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Begriffsbestimmung
Dem Vertrauen nachspüren

Die Historikerin Ute Frevert begibt sich in einer neuen Monografie auf die Suche nach einer "Obsession der Moderne" - dem Vertrauen. Die Geschichtswissenschaftlerin stellt und beantwortet in ihrer Abhandlung zentrale Fragen wie "Kann und sollte der Mensch vertrauen?". Frevert spürt dem Vertrauen im Entwicklungsprozess der bürgerlichen Gesellschaft nach.

Von Thomas Kleinspehn | 06.03.2014
    "Liebe – Vertrauen": so warb unlängst eine bekannte Schweizer Uhrenfirma für ihre Produkte. "Verantwortung – Veränderung – Vertrauen" ist ein Wahlspruch, den nicht nur die CDU, sondern fast jede andere Partei einsetzen könnte. Und schließlich wirbt auch die Bank an Ihrer Seite um Vertrauen. Ob in Wirtschaft, Politik, Erziehung oder in private Beziehungen: der Bergriff Vertrauen wird inflationär gebraucht. Seit wann es diesen Begriff gibt und ob er tatsächlich jeweils dasselbe meint, das fragt sich seit über zehn Jahren die Historikerin Ute Frevert. Als erste Arbeitsergebnisse des großen Schwerpunkts "Geschichte der Gefühle" am Max Planck Institut für Bildungsforschung in Berlin hat sie schon 2003 einen Sammelband zum Thema herausgegeben. Jetzt hat sie dem Begriff eine eigene Monografie gewidmet.
    "Ich habe mich auf die Suche gemacht, bin sozusagen zurückgelaufen in der Geschichte, um zu sehen, wann fängt das eigentlich an und warum fängt das an. Und bin dann im 18. Jahrhundert gelandet, als es eine Kontroverse auch darum gab, können wir eigentlich vertrauen, sollen wir vertrauen, ist es nicht viel zu riskant, wem können wir eigentlich vertrauen? Und gegenüber Positionen, die damals eher lauteten: Die Menschen sind eigentlich nicht vertrauenswürdig, weil sie viel zu instabil sind, weil sie ihre Meinung ändern, weil sie eigentlich nicht nachhaltig - würde man heute sagen - sind. Daher gibt es nur ein Prinzip, in das wir wirklich vertrauen können, und das Prinzip heißt Gott. Und davon ist ja heute überhaupt nicht mehr die Rede. Menschen sind immer vertrauenswürdiger geworden, sind als Vertrauenspartner wichtig geworden für andere Menschen bis hin zu dem Hipe an Vertrauen, den wir heute haben", sagt Ute Frevert.
    Entwicklungsprozess der bürgerlichen Gesellschaft
    Um das zu erklären, blickt Ute Frevert auf den Entwicklungsprozess der bürgerlichen Gesellschaft zurück, in dem Beziehungen zu anderen Menschen immer wichtiger geworden sind. Der Mensch definiert sich nicht mehr nur allein aus seinem Stand heraus, sondern erhält einen größeren Spielraum für eigene Entscheidungen. Damit verändern sich aber seine Abhängigkeitsmuster. In Beziehungen zu anderen wird deshalb Vertrauen ganz entscheidend. Wie sich das auf immer mehr gesellschaftliche Bereiche auswirkt, das ist die eigentliche Frage in Ute Freverts Buch. Die Historikerin findet Vertrauen als Grundbestandteil von Beziehungen bei Goethes Werther und in den Schriften zur romantischen Liebe genauso wie in Wagners Lohengrin. Sie entdeckt es im Vertrauen in Lehrer, Ärzte, im Arbeitsprozess oder schließlich im ökonomischen und politischen Feld als Vertrauen in Schuldner, Banken oder Politiker. Doch ist es dasselbe, wenn ich einem Menschen vertraue, einer Bank oder einer politischen Partei?
    Ute Frevert: "In dem Buch argumentiere ich ziemlich rigide und radikal, dass in der Tat Vertrauen sich nur einstellen kann in der Beziehung zwischen Menschen. Und die Übertragung von Vertrauen auf Systeme etwas ist, was semantisch nicht korrekt ist, weil man einem System nicht vertrauen kann. Man kann sich darauf verlassen, dass das System nach bestimmten Regeln funktioniert. Diese Regeln sind uns transparent. Da brauchen wir kein Vertrauen. Als ich argumentiert habe, dass die Existenz dieser Institutionen, die regelgeleitet sind, dass diese Existenz wichtig ist, damit wir vertrauen können, heißt es nicht, dass wir in diese Institutionen vertrauen, sondern dass es die Unterstützung von Institutionen ist, nicht mehr nur von Gott, die es uns erleichtert, Menschen zu vertrauen.
