Gerd Breker: Der Fall des Bremer Türken Murat Kurnaz berührt selbst hartgesottene Politprofis. Seine Schilderungen über seine Verschleppung, die Inhaftierung in Afghanistan und die anschließende Zeit im US-amerikanischen Gefangenenlanger Guantanamo beeindrucken die Parlamentarier nicht nur im Verteidigungsausschuss, sondern gestern auch im BND-Untersuchungsausschuss. CDU-Ausschusschef Siegfried Kauder ist zu zitieren mit dem Ausspruch "da tun sich Abgründe auf, wie die Amerikaner mit Kurnaz umgegangen sind". Menschenrechte gehen anders. Und seit 2002 hätte dem Gequälten alles erspart werden können, wenn die rot/grüne Bundesregierung gewollt hätte.
Am Telefon begrüße ich nun Volker Beck, parlamentarischer Geschäftsführer der Bündnis-Grünen im Bundestag und deren menschenrechtspolitischer Sprecher. Guten Tag, Herr Beck!
Volker Beck: Guten Tag!
Breker: Hauptübeltäter sind sicherlich die US-Amerikaner. Sie haben ihn verschleppt. Sie haben ihn gefoltert. Allerdings: Seit 2002 waren die US-Amerikaner von seiner Unschuld überzeugt und wussten nicht wohin und die Deutschen wollten ihn nicht?
Beck: "Die Deutschen" kann man so nicht sagen. Es ist in der Tat richtig, dass es offensichtlich zwischen dem Innenministerium und dem Bundeskanzleramt eine Verabredung gab, Herrn Kurnaz nicht zurückzunehmen unter Hinweis auf seine türkische Staatsangehörigkeit, und auch Versuche gab, ihm seine Aufenthaltserlaubnis zurückzuholen. Das ist schwer zu kritisieren. Das ist menschenrechtswidrig und dafür müssen auch die Verantwortlichen geradestehen.
Es gibt allerdings keine Hinweise darauf, dass das Auswärtige Amt in diese Entscheidung mit eingebunden war. Vielmehr ist richtig - und dafür gibt es zahlreiche Belege -, dass kontinuierlich, seitdem es bekannt war, dass Kurnaz von den Amerikanern verschleppt wurde, das Auswärtige Amt und der Bundesaußenminister sich darum bemüht hat, in Washington eine Freilassung von Herrn Kurnaz zu erreichen. Hier hat die Bundesregierung insgesamt widersprüchlich gehandelt und die Verantwortlichen im Bundesinnenministerium und Bundeskanzleramt müssen auch die Konsequenzen dafür tragen, dass hier tatsächlich menschenrechtliche Standards unterlaufen wurden.
Breker: Die "Süddeutsche Zeitung" spricht heute von internen Unterlagen der rot-grünen Regierung, denen zufolge eine Wiedereinreise von Kurnaz, wie Sie gerade auch geschildert haben, aktiv verhindert werden sollte, und beteiligt war da nicht nur das Innenministerium und die Geheimdienste, sondern auch das Kanzleramt mit Frank-Walter Steinmeier.
Beck: Ja und wenn Herr Steinmeier - das wird ja der Ausschuss weiter zu Tage fördern müssen - hiervon Kenntnis erlangt hat - und das ist nicht völlig unwahrscheinlich -, dann muss das auch Konsequenzen für ihn haben.
Breker: Welche Konsequenzen denken Sie?
Beck: Wenn Herr Steinmeier das gebilligt hat, dass man Herrn Kurnaz in Gefangenschaft hält und sich nicht um seine Freilassung bemüht, dann finde ich könnte er die Menschenrechtspolitik und Außenpolitik der Bundesrepublik nicht mehr glaubwürdig vertreten.
Breker: Sein Ansehen ist beschädigt; er sollte zurücktreten?
Beck: Wenn sich beweisen lässt, dass er tatsächlich dafür die Verantwortung getragen hat und davon Kenntnis gehabt hat, ja!
Breker: Man muss es ja auch deutlich machen. Die Amerikaner wussten nicht wohin mit ihm. Sie haben ihn den Deutschen angeboten und hätten die Deutschen anders reagiert, dann hätten Murat Kurnaz vier Jahre Guantanamo erspart werden können.
Beck: Ja und deshalb muss man das auch kritisieren. Wenn man das jemandem ersparen kann, der unschuldig ist, dann muss man ihm das auf jeden Fall ersparen und da hätten die deutschen Behörden alle Anstrengungen unternehmen müssen, hier für seine Freilassung zu sorgen. Diejenigen, die diese Freilassung hintertrieben haben, haben im Widerspruch zu unseren ethischen Überzeugungen gehandelt.
