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Becketts "Glückliche Tage" am DT Berlin
In die Wüste geschickt

Regisseur Christian Schwochow kommt vom Film. Nun hat er am Deutschen Theater Berlin Samuel Becketts "Glückliche Tage" inszeniert. Zu einem Rendezvous von Stück und Regie ist es dabei allerdings nicht recht gekommen.

Von Eberhard Spreng | 23.04.2017
    Dagmar Manzel (li.) und Jörg Pose (re.) in Christian Schwochows Inszenierung von Samuel Becketts "Glückliche Tage" im Deutschen Theater Berlin im April 2017
    Dagmar Manzel (li.) und Jörg Pose (re.) in Christian Schwochows Inszenierung von Samuel Becketts "Glückliche Tage" im Deutschen Theater Berlin im April 2017 (Arno Declair)
    Als Dame ohne Unterleib ist Becketts Winnie zur Ikone im Theater des 20. Jahrhunderts geworden. Bis zur Taille steckt sie in einem Sandhügel, den sie nicht wieder verlassen kann. Natürlich ist das ein Bild für das aufs Engste eingeschränkte Leben - ein Endspiel wie alle Stücke Becketts. Es ist irgendwie aber auch ein moderner Reflex auf Hans Memlings Keuschheitsallegorie aus dem 15. Jahrhundert, wo der Oberkörper einer frommen Frau aus einem schroffen Felsen emporwächst, der Unterleib unerreichbar, zu Stein geworden.
    Bei Beckett ist Winnie in die Wüste verbannt und stellt fest, dass da nichts mehr wächst. Mann Willie lebt in einem Erdloch, kriecht auf allen Vieren, gibt knappe und unwillige Worte von sich, bevor er dann doch noch einmal in Richtung Frau kriecht, weil der Eros und das Verlangen ein letztes Mal in ihm aufbrechen, ein letztes Funkeln von Lebensenergie vor dem endgültigen Eintritt in die Agonie. Aber da ist Winnie schon bis zum Hals im Sand versunken. Winnie, das ist natürlich eine allegorische Figur, deren absurde Situation sich wunderschön an ihren heiteren Alltagsritualen bricht, am Spiel mit den kleinen Dingen, die ihr Glück ausmachen. Soweit Beckett. Alles nicht schön und manchmal auch schwer auszuhalten.
    Einem banalen Realismus ausgeliefert
    Bei Regisseur Christian Schwochow ist vom Allegorischen nichts geblieben, also kein Sandhügel, kein Eingraben. Dagmar Manzel als Winnie sitzt auf einem geradezu provozierend banalen Stuhl mit Chromstahlrahmen, ihre Beine sind in eine graue Decke gehüllt, so als wäre da nicht vom Ende des Lebens zu erzählen, sondern vom Zipperlein eines ältlichen Frauchens. Solchermaßen bildberaubt und einem banalen Realismus ausgeliefert, bleibt dem Zuschauer nur noch das Zuhören.
    "Lass meine Hand los und falle! In Gottes Namen fall tot um! Nein, nein, nein, nein. Ich sehe sie weichen Hand in Hand – und die Taschen. Trüb. Dann weg. Die letzten menschlichen Wesen – die sich hierher verirrten. Bis dato."
    Man kennt die Winnie als Paraderolle für die Diven der letzten 50 Jahre. Als ein Strahlen, das aus dem kindlichen Spiel mit den wenigen Requisiten und dem virtuosen Gesang der wenigen Worte hervorging. Dagmar Manzel hingegen gibt die Winnie in der protestantisch abgespeckten Version: Sie mault ihre Texte, um unvermittelt laut und herrisch zu werden. Die Erinnerungen bleiben raue, kleine Wortfetzen, überdeutlich aufgesagt und von unwilliger, ja wegwerfender Gestik begleitet. Auch fehlt das absurde Entzücken, das Winnie aus dem Umgang mit ein paar Gegenständen bezieht. Das sind im Wesentlichen Utensilien, die man in Damenhandtaschen findet.
    Weiß Schwochow, was er da will?
    Bürste und Spiegel, und eine Zahnbürste, aber auch ein Revolver, das einzige Objekt, das die Manzel einmal kurz küsst. Ihr Stuhl steht vor einer schwarzen spiegelnden Wand, in der sich die Zuschauer der ersten Ränge reflektieren. Eine Tür ist in die Spiegelwand eingelassen, hinter ihr ist der Rücken von Mann Willie erkennbar; er ist in eine Zeitung vertieft. Das sieht so aus, als wohnten die Beiden in zwei getrennten Zimmern, um sich sporadisch ein paar Worte zuzuwerfen: Ein Paar, das sich auseinanderlebt hat. Ganz am vorderen Rand der Bühne hat man übrigens ein Paar Stöckelschuhe hingestellt und man darf rätseln, was die da machen: Ist Winnie auf diesen Schuhen bis zu ihrem letzten Stuhl gelaufen? Oder stehen die da als Meditationsgegenstand für die Erinnerung an bessere Zeiten? Oder steht sie irgendwann wieder auf und stöckelt von dannen? Wohin könnte es denn bitteschön noch gehen, nach Becketts existenzieller, endzeitlicher Wüste? Becketts Stück wird von einem Fluss von zu sagenden Worten und zu tuenden Aktionen vorangetrieben, alles ist dicht ineinander verzahnt. Natürlich darf jeder Regisseur damit machen was er will, aber weiß Filmregisseur Christian Schwochow, was er da will?
    Ganz zum Schluss, kriecht der herrlich entrückt starrende Jörg Pose in der Rolle des Willie nach vorne zu Winnie, reckt die Hand empor zur unerreichbaren Frau auf dem Stuhl und dann beugt sich doch tatsächlich die Manzel zu ihm herab wie zum Kuss, bevor das Licht ausgeht. Man kann es kaum glauben, aber das könnte die Lösung sein, wenn man verstehen will, warum das Rendezvous von Stück und Regie einfach nicht stattfindet: Schwochow hält Beckett einfach nicht aus und beendet die Meditation über die existenzielle Unerreichbarkeit mit flachem Versöhnungskitsch. Dieses Küsschen überlebt Beckett bestimmt nicht.
    Dagmar Manzel (li.) und Jörg Pose (re.) in Christian Schwochows Inszenierung von Samuel Becketts "Glückliche Tage" im Deutschen Theater Berlin im April 2017
    Dagmar Manzel (li.) und Jörg Pose (re.) in Christian Schwochows Inszenierung von Samuel Becketts "Glückliche Tage" im Deutschen Theater Berlin im April 2017 (Arno Declair)