.

    Dobovisek: Trotzdem ein bisschen Lob für die, wie Sie sagen, Milchbuben im Kanzleramt?

    Beck: Das Ärgerliche ist ja, dass das Ganze, was dort beschlossen wird, am Ende den Haushalt zusätzlich belastet. Wenn solche Gipfel Koalitionen in anderen Euro-Staaten veranstalten würden, dann würden wir hier aus Berlin die entsprechende Kritik hören, wie unverantwortlich in diesen Zeiten der Schulden die dortigen Regierungen handeln. Die Finger, die dort immer auf die anderen Länder zeigen, da deuten heute vier Finger auf Berlin zurück.

    Dobovisek: Kommen wir zurück zum Betreuungsgeld, das Sie vorhin Eingangs kurz erwähnt haben, also eine neue Sozialleistung, die eingeführt wird. Wem nützt das Betreuungsgeld?

    Beck: Das Betreuungsgeld prämiert diejenigen, die ihre Kinder zuhause lassen und nicht in den Kindergarten schicken. Das ist deshalb frauenpolitisch, migrationspolitisch und familienpolitisch völlig verfehlt. Wir müssen vielmehr an der Qualität der Kindergärten arbeiten, dass sie etwas zur Bildung, zur Bildungslaufbahn der Kinder beitragen, statt Geld jetzt so zu verpulvern. Und gerade bei dem Thema Integrationspolitik ist es total wichtig, dass wir keine Fehlanreize schaffen. Kinder, die nicht in Familien aufwachsen, wo überwiegend Deutsch gesprochen wird, haben nur eine Chance, sozusagen in der Schule von Anfang an, wenn die Bildungsphase Kindergarten genutzt wird für den Spracherwerb. Und wenn wir hier jedem 150 Euro in die Hand drücken, damit die Kinder nicht zum Kindergarten geschickt werden, das ist eine Menge Geld für Leute, die jeden Euro umdrehen müssen, und das ist das falsche Signal.

    Dobovisek: Alexander Dobrindt spricht von einer echten Wahlfreiheit, die geschaffen worden sei. Gibt es die denn?

    Beck: Die echte Wahlfreiheit gibt es schon deshalb nicht, weil wir gar nicht genügend Kindergartenplätze gegenwärtig haben und vor allen Dingen auch nicht Kindergärten, die solche Öffnungszeiten haben, dass sie wirklich auch mit einem Berufsleben voll kompatibel sind und nicht sich das Berufsleben dann von Müttern nach den Schließungszeiten der Kindergärten richten müsste. Da wären vielmehr Investitionen gefordert, statt jetzt hier Leuten, entweder die es nicht nötig haben, Geld in die Hand zu geben, oder Leute, die das Geld schon nötig haben, aber wo es die Kinder nötig hätten, in den Kindergarten zu gehen, hier mit Geld zu locken, die falsche Entscheidung für ihre Kinder zu treffen.

    Dobovisek: Das ist der eine Aspekt, Herr Beck. Der andere ist aber sicherlich, dass tatsächlich Kindergartenplätze fehlen. Wenn ich mir zum Beispiel meine Tochter anschaue, die kann ich gar nicht hier in Nordrhein-Westfalen in den Kindergarten schicken, weil ich schlicht keinen Platz für sie bekomme, bekomme aber auch keine Unterstützung dafür, dass ich sie möglicherweise in private Spielgruppen gebe. Ist das Betreuungsgeld dann möglicherweise eine Art Überbrückung, bis genügend Plätze vorhanden sind?

    Beck: Im nächsten Jahr kommt ja der gesetzliche Anspruch. Die Entschädigung für diejenigen, die den Anspruch erheben und ihn nicht einlösen können, wird sicher viel höher ausfallen als das, was durch das Elterngeld bezahlt wird. Deshalb muss sich der Bund und müssen sich die Länder jetzt anstrengen, die Kindergartenplätze tatsächlich ins Angebot zu bringen, und deshalb brauchen wir da eigentlich jeden Euro und können das Geld nicht für ein Betreuungsgeld verpulvern, weil auch wir können als Staat jeden Euro nur einmal ausgeben und da muss die Priorität eindeutig haben, jeder der einen Kindergartenplatz beansprucht und der auch einen Anspruch darauf hat, der muss ihn auch kriegen. Darauf muss sich der Staatshaushalt konzentrieren und alles andere muss dann erst mal zurückstehen.

    Dobovisek: Wenn Sie die Ergebnisse der vergangenen Nacht zum Teil als Wahlgeschenke bezeichnen, Herr Beck, welche dieser Geschenke würden Sie dann wieder zurücknehmen, sollte Rot-Grün ab nächstem Jahr im Bundestag die Mehrheit haben?

    Beck: Also das Betreuungsgeld soll im nächsten Jahr ab August ausgezahlt werden. Wir werden sicher alles tun, dass es die Jahresgrenze dann auch nicht überlebt. Das Betreuungsgeld ist eine Leistung, die werden wir sofort stoppen werden, und ich glaube, da sind wir auch als Gesetzgeber schneller, als wenn wir jetzt mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht das versuchen.

    Dobovisek: Volker Beck, der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Bundestagsfraktion, zu den Beschlüssen des Koalitionsausschusses vergangene Nacht. Ich danke Ihnen, Herr Beck.

    Beck: Bitte schön – auf Wiederhören!

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