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"Bei allen Veränderungen ist China immer noch ein Ein-Partei-Staat"

Für den China-Experten Jörn-Carsten Gottwald zeigen die derzeitigen Gespräche der deutschen Regierungsdelegation in Peking, wie viel Vertrautheit inzwischen zwischen beiden Ländern bestehe. Dass strittige Themen wie die Menschenrechte hinter verschlossenen Türen angesprochen würden, habe sich dabei als richtig erwiesen.

Jörn-Carsten Gottwald im Gespräch mit Martin Zagatta | 30.08.2012
    Martin Zagatta: Drei Flugzeuge und rund 200 Personen – Bundeskanzlerin Merkel ist mit einer außergewöhnlich großen Delegation in China. Gleich zum Auftakt der Gespräche hat sie Ministerpräsident Wen Jiabao getroffen, bei einem Besuch, der ganz im Zeichen der Wirtschaftsbeziehungen steht – sehr erfolgreicher Geschäfte, wie auch heute in Peking wieder deutlich wurde. Wir sind jetzt mit Professor Jörn-Carsten Gottwald verbunden, China-Experte von der Ruhr-Universität in Bochum. Guten Tag, Herr Gottwald.

    Jörn-Carsten Gottwald: Guten Tag.

    Zagatta: Herr Gottwald, Kanzlerin Merkel ist jetzt schon zum sechsten Mal in China. Sie trifft die chinesische Führung schon häufiger als Barack Obama, sagen manche. Zeigt das, wie wichtig diese Wirtschaftsbeziehungen mittlerweile geworden sind, denn die stehen ja da wohl voll im Vordergrund?

    Gottwald: Das zeigt definitiv, wie wichtig die Volksrepublik China insgesamt geworden ist, und das zeigt eben auch, dass die deutsche Bundesregierung diese Rolle annimmt und versucht, darauf einzugehen. Die wirtschaftlichen Themen stehen natürlich gerade auch in der Presseberichterstattung sehr im Vordergrund, sie sind natürlich auch wichtig und China als aufstrebende Wirtschaftsmacht, als wichtiger deutscher Handelspartner, da geht es natürlich ganz klar auch darum, möglichst viele Güter zu exportieren und zu importieren. Aber es hat natürlich auch viel zu tun mit der politischen Bedeutung Chinas, denn die Frage, wie etwa die Euro-Krise zu lösen sein könne, betrifft ja beides, Wirtschaft wie politische Fragen, und wenn Sie sich das Programm ansehen, dann geht es ja gerade auch um die Frage, inwieweit da zusammengearbeitet werden kann.

    Zagatta: Kann man sich da vorstellen, dass man sich dort große Hoffnungen machen darf, dass China da irgendwie mithilft, den Euro zu retten? So läuft das ja ein bisschen in der Berichterstattung.

    Gottwald: Die Berichterstattung wird sehr dominiert von großen Zahlen, was ja, wenn es um China geht, auch nicht sehr schwierig ist. Alles was aus China kommt, mit China zu tun hat, ist erst mal eine ganz andere Dimension als so ein kleines europäisches Land wie etwa Deutschland. Was jetzt Chinas Rolle bei der Bewältigung der Euro-Krise angeht, wäre ich sehr vorsichtig. Die chinesische Regierung muss sehr nüchtern kalkulieren, was sie mit ihren Mitteln tun kann. Sie versucht, eine sehr konstruktive Rolle zu spielen, sie hat etwa die Krisenmittel beim IWF ja aufgestockt, um das englische Wort zu benutzen, aber sie folgt natürlich ihren eigenen Interessen und die Sichtweise der chinesischen Regierung, wenn es um diese Fragen geht, wird maßgeblich geleitet von innenpolitischen Erwägungen und der Frage, wie die chinesische Reformpolitik, wie der chinesische Modernisierungsprozess weitergeführt werden kann. Deswegen wäre ich sehr vorsichtig, die Ankündigung, eine wichtige Rolle zu spielen, einen konstruktiven Beitrag zu leisten, überzubewerten. China tut das, aber eben in einem sehr viel kleineren Rahmen, als es häufig in der Presse dann angenommen wird.

    Zagatta: Wenn Sie da die innenpolitischen Veränderungen ansprechen – macht denn so ein Besuch im Moment Sinn, wenn in China in den nächsten Wochen ein Machtwechsel ansteht, also eigentlich die Leute dort jetzt abtreten, mit denen Merkel jetzt spricht?

