Donnerstag, 28. März 2024

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Beck: Platzeck hat Brücken geschlagen

Matthias Platzecks Politikstil habe Menschlichkeit signalisiert. Dazu gehöre auch das Eingeständnis von Schwächephasen, meint Kurt Beck, ehemaliger Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz. Diese Offenheit aber werde in Zeiten intensiver Medienbeobachtung kaum toleriert.

Kurt Beck im Gespräch mit Silvia Engels | 30.07.2013
    Silvia Engels: Mit langjähriger politischer Verantwortung kennt er sich aus, auch er hat vor nicht allzu langer Zeit aus gesundheitlichen Gründen seinen Posten aufgegeben. Die Rede ist von Kurt Beck. 18 Jahre lang war er Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz. Zwischenzeitlich war er auch SPD-Bundesvorsitzender. Eingesprungen war er damals, weil Matthias Platzeck damals aus gesundheitlichen Gründen dieses Amt nicht fortsetzen konnte. Er ist also ein langjähriger Wegbegleiter. Am Telefon Kurt Beck, guten Morgen!

    Kurt Beck: Schönen guten Morgen!

    Engels: Matthias Platzeck verschwindet aus der ersten Reihe der SPD – wie schwer ist der Verlust?

    Beck: Es ist sehr schade, weil Matthias Platzeck schon eine ausgeprägte politische Persönlichkeit ist. Er hat ja sehr viel dazu beigetragen, dass Deutschland zusammengewachsen ist. Er hat Brandenburg und den Menschen im Osten Deutschlands ein Gesicht gegeben, aber zugleich immer Verantwortung für Deutschland insgesamt übernommen. Also ein Verlust.

    Engels: Sie selbst kennen Matthias Platzeck lange Jahre. Er gilt ja als jemand, der sehr mit Freude und Leidenschaft Politik gemacht hat. Ist es auch jemand, dem andererseits auch die Schattenseiten der Politik, die Ränkespiele und Machtkämpfe näher gingen als anderen?

    Beck: Ich glaube, das ist so, denn wenn Menschen sehr sensibel sind, und Matthias Platzeck ist ein sensibler Mann, dann kann man nicht einfach abschalten, wenn man eine dicke Haut bräuchte, und sagen, jetzt lasse ich das alles abprallen, und im anderen Moment geht man wieder auf Menschen zu und hört genau zu und empfindet mit. Das geht nicht, und deshalb ist sicher eine besondere Empfindsamkeit da. Aber ich finde, das gehört auch dazu, wenn man Menschlichkeit in der Politik leben will, was Matthias Platzeck immer getan hat.

    Engels: Kann man also nur dauerhaft Politik machen, wenn man ein dickes Fell und eine gewisse Abstumpfung hat?

    Beck: Das würde ich so nicht sagen, denn Matthias Platzeck hat ja mit rund elfeinhalb Jahren als Ministerpräsident und vielen Jahren vorher als Minister durchaus eine lange Zeit in politischer Höchstverantwortung hinter sich gebracht. Aber irgendwann sind halt auch mal körperliche Kräfte verbraucht, und der psychische Druck ist sicher in der Politik ganz besonders hoch.

    Engels: Ist er in den letzten Jahren – Sie blicken ja auch auf eine 18-jährige Amtszeit in Rheinland-Pfalz zurück – dieser Druck auf Spitzenpolitiker gewachsen?

    Beck: Das kann man, glaube ich, so sagen, denn es ist aufgrund der Vielzahl an Medien ja kaum ein Wort da, das gesprochen wird, das eben nicht kommentiert und gedreht und gewendet wird. Ich will darüber gar nicht jammern, aber es ist ein Faktum, und damit ist die Anspannung rund um den Kalender und rund um die Uhr ständig da. Und das geht eben auch an die Substanz.

    Engels: Ist der Druck mittlerweile unmenschlich?

    Beck: Das würde ich so nicht sagen, aber er ist teilweise, zeitweise an der Grenze zur Unmenschlichkeit, denn es wird ja manchmal doch ein Druck ausgeübt durch Sezieren von halben Sätzen, sodass man neben der Alltagsarbeit, die man zu machen hat, doch sehr, sehr angespannt ist und dauernd unter 150-Prozent-Last arbeitet. Ich glaube, das ist schon so.

    Engels: Sie selbst sind ja Anfang des Jahres als Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz zurückgetreten, ebenfalls aus gesundheitlichen Gründen. War das damals der richtige Schritt, wenn Sie zurückschauen?