Breker: Es wirft ja einen seltsamen Blick auf die Politik der rot-grünen Bundesregierung, wenn es tatsächlich so ist, wie Sie angedeutet haben, Herr Beck, dass das Außenministerium von all diesen Aktivitäten nichts wusste?
Beck: Ja. Dann ist es ein Hinweis darauf, dass es kein besonderes Licht auf die rot-grüne Regierung wirft, sondern auf bestimmte handelnde Personen in der Bundesregierung, Beamte und wo möglich auch politisch Verantwortliche. Diese haben den Rest der Regierung dann hintergangen, weil gleichzeitig hat ja das Auswärtige Amt fortwährend in Washington demargiert und darum gebeten, Herrn Kurnaz frei zu bekommen. Insofern hat man die eigenen Leute in der Bundesregierung dann hintergangen.
Breker: Und damit auch der Glaubwürdigkeit der gesamten Bundesregierung in Sachen Menschenrechtspolitik schwer geschadet?
Beck: Selbstverständlich ist das ein Schaden für das Ansehen der Menschenrechtspolitik, wenn von einzelnen Regierungsstellen eine menschenrechtswidrige Handlung gebilligt und befördert wird und nicht alles getan wird, um die Menschenrechte durchzusetzen.
Breker: Kann man dieses denn nur den Beamten anlasten, oder muss man nicht auch fragen, ob die politisch Verantwortlichen da hätten mehr nachfragen müssen?
Beck: Wir müssen diese Fragen klären. Es muss geklärt werden, wer hat davon Kenntnis gehabt, wer trägt dafür die politische und die organisatorische Verantwortung, und am Ende des Untersuchungsausschusses muss dann definiert werden, welchen Teil der Verantwortung welche Personen zu tragen haben, und zwar Beamte wie politisch Verantwortliche, und dann muss daraus auch die Konsequenz gezogen werden, nachdem man definiert hat, wer welchen Anteil an der Verantwortung trägt.
Breker: Durch dieses Handeln ist ja die Aufenthaltsgenehmigung für Murat Kurnaz gelöscht worden und das ist rechtswidrig gewesen, wie wir seit Ende 2005 wissen. Also es wurde auch gegen Recht verstoßen?
Beck: Wie das aufenthaltsrechtlich im Einzelnen zu bewerten ist, entzieht sich jetzt meiner Kenntnis, weil ich diese Akten und die Vorgänge da im Detail [nicht] verfolgt habe. Wenn hier aber rechtswidrig gehandelt wurde, muss dieses entsprechend dann auch geahndet werden. Ich finde übrigens jenseits der Frage der Verantwortlichkeit der Freilassung muss man auch aufarbeiten stimmt es - und da waren die Aussagen von Herrn Kurnaz, wie ich gehört habe, gestern im Verteidigungsausschuss recht glaubwürdig -, dass auch bei seiner Festnahme und seinem Festhalten in Afghanistan wohl der Verdacht nicht von der Hand zu weisen ist, dass deutsche Soldaten ihn mit verhört haben und vor Ort gewesen sind. Dieses muss auch strafrechtlich entsprechend aufgearbeitet werden und da hoffe ich, dass die Staatsanwaltschaft in Tübingen hier alles tut, um diese Straftaten aufzuklären, und wenn sich Verantwortliche feststellen lassen, diese dann auch anklagt.
Breker: Wenn Murat Kurnaz deutscher Staatsbürger gewesen wäre, wäre dann alles anders gewesen?
Beck: Das kann ich Ihnen nicht sagen. Das müssen Sie die Leute fragen, die das bearbeitet haben und die hier meines Erachtens sich nicht korrekt verhalten haben. Das einzige, was sicher anders ist, ist, dass natürlich gegenüber den Amerikanern auch das, was von den Seiten des Auswärtigen Amtes betrieben worden ist, hätte mit größerem Nachdruck betrieben werden müssen, weil die Amerikaner haben uns auf offizieller Ebene immer entgegengehalten, dass Herr Kurnaz nicht unter unserem konsularischen Schutz steht, weil er nicht unser Staatsbürger ist. Das entspricht den internationalen Gepflogenheiten. Gleichwohl hat sich das Auswärtige Amt darum nicht gekümmert und hat immer wieder in dieser Sache demargiert, weil man auf diese Finesse sich nicht einlassen wollte. Die Amerikaner konnten einem das aber nach internationalem Recht tatsächlich entgegenhalten und haben das auch wohl auf dieser offiziellen Ebene getan. Im Hintergrund liefen natürlich ganz andere Gespräche, wie wir heute wissen, die von den Geheimdiensten und vom Innenministerium gesteuert waren.
