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Behrendt fordert Engagement der EU in der Tschetschenienfrage

Jürgen Liminski: Herr Behrendt, ist das die angemessene Reaktion eines demokratisch gewählten Präsidenten, mit Rache zu drohen?

Moderation: Jürgen Liminski |
    Wolfgang Behrendt: Also angemessen ist es sicherlich nicht. Allerdings wer Putin kennt, musste damit rechnen, dass er hier mit Vergeltung drohen würde und sich als starker Mann geriert, aber ich fürchte, das wird nur zu einer weiteren Eskalation führen.

    Liminski: Putin hat nicht vor, die Tschetschenienpolitik zu ändern. Was wäre denn Ihrer Meinung nach die Alternative?

    Behrendt: Also ich denke, es zeigt sich ganz klar und deutlich, auch jetzt wieder mit diesem Anschlag, dass man das Land keineswegs unter Kontrolle hat, dass alle Versuche, hier eine Normalisierung herbeizuführen, gescheitert sind. Ich glaube, dass die Verhärtung so stark ist, dass es hier einer internationalen Vermittlung bedarf.

    Liminski: Und wer kann diese Vermittlung leisten?

    Behrendt: Nun, der Europarat hat es seinerzeit angeboten und auch in ersten Schritten versucht zu realisieren. Wir hatten eine gemeinsame Arbeitsgruppe gegründet von Vertretern der parlamentarischen Versammlung des Europarates und russischen Duma-Angehörigen. Wir haben die Tschetschenen dazu eingeladen. Es hat sich aber leider gezeigt, dass eben auf russischer Seite das Ganze doch mehr oder minder nur als Alibiveranstaltung gesehen wurde und man nicht wirklich bereit war, hier die Unterstützung des Europarates in Anspruch zu nehmen. Ich denke, das war ein Fehler, weil sich jetzt zeigt, dass Russland allein ganz offenbar das Problem nicht lösen kann.

    Liminski: Die Amerikaner halten sich ja auch zurück. Die Menschenrechte werden in Tschetschenien mit Füßen getreten. Nach den Foltervorwürfen an Briten und Amerikaner im Irak versteht man jetzt vielleicht auch besser, warum Washington und London die Tschetschenienpolitik Moskaus kaum beanstanden. Sehen Sie denn Unterschiede zwischen den Vorgängen in Tschetschenien und denen im Irak?

    Behrendt: Also ganz zweifelsohne handelt es sich hier um eklatante Menschenrechtsverletzungen in beiden Bereichen. Wenn man die neuesten Foltervorwürfe in Bezug auf den Irak sieht, dann hat man den Eindruck, da ist kein großer Unterschied. Ich unterstelle den Amerikanern, dass sie insgesamt versuchen, die Menschenrechtsverletzungen zu vermeiden. In Tschetschenien muss man sagen, dass über Jahre hinaus Menschenrechtsorganisation und auch der Europarat zu Recht permanente Menschenrechtsverletzungen kritisieren musste.

    Liminski: Wie steht es denn um die Pressefreiheit in Russland? Können die Zeitungen noch frei oder risikolos über Putin, Tschetschenien berichten?

    Behrendt: Nein, ich denke, Pressefreiheit in dem Sinne, wie wir sie kennen, gibt es in Russland nicht. Die Medien sind weitgehend gleichgeschaltet, mit geringfügigen Nuancen, und oppositionelle Meinungen kommen in größerem Maße nicht zur Verbreitung.

    Liminski: Die Wirtschaft soll sich wohl entfalten. Die Staatsinstitutionen bleiben im präsidialen Griff. Ist denn Putin Ihrer Meinung nach so eine Art russischer Pinochet?

    Behrendt: Also so weit würde ich nun nicht gehen, ihn mit Pinochet zu vergleichen. Er ist sicherlich ein sehr autokratischer Präsident, und Russland ist von der Demokratie weit entfernt. Allerdings muss man auch in Rechnung stellen, dass es keinerlei Erfahrungen mit Demokratie gibt, dass die notwendigen Strukturen dafür nicht vorhanden sind und dass auch die russische Bevölkerung überwiegend das nicht als Diktatur in dem Sinne empfindet. Insofern scheint mir ein Vergleich mit Pinochet, ein Vergleich mit Chile zur damaligen Zeit doch nicht ganz zu greifen.

    Liminski: Hierzulande gilt Putin als Freund. Gelegentlich wird er als tragender Pfeiler einer imaginären Achse Paris-Berlin-Moskau. Wie berechenbar ist denn Putins Außenpolitik? Die Berechenbarkeit ist ja für deutsche Investitionen in Russland von Bedeutung.

    Behrendt: Ja, das ist sicherlich so, dass nicht nur diese Achse besteht, sondern die EU insgesamt in Putin einen gewissen Garanten einer gewissen Stabilität und auch einer Kontinuität russischer Außenpolitik sieht, dass von daher alle Stellungnahmen, gerade auch zum zweiten Tschetschenienkrieg, außerordentlich zurückhaltend waren. Das betrifft die Bundesregierung und auch andere EU-Vertreter. Die jetzige Stellungnahme von Herrn Solana ist ja wieder sehr zurückhaltend. Die Amerikaner sind sicher nicht in der Lage, da zu vermitteln, sollten das auch nicht, weil sie selbst genug Probleme haben, aber ich wünschte mir ein stärkeres Engagement der Europäischen Union, gerade in der Frage des Tschetschenienkrieges ein stärkeres Drängen darauf, dass Putin hier internationale Assistenz in Anspruch nimmt.

    Liminski: Müsste das nicht dann auch mit einer stärkeren Kritik verbunden sein?

    Behrendt: Ja, das ist sicherlich richtig. Ich denke, man muss die Dinge auch ganz klar und deutlich aussprechen, und es hat keinen Sinn, wenn man in Gesprächen mit der russischen Staatsspitze die Dinge weitgehend beschönigt oder unter den Teppich kehrt.

    Liminski: Besten Dank für das Gespräch.