    Beck: Ich bin sicher, dass es der richtige Schritt war, denn wenn man merkt, dass man nicht mehr voll arbeiten kann, so, wie man es gewöhnt ist, dann ist es, glaube ich, konsequent – so habe ich auch Matthias Platzeck verstanden – zu sagen, dann mache ich mit diesem Spitzenamt Schluss, denn halbe Sachen, die belasten einen noch mehr. Und es geht dann oder die Gefahr ist da, dass manches daneben geht, und das will man natürlich gerade nach einer langen Amtszeit sich und anderen nicht zumuten.

    Engels: Fällt man andersherum als Spitzenpolitiker in ein Loch, wenn diese langjährige Aufgabe wegfällt?

    Beck: Ich glaube, dass man sich eine Aufgabe suchen muss, wenn man nicht jetzt völlig arbeitsunfähig ist. Und Matthias Platzeck hat ja auch davon gesprochen, Sie haben es gerade gesendet, dass er sich noch Aufgaben suchen will. Ich hoffe, dass auch wir noch zusammenarbeiten. In der Friedrich-Ebert-Stiftung ist er bei mir im Vorstand, und wir arbeiten beim ZDF zusammen. Also ich hoffe, dass er solche Aufgaben noch wahrnimmt, ehrenamtliche Aufgaben auch, und dass auf diese Art und Weise eben dieses Loch nicht entsteht. Ich muss sagen, toi, toi, toi, bei mir ist es doch gelungen, dass ich mich nicht in ein Loch gefallen fühle.

    Engels: Nun galt Matthias Platzeck als einer der wenigen Landesvater-Typen, die die SPD noch zu bieten hatte, nachdem auch Sie gegangen waren. Stirbt dieser Typus aus, weil gerade das Kümmern mit der harten Schale des Politikers nicht so richtig zusammenpasst in der heutigen Zeit?

    Beck: Ich hoffe sehr, dass das nicht so sein wird, weil ich in dieser Art Politik zu machen, wie jetzt auch bei Matthias Platzeck, eine der Brücken sehe, die wir schlagen müssen zwischen vielen Bürgerinnen und Bürgern, die doch mit der Politik oft hadern, und den Politikerinnen und Politikern, und deshalb glaube ich, dass wir diese Art, nicht nur sein Programm abzuspulen und auf eine kühle, nüchterne Weise seine Arbeit zu machen, schon dann den Menschen zu signalisieren, es geht mir, es geht uns um sie, um die Menschen. Diese Art brauchen wir ganz dringend. Aber ich bin auch so besorgt nicht, ich kenne ganz, ganz viele Leute, die diesen Stil haben, und die Nachfolge von Matthias Platzeck ist ja in glänzender Weise geregelt.

    Engels: Ist es denn dennoch eine Schwächung auch im Bundestagswahlkampf, dass Matthias Platzeck nun die Bühne verlässt?

    Beck: Wenn Leute mit großer Erfahrung die erste Reihe verlassen und dort eben auch nicht mehr so präsent sein können, dann ist dies immer ein Verlust, gar keine Frage. Aber ein bisschen Mitwirken an der Bundespolitik im Sinne von Veranstaltungen, von Beratung et cetera, das geht ja auch über einen solchen Rücktritt hinaus.

    Engels: Viele Politiker trauen sich bis heute nicht, gesundheitliche Schwächen öffentlich zuzugeben, um nicht als zu weich für den Job zu gelten. Sogar die "FAZ" titelt heute über Matthias Platzeck: "Der Zarte". Ist es realistisch, hier ein Umdenken zu fordern?

    Beck: Ja, fordern sollte man es, weil es ist einfach ja den Leuten etwas vorgemacht, wenn man so tut, als würde man als Politiker nie krank sein, nie eine Schwäche haben, nie auch mal eine Phase der Erholung brauchen. Das ist einfach nicht die Wahrheit. Und insoweit, glaube ich, sollte man offener und ehrlicher damit umgehen. Aber derzeit ist die Realität, wenn Sie morgen sagen, ich bin jetzt nicht gut drauf, dann ist die Spekulation um die Nachfolge und um den Rücktritt natürlich sofort da. Das haben viele von uns schon erlebt. Matthias Platzeck, als er jetzt diesen gesundheitlichen Rückschlag im Juni hatte, und ich habe es auch erlebt. Also man muss dann mit sich die Dinge ausmachen, das ist eigentlich schade, weil es so eine Unmenschlichkeit eigentlich signalisiert. Politiker sind Menschen wie andere Leute auch und versuchen, ihre Arbeit zu machen, und haben halt auch einmal eine gesundheitliche Schwächephase.

    Engels: Kurt Beck, ehemaliger Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz und früherer SPD-Chef. Vielen Dank für Ihre Zeit heute Morgen!

    Beck: Sehr gerne!


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