    Gottwald: Zuerst ist es ja ein Zeichen von Höflichkeit und Wertschätzung, dass, wenn die chinesische Regierung kurz vor diesem Machtwechsel noch einmal um gemeinsame Konsultationen der beiden Regierungen ersucht, die deutsche Regierung das auch annimmt. Die deutsche und die chinesische Regierung haben sehr eng zusammengearbeitet; insofern, finde ich, gehört es zum guten Ton. Es macht aber auch deshalb Sinn, weil zwar die Führungsspitze ausgetauscht wird, wir aber noch wenig Anzeichen haben, dass mit diesem Komplettaustausch zumindest kurzfristig ein radikaler Politikwechsel verbunden sein könnte, und deswegen würde ich annehmen, dass die Grundzüge der chinesischen Politik gegenüber Deutschland, gegenüber Europa sich in den nächsten Monaten nicht fundamental ändern werden.Gleichzeitig trifft ja Kanzlerin Merkel auch die beiden neuen Führungspersönlichkeiten, die sozusagen in die Position gebracht worden sind, dem Generalsekretär der Kommunistischen Partei und dem Premierminister nachzufolgen, und versucht natürlich, damit weiter die Kontakte zu dieser nächsten Führungsgeneration aufzubauen. Es ist ja nicht das erste Treffen zwischen Angehörigen der deutschen Regierung und sozusagen der nächsten Führungsgeneration Chinas.

    Zagatta: Herr Gottwald, wenn wir jetzt hören, dass die Beziehungen zwischen Peking und Berlin so eng sind, wie passt das dann zu Meldungen, dass in der vergangenen Woche beispielsweise eine deutsche Parlamentariergruppe ihre Reise abgesagt hat, unter Protest sogar, dass die deutschen Korrespondenten in Peking sich jetzt beschweren, sie werden gegängelt? Wie passt das alles zusammen?

    Gottwald: Es passt insofern zusammen, weil es natürlich sehr unterschiedliche Staaten sind mit sehr unterschiedlichen Werten – nicht nur in ihren Verfassungen, sondern gerade auch in der Art, wie die Staaten organisiert sind. Bei allen Reformen, bei allen Veränderungen ist China immer noch ein Ein-Partei-Staat, ein Staat, der von einer Partei gelenkt wird, wo Menschenrechte nicht in dem Maße geschützt werden, wie wir es von deutscher Seite aus uns wünschen würden, oder wie das Grundgesetz es auch von deutscher Außenpolitik verlangt. Das heißt, das ist eine Zusammenarbeit, eine Partnerschaft zwischen zwei sehr unterschiedlichen Partnern. Das Positive ist, dass viele dieser Konflikte offen ausgetragen werden, dass auch Protestaktionen wie etwa eine Reise abzusagen, Treffen abzusagen, nicht langfristig diesen Beziehungen schweren Schaden zufügen, sondern ich glaube, da sollten wir unsere Bundeskanzlerin beim Wort nehmen: es ist ein Ausmaß an Vertrautheit und Offenheit erreicht worden, dass all diese Konflikte, die Gott sei Dank bestehen, denn ich lebe gern auf der Grundlage der freiheitlich-demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes, ausgetragen werden können und das nicht sofort heißt, dass die Beziehungen zur Volksrepublik China sich langfristig verschlechtern müssen.

    Zagatta: Aber kann man denn ein Land besuchen und da sich so freundlich geben, ein Land, in dem der Friedensnobelpreisträger in Haft sitzt? Kann man das machen?

    Gottwald: Ich fürchte, man muss es machen, denn die Volksrepublik China ist viel zu wichtig geworden und die Zusammenarbeit mit China ist viel zu wichtig geworden, um eine konstruktive Zusammenarbeit reiner symbolischer Politik zu opfern. Wenn die Bundesrepublik Deutschland alle Kontakte, alle Beziehungen zu China abzubrechen versuchen würde, wäre, glaube ich, niemandem damit gedient. Ich gehöre auch zu den Menschen, die das vom Ideellen her wünschenswert fänden, wenn wir durch Protestaktionen einen schnellen radikalen Wandel hervorrufen könnten. Das können wir nicht und uns bleibt keine Alternative als zur intensiven Zusammenarbeit.