    Vertrauensbegriff weitet sich auf andere Bereiche aus
    Dass überhaupt die Frage auftaucht, ob man auch Institutionen vertrauen könne, hat nach Ansicht von Ute Frevert mit der allmählichen Versachlichung des Begriffs im 19. Jahrhundert zu tun. Hier geht es nicht mehr nur um private Beziehungen allein. Jetzt weitet sich der Begriff auf den Bereich von Dienstleistungen oder der Wirtschaft aus. Sachliche Beziehungen werden so emotional besetzt, private Beziehungen aber gleichzeitig auch versachlicht. Erst jetzt kann man sich vorstellen, dass Vertrauen auch "erarbeitet" werden kann oder sogar muss. Vertrauen wird zu einer ganz wichtigen Ressource, die Menschen kennzeichnen. Es zeichnet sie aus, "vertrauenswürdig" zu. Als Basis für eine Gruppe kann Vertrauen jedoch auch zu einer Waffe in der Durchsetzung eigener Interessen werden. Die im Zuge der bürgerlichen Revolutionen sich entwickelnden politischen Bündnisse und später die Gewerkschaften oder Parteien wären ohne ein gemeinsames Vertrauen nicht denkbar. Sie übernehmen Muster, die sich zunächst in Ehe- oder Freundschaftsbeziehungen herausgebildet hatten.
    "Mit der freien Wahl wächst letztendlich auch die Notwendigkeit, diesen dann Gewählten, das Vertrauen entgegen zu bringen, dass sie meine Wahl schon irgendwo auch nicht enttäuschen werden. Und da wird Vertrauen zu einer ganz wichtigen Ressource, die vorher in dem Sinne gar nicht so notwendig gewesen ist, im zwischenmenschlichen Bereich. Deshalb wird es eben auch als Teil von Ehebeziehungen aufgewertet, als Teil von Freundschfaftsbeziehungen, aber eben auch als Teil weiter aufgespannten bündischen Strukturen in der Jugendbewegung nicht nur des frühen 20. Jahrhunderts, sondern auch des frühen 19. mit den ganzen Studentenvereinen damals und Burschenschaften", sagt die Historikerin.
    Vertrauen wird instrumentalisierbar
    Mit der Versachlichung und Ausweitung des Begriffs wird Vertrauen allerdings auch instrumentalisierbar. Hierfür findet die Berliner Historikerin zahlreiche Beispiele aus der Geschichte des 20. Jahrhunderts. Sie zeigen, wie Vertrauen, gepaart mit dem verwandten Begriff der Treue, im Ersten Weltkrieg oder später in der Zeit des Nationalsozialismus politisch missbraucht wurde. Heute, im Zeitalter des Wirtschaftsliberalismus verlagert sich Instrumentalisierung von Vertrauen verstärkt auf die Ebene von Werbung, Geldanlagen oder politischem Wettbewerb. In all diesen Bereichen würde man heute jedoch eher von einer "Vertrauenskrise" sprechen. Ute Frevert vermutet allerdings, dass die Krise mehr inszeniert ist und der Durchsetzung von Interessen dient.
    "Würden Sie mir denn soweit folgen, dass der einzelne Mann oder die einzelne Frau auf der Straße von Vertrauenskrise deshalb spricht, weil rund um ihn oder sie herum in den Medien oder in Unternehmen, gerade bei Banken, dieses Vertrauenswort so gehiped wird. Unser Sprachgebrauch ist ja nicht einer, den wir selber erfinden, sondern der geht auf Konventionen, Gewohnheiten zurück, die sich in dieser Gesellschaft einstellen. Da hinter stecken auch Machtverhältnisse."
    Unendliche Suche nach Vertrauen
    Viele Studien aus jüngster Zeit betrachten Gefühle oder Haltungen, wie Gelassenheit oder Schüchternheit, isoliert. Demgegenüber geht es Ute Frevert darum, das sich verändernde Beziehungsgeflecht der westlichen Gesellschaften aufzufächern. Über den Fokus "Vertrauen" kann sie deutlich machen, wie stark moderne Gesellschaften zwar sachliche Verflechtungen entwickeln, diese aber immer auch emotionale Komponenten hatten und haben. Vertrauen bleibt aber heterogen und die Grenzen sind nicht eindeutig. Wie in ökonomischen, politischen, freundschaftlichen oder anderen emotionalen Beziehungen Vertrauen wirkt und wie sie miteinander verschränkt sind, bleibt noch genauer zu klären. Dann müsste man sicher auch auf die Kehrseite und den eigentlichen Ausgangspunkt für die unendliche Suche nach Vertrauen zu sprechen kommen: Die Unsicherheit und Angst, die uns in die Arme des Vertrauten treibt. Ute Freverts Buch trägt dafür zunächst nur die möglichen Ebenen zusammen. Das aber sehr überzeugend.
    Ute Frevert: Vertrauensfragen. Eine Obsession der Moderne.
    C.H. Beck Verlag 2013, 17.95 Euro.