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Behandlung in der Coronakrise
Marburger Forscher entwickeln simple Beatmungsgeräte

Weltweit gibt es zu wenige hochleistungsfähige Beatmungsgeräte, um gleichzeitig viele schwere COVID-19-Fälle zu versorgen. Forscher haben deshalb zwei unterschiedliche Konzepte für einfache Beatmungsgeräte entwickelt, die schnell und preisgünstig hergestellt werden können.

Von Piotr Heller | 08.04.2020
Auf der Basis von genannten CPAP Geräten zur Behandlung von Schlafapnoe haben Marburger Forscher simple und kostengünstige Beatmungsgeräte für COVID-19-Fälle entwickelt
Auf der Basis von genannten CPAP-Geräten zur Behandlung von Schlafapnoe haben Marburger Forscher simple und kostengünstige Beatmungsgeräte für COVID-19-Fälle entwickelt (Copyright Martin Koch / Universität Marburg)
"Alles fing an am Freitag, den 13. März. Da kam ein mexikanischer Gastwissenschaftler, Professor Enrique Castro-Camus bei mir ins Büro und sagte: Nenn mich verrückt, aber könnte man nicht vielleicht Beatmungsgeräte selber bauen?"
So erinnert sich Martin Koch an den Beginn dessen, was zwei intensive Arbeitswochen werden sollten. Eigentlich ist er Physikprofessor, befasst sich an der Philipps-Universität Marburg mit Halbleiterphotonik. An jenem Freitag dem 13. wurde er zum Koordinator eines Teams, das Beatmungsgeräte entwirft: Mit dabei waren Physiker, Maschinenbauer, Mediziner, Informatiker. Am nächsten Montag ging es dann los.

"Die ursprüngliche Idee war natürlich, dass man mal Knet-Mechaniken baut für diese Beatmungsbeutel. Und am 17. – am Tag drauf – kam dann noch eine tolle Idee aus dem schlafmedizinischen Zentrum der Philipps-Universität Marburg. Die hatten sich überlegt, dass man die sogenannte CPAP-Geräte so erweitern kann, dass man sie zur Beatmung einsetzen kann, dass man da ein Zusatzgerät baut."
Coronavirus
Coronavirus (imago / Science Photo Library)
Beatmungsgeräte basieren auf Erkenntnissen der Schlafmedizin
CPAP-Geräte versorgen Patienten mit Atemstörungen beim Schlafen mit einem kontinuierlichen Luftstrom. Es gibt sie in Schlaflabors, manche Patienten haben sie zuhause – die Maschinen sind also weit verbreitet. Darum haben sich die Forscher dafür entschieden. Das Zusatzgerät, das sie entwickelt habe, verändert den kontinuierlichen Luftstrom so, dass er dem Ein- und Ausatmen entspricht. So kann man Menschen beatmen – wenn auch nicht so gut wie mit echten Beatmungsgeräten.
"Wenn jemand wirklich jetzt mit blauen Lippen ins Klinikum kommt und schon fast am Ersticken ist, dann muss der natürlich an ein professionelles Gerät angeschlossen werden. Aber nach ein paar Tagen, wenn sich die Person erholt hat, dann könnte man auf unsere Geräte umswitchen, auf die modifizierten CPAP-Geräte, und dann würde eben dieses professionelle Gerät wieder frei für den nächsten starken Fall."

Der ärztliche Geschäftsführer des Uniklinikums Marburg Harald Renz sieht Deutschland derzeit noch gut gerüstet, wenn es um Beatmungsplätze geht. Mit Blick auf die stark betroffenen Regionen der Welt sagt er aber:
"Wenn es solche Cluster, solche Herde gibt - und das zeichnet ja gerade SARS-CoV-2 Infektionen aus. Das Ganze schießt dann so wie Pilze aus dem Boden. Und dann wird es häufig schwierig, in genau solche Cluster-Regionen Ressourcen auch zu allozieren. Insofern macht es absolut Sinn, aus meiner Sicht heraus, dass man sich natürlich auch regional mit solchen alternativen Konzepten befasst."
Dr. Bastian Leutenecker-Twelsiek und Caroline Sommer diskutieren die neuste Version des Zusatzgeräts für ein CPAP-Gerät.
Dr. Bastian Leutenecker-Twelsiek und Caroline Sommer diskutieren die neuste Version des Zusatzgeräts für ein CPAP-Gerät (Copyright Martin Koch / Universität Marburg)
Beatmungsbeutel aus der Notfallmedizin als Alternative
Sorge bereiten ihm derzeit vor allem die schlechten Versorgungsmöglichkeiten in Subsahara-Afrika. Für die dortigen Länder haben die Marburger Forscher eine Maschine entwickelt, die automatisch auf Beatmungsbeutel drückt, wie man sie aus der Notfallmedizin kennt. Diese Maschine kann aus simplen Teilen hergestellt werden – auch dieses Konzept ist fertig. Wie geht es weiter? Mit den CPAP-Zusatzgeräten sieht es derzeit so aus:
"Wir haben auch schon eine Firma, die sich bereit erklärt hat, diese Zusatzgeräte in großer Stückzahl zu fertigen. Das ist die Firma Schneider hier in Marburg. Und das hört sich jetzt alles ganz, ganz toll an, und man denkt vielleicht, morgen hat man die Geräte, aber so ist es nicht. Das ist nämlich ein medizintechnisches Produkt ohne eine Zulassung. Und das können wir nicht in Umlauf bringen, weder die Geräte noch die Pläne. Damit machen wir uns strafbar. Das heißt, wir brauchen eine Zulassung und wir sind auch schon mit den entsprechenden Stellen im Gesundheitsministerium im Kontakt."
Ein Operationsteam im Krankenhaus. Eine Frau auf der Liege bekommt ein Beatmungsgerät aufgesetzt. 
Triage - wer wird beatmet, falls Geräte knapp werden?
Medizinethikerin Christiane Woopen warnt vor der Überforderung des Gesundheitssystems. Sie appelliert an alle, durch verantwortungsvolles Verhalten die Versorgung von Kranken zu gewährleisten – andernfalls komme es zu "tragischen, konfliktreichen Situationen".
Beim Gesundheitsministerium wurde Jens Spahn direkt über die modifizierten CPAP-Geräte unterrichtet, teilt das Ministerium auf Anfrage mit. Er habe das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte beauftragt, das Konzept zu bewerten. Das ist noch nicht abgeschlossen. Eine vorläufige Einschätzung lautet jedoch, dass die Geräte noch nicht praxisreif sind. Sie würden nicht die nötige Performance liefern, zudem bestünden hygienische Bedenken. Die Marburger Forscher arbeiten daran und haben dem Ministerium inzwischen geantwortet. Die hygienischen Bedenken ließen sich technisch lösen. Was die Leistung angeht, soll das Gerät ohnehin nicht mit professionellen Beatmungsmaschinen mithalten.