Donnerstag, 25. April 2024

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Beethovens letzte Klaviersonaten
Klar und vornehm

Der Franzose Alexandre Tharaud hat zum ersten Mal Klaviersonaten von Ludwig van Beethoven aufgenommen - und dann gleich die letzten drei. Sie stellen pianistisch aber auch intellektuell eine Herausforderung dar. Tharaud meistert diese Aufgabe mit der ihm eigenen Klarheit und Noblesse.

Am Mikrofon: Susann El Kassar | 04.11.2018
    Alexandre Tharaud lehnt an einer roten Wand
    Der Pianist Alexandre Tharaud - bekannt für seinen in gewisser Weise französischen Zugriff auf Kompositionen. (Marco Borggreve)
    Musik: Klaviersonate op.109/3
    Gesangvoll, mit innigster Empfindung gibt Ludwig van Beethoven dem Interpreten für den dritten Satz seiner Klaviersonate op.109 mit auf den Weg. Dieses Thema in E-Dur ist eines der schönsten, die Beethoven komponiert hat, und das er in sechs Variationen kunstvoll umkreist, sukzessive die innere Spannung erhöht, bis zum Schluss dann wieder dieses schlichte Thema erklingt.
    Virtuos, intellektuell, transzendent
    Dieser kurze Ausschnitt stammt von der neuen CD des Franzosen Alexandre Tharaud, der beim Label Erato die drei letzten Klaviersonaten von Ludwig van Beethoven aufgenommen hat. Tharaud ist durch seine Interpretation der Goldberg-Variationen von Bach oder auch durch seine CD mit Werken von Jean-Philippe Rameau als feinsinniger Pianist aufgefallen, der mit seiner differenzierten Anschlagkultur Werke transparent begreifbar machen kann. Jetzt wendet er sich zum ersten Mal auf CD Beethoven zu und dann gleich dessen letzten drei Sonaten. Sie stellen in vielerlei Hinsicht eine Herausforderung für Pianisten dar: sie sind virtuos, sie sind intellektuell reizvoll, da Beethoven in allen drei Fällen im Schluss den dramaturgischen Finalpunkt sieht, und lange Wege nimmt, um zu diesem Finale zu gelangen und nicht zuletzt beflügeln sie den Pianisten zu transzendenten Momenten, wenn wie gerade gehört, aus wenigen Noten etwas Drittes Fragiles, von sich aus Wohltuendes entsteht.
    Musik: Klaviersonate op.109/3
    Alexandre Tharaud legt eine sehr klare und über weite Strecken klug austarierte Lesart der drei Sonaten op.109, op.110 und op.111 vor. Im zweiten Satz der Sonate op.110, im Prestissimo wird erkennbar, dass Tharaud den Satz eher aus seiner Erfahrung mit der Musik von Bach und Rameau deutet. Er verzichtet auf Klangwucht im Bass, interpretiert nobel, gar nicht gedankenschwer in einem zügigen Tempo.
    Musik: Klaviersonate op.110/2
    Für alle drei Sonaten gilt, dass Alexandre Tharaud seine Fähigkeit, Mehrschichtiges transparent zu spielen, bei Passagen, in denen Beethoven auf das barocke Prinzip der Fuge zurückgreift, am besten unter Beweis stellt, wie bspw. in der Sonate op.110, im dritten Satz. Hier dürfte Tharaud allerdings auch stellenweise noch überschwänglicher zupacken, denn auch wenn die letzten Sonaten, insbesondere op.110 von sanglicher Milde und Innigkeit geprägt sind, der ruppige, plötzlich aufbrausende Beethoven fände sich auch hier gut wieder.
    Musik: Klaviersonate op.110/3
    Ludwig van Beethoven hat seinem Verleger Adolph Martin Schlesinger die drei Sonaten als Dreierpack angeboten, das er ihm innerhalb von drei Monaten schicken wollte. Tatsächlich zog sich das Komponieren insbesondere von op.110 und op.111 länger hin, auch weil Beethoven stellenweise diese Arbeit ruhen ließ. Insgesamt sind die Sonaten so zwischen 1820 und 1822 entstanden – Beethovens Gehör war zu dieser Zeit bereits stark beeinträchtigt.
    Rhythmisch genau und trotzdem suggestiv
    "Diese geistreiche Clavier-Composition ist ein neuer Beweis der unerschöpflichen Phantasie und tiefen Harmonie-Kenntniß des herrlichen Tondichters" lobt ein Musikkritiker Beethovens Sonate op.109 und auch die anderen beiden Sonaten wurden hinsichtlich der musikalischen Ideen, der harmonischen Wendungen und auch der neuartigen Form gelobt. Die letzte Sonate op.111 fiel von jeher unter den Dreien besonders auf, da sie aus nur zwei Sätzen besteht und diese auch noch sehr verschieden voneinander sind. Der erste mit ouvertürenhaftem Anfang, und mit einem keck-bösen Thema, das Mephistopheles charakterisieren könnte, und das sich zu einem wilden 16-tel Ritt aufschaukelt. Der zweite Satz dann - wieder ein Variationensatz - führt eher zu Assoziationen von ätherischen Höhen. Tharaud arbeitet hier rhythmisch genau, und vermag trotzdem diesen Zauber freizulegen. Überhaupt gelingt ihm die Interpretation der Sonate op.111. neben der von op.109 am überzeugendsten.
    Hier zunächst ein Ausschnitt aus dem ersten Satz, in dem Tharaud auch alles unter Kontrolle behält, ein wilder Beethoven aber hinter Gitterstäben:
    Musik: Klaviersonate op.111/1
    Das Faszinierende am zweiten Satz dieser Sonate, dem Satz, der den Schlussstrich unter alle 32 Sonaten zieht, ist, wie es Beethoven hier wieder mit einem Variationensatz gelingt das Gefühl eines Stillstands in der Bewegung zu kreieren. Was zunächst mit dem einfachen Verkürzen der Notenwerte anfängt und in Kombination mit einem swingenden Rhythmus und gezielten Betonungen auf unbetonten Zählzeiten beginnt, verwandelt sich dann in ein Flirren in der hohen Lage zu gleichmäßig getupften Achteln und schlussendlich ist der anhaltende Triller das Symbol schlechthin für Bewegung und Stillstand in einer Figur. Diese paradoxe Kraft und dadurch überirdische Suggestion der Musik von Beethoven führt Alexandre Tharaud mit seinem transparenten Spiel effektvoll zu Tage.
    Musik: Klaviersonate op.111/2
    Der CD des Franzosen Alexandre Tharaud mit den letzten drei Klaviersonaten von Ludwig van Beethoven liegt übrigens auch eine DVD bei, mit ambitionierten Videoclips zu den drei Sonaten, die zeigen, wie Alexandre Tharaud in einer großzügig kargen Kulisse, die diese Sonaten von Beethoven interpretiert.
    Beethoven
    Sonaten op.109, op.110, op.111
    Alexandre Tharaud, Klavier
    Erato