    Zagatta: Und dann kann man das auch nicht deutlicher ansprechen? Das würden die Chinesen der Kanzlerin sehr übel nehmen?

    Gottwald: Es gibt tatsächlich einen Bereich, wo eine öffentliche Stellungnahme der Kanzlerin sehr schweren Schaden hervorrufen kann. Ob jetzt Liu Xiaobo zum jetzigen Zeitpunkt dazugehört, wäre ich vorsichtig.

    Zagatta: Der Friedensnobelpreisträger.

    Gottwald: Der Friedensnobelpreisträger.

    Zagatta: Der in Haft sitzt.

    Gottwald: Der in Haft sitzt. – Ich habe über die Jahre gelernt, dass tatsächlich das Ansprechen hinter verschlossenen Türen häufiger der bessere Weg ist, vor allem aber, dass eine gewisse Geradlinigkeit und eine gewisse Kohärenz in der Art und Weise, wie andere Staaten mit Chinas Problem in der Umsetzung von Menschenrechten umgehen, sehr viel wichtiger ist, als punktuell einen einzelnen Fall öffentlichkeitswirksam hervorzuheben und dann doch wieder, wenn es darauf ankommt, umzukippen.

    Zagatta: Herr Gottwald, China ist wirtschaftlich eine Großmacht. Glauben Sie denn oder lässt sich denn absehen, in welche Richtung sich das Land entwickelt jetzt auch mit dem Machtwechsel? Da gab es ja in den zurückliegenden Wochen recht merkwürdige Vorfälle.

    Gottwald: Ja es gab viele merkwürdige Vorfälle, wahrscheinlich sprechen Sie auf die Ereignisse in Chongqing an, als einer der führenden chinesischen Politiker in einer Mischung aus Korruptionsvorwürfen, Abhörprotokollen, es war ein Mordfall an einem britischen Staatsangehörigen damit verbunden …

    Zagatta: Genau! Seine Frau wurde ja verurteilt.

    Gottwald: Seine Frau wurde verurteilt. – China ist in einer ganz schwierigen Phase der Modernisierung. Das Modell, durch die billige Produktion von Gütern und diese dann in Europa und den USA und Australien zu verkaufen, damit hohe Wachstumsraten zu erzielen, die Gesellschaft zu modernisieren, steckt in großen Schwierigkeiten. Das ist für die Kommunistische Partei besonders riskant, denn für ihren Machterhalt braucht sie großes Wirtschaftswachstum, um das Versprechen einlösen zu können, dass es den Menschen in China wieder besser geht und China wieder eine führende Rolle in der Welt spielen kann.
    Es gibt in der Kommunistischen Partei, die ja weit über 70 Millionen Mitglieder hat, inzwischen eine Bandbreite an politischen Meinungen und Ideen und Zukunftsvorstellungen, das ist sehr faszinierend und es würde in Westeuropa locker für ein Mehr-Parteien-System reichen, und es gibt gleichzeitig natürlich ganz handfeste Interessenkonflikte innerhalb der Partei. Deswegen passiert sehr viel, einiges können wir mitbekommen, vieles passiert leider noch hinter verschlossenen Türen. Was uns fehlt sind klare Anzeichen für einen Wechsel in der Politik in Richtung auf ein europäisches Mehr-Parteien-System. Es fehlen Gott sei Dank auch die Anzeichen für eine Rückkehr zur noch härteren Form der Diktatur, als China es im Moment ist. Deswegen würde ich eher annehmen, dass die Schwierigkeit innerhalb der Partei, die Machtkämpfe, die ideologischen Unterschiede weiter zu einem langsameren Wandel beitragen werden, dessen Ende offen ist. Ich glaube nicht, dass China in 10, 20 Jahren eine politische Verfassung haben wird wie Großbritannien oder die USA. Da wird noch einiges passieren und dann werden wir vielleicht auch als Politikwissenschaftler und Politikwissenschaftlerinnen gespannt verfolgen müssen, mit welchen Lösungen China auf die Probleme in 20 Jahren reagieren wird.

    Zagatta: Und bald schon wieder und bestimmt auch vorher schon wieder von uns befragt. – Danke schön! Das war Jörn-Carsten Gottwald, Professor an der Ruhr-Universität in Bochum und dort der China-Experte wie Sie gehört haben. Vielen Dank für das Gespräch.

    Gottwald: Vielen Dank.


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