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Beginn einer neuen Ära

Fast zwei Jahre nach seiner Unterzeichnung tritt der EU-Reformvertrag von Lissabon in Kraft. Damit erhält das Europaparlament mehr Mitspracherecht - doch das ist noch lange nicht alles.

Von Anne Raith und Barbara Schmidt-Mattern | 01.12.2009
    David Cameron: "The politicians, that run this country, have given away a lot of power to Brussels without asking people first."

    Gregor Gysi: "Das heißt, sie überlegen, wie sie eine EU der Regierungen schaffen und nicht eine EU der Völker."

    Gescheiterte Referenden und der immer wieder erhobene Vorwurf, Europa sei zu bürgerfern – um das zu ändern, sieht der Lissabonner Vertrag eine Europäische Bürgerinitiative vor. Mindestens eine Million Bürger aus verschiedenen EU-Staaten können sich künfitg mit Gesetzesvorschlägen an die EU-Kommission wenden.

    Bürgernah heißt auch, dass die Volksvertreter mehr zu sagen haben.

    "Die Abstimmung ist eröffnet. Hat jeder abgestimmt? Die Abstimmung ist geschlossen."

    Das Europäische Parlament ist in Zukunft stärker an der Gesetzgebung beteiligt und hat das letzte Wort über alle Ausgaben der EU. Auch die nationalen Parlamente erhalten mehr Mitsprache.

    Angela Merkel: "Vive la France, vive l'Allemagne, vive l'amitié franco-allemande."

    Nicolas Sarkozy: "Madame la chancelière, l'amitié de l'Allemagne et de la France est un trésor."

    Das deutsch-französische Tandem wird auch künftig eine Führungsrolle in Brüssel beanspruchen. Neu ist aber, dass Abstimmungen im Ministerrat – dem Gremium der Mitgliedsstaaten, künftig mit qualifizierter Mehrheit entschieden werden.

    Angela Merkel: "Natürlich ist es mit 27 Mitgliedsstaaten nicht einfacher geworden als mit 15. Wir sind einen Schritt vorangekommen und das ist, was letztendlich zählt."

    Ab dem Jahr 2014 gilt die sogenannte doppelte Mehrheit: Mindestens 55 Prozent der Mitgliedsstaaten müssen im Ministerrat zustimmen. Und diese 55 Prozent müssen mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung vertreten. Europa soll damit handlungsfähiger werden. Nur in der Außen-, Sicherheits- und in der Steuerpolitik gilt weiterhin das Prinzip der Einstimmigkeit.

    Eine gemeinsame Stimme und zwei neue Gesichter hat Europa mit Lissabon erhalten:

    Catherine Ashton: "Am I an ego on legs? No I'm not!"

    Ist sie ein Ego auf zwei Beinen? Nein, das ist sie wahrlich nicht. Mit der Britin Catherine Ashton als Hohe Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik soll die europäische Außenpolitik in Zukunft eine größere Rolle spielen. Neuer ständiger Ratspräsident wird der Belgier Herman van Rompuy. Ein Dichter und Denker. Oder Denker und Dichter.

    José Manuel Barroso: "Günter Oettinger is the Ministerpräsident of Baden-Württemberg."

    Schwaben – das war einmal. Ab nächstem Jahr dient Günther Oettinger in Brüssel als neuer EU-Kommissar für:

    José Manuel Barroso: "Energy. Energy security, energy efficiency and so it is a very important task!"

    Für mehr positive Energien in Brüssel ist vorgesehen, dass auch weiterhin jeder Mitgliedsstaat einen Kommissar nach Brüssel entsenden darf. Ein Zugeständnis an die Iren, die erst nein und dann in einem zweiten Referendum doch noch ja sagten, zum Lissabon-Vertrag.
    Ordentlich aufgeräumt und neu strukturiert werden sollte die Europäische Union, bevor neue Mitglieder dazukommen. "Ohne Lissabon keine Erweiterung" – war die Devise. Doch wer rein darf und wer nicht, wird wohl auch in Zukunft weniger eine vertragliche denn eine politische Frage sein.

    Maggie Thatcher hat früher noch mit der Handtasche auf den Brüsseler Sitzungstisch geschlagen, wenn sie mit der Europäischen Gemeinschaft über Kreuz lag. Doch mit dem Lissabonner Vertrag ist nun auch dies möglich: Wer aus der Europäischen Union austreten will, darf künftig gehen.