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Beethoven-Haus Bonn
Ludwig goes Google

Das Museum im Geburtshaus Beethovens ist zurzeit coronabedingt geschlossen, doch in einer neuen interaktiven Ausstellung digital zugänglich. Herzstück des Online-Projektes, das zusammen mit Google Arts and Culture entstand, ist ein 3D-Rundgang durch das Beethoven-Haus.

Von Henning Hübert | 07.12.2020
Außenansicht eines cremefarbenen Hauses mit Dachschindeln und Fensterläden in Dunkelgrau. Im Vordergrund die efeuumrankte Steinbüste von Ludwig van Beethovens Kopf.
Für Publikum gerade nur virtuell zugänglich: das Beethoven-Haus in Bonn. (Beethoven-Haus Bonn)
Fest verrammelt ist das Beethoven-Haus in der Bonngasse: Dicke Schlösser, Alarmanlage und Sicherheitscode muss Direktor Malte Boecker bedienen, damit wir zu den Objekten kommen, die er mit seinem Team für die neue Online-Präsentation ausgewählt hat.
„Sie sind jetzt der erste hier seit fünf Wochen, der wieder das Stieler-Porträt gesehen hat und die Bratsche. Das ist ein leeres Museum im Moment.“
Bei Google Arts & Culture absolviert man den gleichen Gang durch die kleinen Räume an seinem Computerbildschirm als Stummfilm, man schwebt und bugsiert sich gleichsam vorbei am berühmten Beethoven-Portrait von Joseph Karl Stieler hin zu den Instrumenten, biegt nach links ab zum Federkiel oder nach rechts zum Schreibtisch, an dem Beethoven komponiert hat. Was am Computer fehlt: Das Knarren der Dielen und in diesen Dezembertagen auch der Eindruck, wie niedrig die Temperatur in den seit Wochen nicht richtig beheizten Räumen ist: Ähnlich kalt dürfte es gewesen sein bei der Geburt Ludwig van Beethovens Mitte Dezember 1770. Nur die Küche hatte damals einen Ofen.
Die Beethoven-Locke
In der ersten Etage geht es auch beim Google-Rundgang vorbei an gläsernen Vitrinen. Nur eine Klappe bleibt digital immer zu und der Inhalt damit verdeckt: Lichtgeschützt schlummern drunter eine Beethoven-Locke und ein paar kleine Blumen von seinem Wiener Grab – eine Erinnerungsgabe des Beethoven-Zeitgenossen Nikolaus Simrock:
„Das ist einmal dieser Stich, den er vom Beethoven bekommen hat und dann vernäht mit einer Haarlocke, die er auch in seinem Besitz hatte. Ja, das ist echte Verehrung.“
Solche Schlüsselloch-Momente will auch Google für seine Nutzer. Der digitale 360-Grad-Rundgang setzt auf viele Zoom-Möglichkeiten: Möglichst nah ran an eines der mehr als 500 Objekte des Beethoven-Hauses. Simon Rein ist der zuständige Programm-Manager bei Google Arts and Culture in London. Für ihn ist das Bonner Beethoven-Haus über seiner Arbeit an diesem Projekt zu einer Art zweitem Wohnzimmer geworden. Die App „Beethoven Everywhere“ pendelt immer hin und her zwischen der Präsentation ernsthafter Forschung und dem Faktor Spaß beim Couchsurfing:
„Jedes dieser Objekte wird mit den maßgeblichen Metadaten und der Beschreibung der Kuratoren angezeigt. Und wenn ihnen eins ganz besonders gefällt, können Sie es auch mit zu sich nach Hause nehmen und in ihr Wohnzimmer stellen. Ich wähle das Porträt, stelle es in den Raum und - voilà - kann meine eigenen vier Wände ein bisschen wie das Beethoven-Haus aussehen lassen.“
Beethovenporträt als Homeoffice-Hintergrund
Ein Balance-Akt, wenn jeder, der es will, das berühmte Stieler-Porträt von Beethoven – das mit dem roten Halstuch und dem Wuschelkopf – von nun an für seine Videokonferenzen aus dem Homeoffice in seinen Hintergrund hängen kann. Im Museum galt noch bis vor einem Jahr ein Fotografier-Verbot. Zwischenzeitlich wurden Schnappschüsse mit dem Handy erlaubt. Das Recht an hochauflösenden Abbildungen kostet weiterhin richtig hohe Gebühren. Laut Malte Boecker geht dieser Kulturwandel rasant weiter:
„Da treffen zwei Denkschulen aufeinander. Die eine sagt, dass das hier eine private Institution ist. Und die lebt davon auch, dass das, was wir hier aufbewahren, in Form von Bildrechten gesichert werden muss. Ich bin Vertreter der andern Denkschule. Ich sehe zwar die Finanzierungsnotwendigkeit dieser Institution. Aber wir sind auch ein Haus, was gefördert wird, damit das, was hier aufbewahrt für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Und das bedeutet größtmögliche Zugänglichkeit in meinem Verständnis. Weil das aus meiner Sicht das gar nichts wegnimmt von dem, was wir hier anbieten, sondern Neugier schafft und Interesse schafft, sich die Dinge auch mal im Original anzuschauen.“
Dazu mag auch beitragen, dass die Google-App „Beethoven Everywhere“ ein Herunterladen von Noten oder Briefen in hochauflösender Grafik blockiert. Die Klickzahlen sollen sehr gut sein. Die Google-App bietet auch viel, neben dem Rundgang durchs Bonner Geburtshaus gut zwei Dutzend Themen-Ausstellungen rund um Ludwig van Beethoven und Musikprojekte zum Jubiläum. Ein Schwerpunkt: Videoclips auf Deutsch oder Englisch. Klangsatt und bildstark zugleich ist der Film über die Weltreise des Quatuor Èbène. Das Streichquartett hat im vergangenen Jahr entlegene Winkel aufgesucht, um Beethoven vorzuspielen und danach Party zu machen.
Historische Details versus Online-Image
Beethoven als Roadmovie. Das ist so ziemlich das Gegenteil der Aussagen zum historischen Beethoven: Der war eigentlich nur in Bonn und in Wien. Die doch sehr knappen Thesen der Google-Präsentation zum Komponisten – sie atmen sehr viel von dem, was das Jahr 2020 aus ihm macht. Hier nur drei Sätze, die Google Arts and Culture Fakten nennt und die einem beim Scrollen durch die prominent ganz oben platzierte Kennenlern-Ausstellung ins Auge springen: "Beethoven hat die Natur geliebt. Mit Beethoven kannst Du an das Gute im Menschen glauben. Beethoven ist Vorbild für alle Freiberufler." Dass Beethoven in Wien zeitlebens versuchte, wieder am Adelshof angestellt zu werden wie in Bonn beim Kölner Kurfürsten und Erzbischof – solche Details passen nicht zum Image als erster freischaffender Künstler. Der kommt in der App sehr farbenfroh rüber, die Eindrücke fürs Auge wirken stärker als die fürs Ohr, auch da, wo Google beides miteinander mixt. Arts-and-Culture-Manager Simon Rein:
„Wir haben auch Bild und Ton zusammengeführt. Also einige der Ausstellungen, die sie sehen, da können Sie die Partituren zum Beispiel sehen und was Beethoven gemacht hat und gleichzeitig hören, die bestimmte Stelle, damit sie das besser miteinander verbinden können. Es geht glaube ich darum, die verschiedenen Medien zusammenzuführen zu einer, ja, immersiven Erfahrung.“
Google will also, dass man das Virtuelle als möglichst real empfindet. Dafür ist Beethoven offensichtlich ein guter Helfer. So wie beim Projekt der Telekom, die Uraufführung von Beethovens X. Symphonie aus wenigen Skizzen heraus zu wagen. 2021 sollen Computer ausgerechnet haben, wie die wenigen Andeutungen zu dem Werk aus dem Beethoven-Haus als Ganzes geklungen haben könnten. Im Augenblick treffen sich Google und Beethoven-Haus in den neuen Seiten der gemeinsamen App. Gleich unterm Basiswissen zu Beethoven kommt das Kapitel "Beethoven Goes Pop!". Nach nur zwei Klicks ist man schon ganz schön weit weg vom Jahr 1770 - und bei den Beatles gelandet.