Am Telefon begrüße ich nun Volker Beck, parlamentarischer Geschäftsführer der Bündnis-Grünen im Bundestag und deren menschenrechtspolitischer Sprecher. Guten Tag, Herr Beck!
Volker Beck: Guten Tag!
Breker: Hauptübeltäter sind sicherlich die US-Amerikaner. Sie haben ihn verschleppt. Sie haben ihn gefoltert. Allerdings: Seit 2002 waren die US-Amerikaner von seiner Unschuld überzeugt und wussten nicht wohin und die Deutschen wollten ihn nicht?
Beck: "Die Deutschen" kann man so nicht sagen. Es ist in der Tat richtig, dass es offensichtlich zwischen dem Innenministerium und dem Bundeskanzleramt eine Verabredung gab, Herrn Kurnaz nicht zurückzunehmen unter Hinweis auf seine türkische Staatsangehörigkeit, und auch Versuche gab, ihm seine Aufenthaltserlaubnis zurückzuholen. Das ist schwer zu kritisieren. Das ist menschenrechtswidrig und dafür müssen auch die Verantwortlichen geradestehen.
Es gibt allerdings keine Hinweise darauf, dass das Auswärtige Amt in diese Entscheidung mit eingebunden war. Vielmehr ist richtig - und dafür gibt es zahlreiche Belege -, dass kontinuierlich, seitdem es bekannt war, dass Kurnaz von den Amerikanern verschleppt wurde, das Auswärtige Amt und der Bundesaußenminister sich darum bemüht hat, in Washington eine Freilassung von Herrn Kurnaz zu erreichen. Hier hat die Bundesregierung insgesamt widersprüchlich gehandelt und die Verantwortlichen im Bundesinnenministerium und Bundeskanzleramt müssen auch die Konsequenzen dafür tragen, dass hier tatsächlich menschenrechtliche Standards unterlaufen wurden.
Breker: Die "Süddeutsche Zeitung" spricht heute von internen Unterlagen der rot-grünen Regierung, denen zufolge eine Wiedereinreise von Kurnaz, wie Sie gerade auch geschildert haben, aktiv verhindert werden sollte, und beteiligt war da nicht nur das Innenministerium und die Geheimdienste, sondern auch das Kanzleramt mit Frank-Walter Steinmeier.
Beck: Ja und wenn Herr Steinmeier - das wird ja der Ausschuss weiter zu Tage fördern müssen - hiervon Kenntnis erlangt hat - und das ist nicht völlig unwahrscheinlich -, dann muss das auch Konsequenzen für ihn haben.
Breker: Welche Konsequenzen denken Sie?
Beck: Wenn Herr Steinmeier das gebilligt hat, dass man Herrn Kurnaz in Gefangenschaft hält und sich nicht um seine Freilassung bemüht, dann finde ich könnte er die Menschenrechtspolitik und Außenpolitik der Bundesrepublik nicht mehr glaubwürdig vertreten.
Breker: Sein Ansehen ist beschädigt; er sollte zurücktreten?
Beck: Wenn sich beweisen lässt, dass er tatsächlich dafür die Verantwortung getragen hat und davon Kenntnis gehabt hat, ja!
Breker: Man muss es ja auch deutlich machen. Die Amerikaner wussten nicht wohin mit ihm. Sie haben ihn den Deutschen angeboten und hätten die Deutschen anders reagiert, dann hätten Murat Kurnaz vier Jahre Guantanamo erspart werden können.
Beck: Ja und deshalb muss man das auch kritisieren. Wenn man das jemandem ersparen kann, der unschuldig ist, dann muss man ihm das auf jeden Fall ersparen und da hätten die deutschen Behörden alle Anstrengungen unternehmen müssen, hier für seine Freilassung zu sorgen. Diejenigen, die diese Freilassung hintertrieben haben, haben im Widerspruch zu unseren ethischen Überzeugungen gehandelt.
Breker: Es wirft ja einen seltsamen Blick auf die Politik der rot-grünen Bundesregierung, wenn es tatsächlich so ist, wie Sie angedeutet haben, Herr Beck, dass das Außenministerium von all diesen Aktivitäten nichts wusste?
Beck: Ja. Dann ist es ein Hinweis darauf, dass es kein besonderes Licht auf die rot-grüne Regierung wirft, sondern auf bestimmte handelnde Personen in der Bundesregierung, Beamte und wo möglich auch politisch Verantwortliche. Diese haben den Rest der Regierung dann hintergangen, weil gleichzeitig hat ja das Auswärtige Amt fortwährend in Washington demargiert und darum gebeten, Herrn Kurnaz frei zu bekommen. Insofern hat man die eigenen Leute in der Bundesregierung dann hintergangen.
Breker: Und damit auch der Glaubwürdigkeit der gesamten Bundesregierung in Sachen Menschenrechtspolitik schwer geschadet?
Beck: Selbstverständlich ist das ein Schaden für das Ansehen der Menschenrechtspolitik, wenn von einzelnen Regierungsstellen eine menschenrechtswidrige Handlung gebilligt und befördert wird und nicht alles getan wird, um die Menschenrechte durchzusetzen.
Breker: Kann man dieses denn nur den Beamten anlasten, oder muss man nicht auch fragen, ob die politisch Verantwortlichen da hätten mehr nachfragen müssen?
Beck: Wir müssen diese Fragen klären. Es muss geklärt werden, wer hat davon Kenntnis gehabt, wer trägt dafür die politische und die organisatorische Verantwortung, und am Ende des Untersuchungsausschusses muss dann definiert werden, welchen Teil der Verantwortung welche Personen zu tragen haben, und zwar Beamte wie politisch Verantwortliche, und dann muss daraus auch die Konsequenz gezogen werden, nachdem man definiert hat, wer welchen Anteil an der Verantwortung trägt.
Breker: Durch dieses Handeln ist ja die Aufenthaltsgenehmigung für Murat Kurnaz gelöscht worden und das ist rechtswidrig gewesen, wie wir seit Ende 2005 wissen. Also es wurde auch gegen Recht verstoßen?
Beck: Wie das aufenthaltsrechtlich im Einzelnen zu bewerten ist, entzieht sich jetzt meiner Kenntnis, weil ich diese Akten und die Vorgänge da im Detail [nicht] verfolgt habe. Wenn hier aber rechtswidrig gehandelt wurde, muss dieses entsprechend dann auch geahndet werden. Ich finde übrigens jenseits der Frage der Verantwortlichkeit der Freilassung muss man auch aufarbeiten stimmt es - und da waren die Aussagen von Herrn Kurnaz, wie ich gehört habe, gestern im Verteidigungsausschuss recht glaubwürdig -, dass auch bei seiner Festnahme und seinem Festhalten in Afghanistan wohl der Verdacht nicht von der Hand zu weisen ist, dass deutsche Soldaten ihn mit verhört haben und vor Ort gewesen sind. Dieses muss auch strafrechtlich entsprechend aufgearbeitet werden und da hoffe ich, dass die Staatsanwaltschaft in Tübingen hier alles tut, um diese Straftaten aufzuklären, und wenn sich Verantwortliche feststellen lassen, diese dann auch anklagt.
Breker: Wenn Murat Kurnaz deutscher Staatsbürger gewesen wäre, wäre dann alles anders gewesen?
Beck: Das kann ich Ihnen nicht sagen. Das müssen Sie die Leute fragen, die das bearbeitet haben und die hier meines Erachtens sich nicht korrekt verhalten haben. Das einzige, was sicher anders ist, ist, dass natürlich gegenüber den Amerikanern auch das, was von den Seiten des Auswärtigen Amtes betrieben worden ist, hätte mit größerem Nachdruck betrieben werden müssen, weil die Amerikaner haben uns auf offizieller Ebene immer entgegengehalten, dass Herr Kurnaz nicht unter unserem konsularischen Schutz steht, weil er nicht unser Staatsbürger ist. Das entspricht den internationalen Gepflogenheiten. Gleichwohl hat sich das Auswärtige Amt darum nicht gekümmert und hat immer wieder in dieser Sache demargiert, weil man auf diese Finesse sich nicht einlassen wollte. Die Amerikaner konnten einem das aber nach internationalem Recht tatsächlich entgegenhalten und haben das auch wohl auf dieser offiziellen Ebene getan. Im Hintergrund liefen natürlich ganz andere Gespräche, wie wir heute wissen, die von den Geheimdiensten und vom Innenministerium gesteuert waren.