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Bei Bundeswehr bleibt "sehr viel Reformbedarf"

Die Zahlen für den Freiwilligendienst seien nicht so schlecht, wie befürchtet, sagt Agnes Malczak, Mitglied im Verteidigungsausschuss für Bündnis 90/Die Grünen. Man müsse sich aber bei Bundeswehr und Freiwilligendienst Gedanken machen, ob man langfristig genug qualifizierten Nachwuchs bekäme.

Agnes Malczak im Gespräch mit Silvia Engels | 04.07.2011
    Silvia Engels: Mitgehört auf der anderen Leitung hat Agnes Malczak. Sie ist Mitglied im Verteidigungsausschuss für Bündnis 90/Die Grünen. Guten Tag!

    Agnes Malczak: Guten Tag!

    Engels: Ist das eine typische Stimme? Denken Sie, der Freiwilligendienst in der Bundeswehr muss auch mit Herrn Jericho sich keine Sorgen machen für die Zukunft, es wird genügend Nachwuchs geben, die ähnlich denken?

    Malczak: Also ich glaube, auf der einen Seite sind die Zahlen, die wir jetzt bekommen haben für den Freiwilligendienst, nicht glänzend, aber sie sind auch nicht so düster, wie viele befürchtet haben. Gleichzeitig ist es kein Selbstläufer. Wenn man sich die demografische Entwicklung anschaut, aber auch anschaut, wie hoppladihopp dieser Freiwilligendienst jetzt umgesetzt wurde, oder aber auch dieses Stichwort Attraktivität beim Dienst der Bundeswehr, dann muss man sich, glaube ich, schon Gedanken machen, ob man langfristig wirklich genug junge Leute bekommt und ob man vor allem auch die Leute bekommt, die man dort sehen will und die man dort haben will. Und das ist, glaube ich, eine ganz entscheidende Frage, an der die Bundesregierung noch ordentlich nacharbeiten muss.

    Engels: Viele sorgen sich ja, um direkt da zu bleiben, dass ohne Wehrpflicht die jahrzehntelange enge Bindung zwischen Gesellschaft und Armee verloren gehen könne. Sie auch?

    Malczak: Ich glaube nicht, dass nur die Wehrpflicht gewährleistet hat, dass wir sozusagen das Konzept Staatsbürger in Uniform und die innere Führung umsetzen. Aber ich glaube schon, auch gerade im Hinblick auf die Realitäten in den Auslandseinsätzen und die Veränderung in den letzten Jahren, dass die Aussetzung der Wehrpflicht ein Anlass dafür sein sollte, diese Debatte auch noch mal und noch mal verstärkt zu führen. Ich glaube nicht, dass die Bundeswehr durch die Aussetzung der Wehrpflicht jetzt zum Staat im Staate wird – das ist ja so eine Angst, die dann immer geäußert wird -, aber ich glaube schon, dass wir eine neue Diskussion um innere Führung und auch um das Verhältnis von Gesellschaft und Bundeswehr brauchen.

    Engels: Sie haben es angesprochen: Die Zahlen der freiwillig Dienstleistenden ist geringer, als die ersten optimistischen Schätzungen waren. Besteht da die Gefahr, dass man irgendwann gar nicht mehr den Nachwuchs auch im Bereich der Berufssoldaten hat, wie man das bis jetzt immer aus dem Potenzial der Wehrpflichtigen abgeleitet hat?

    Malczak: Anders als die Zahlen bei den Freiwilligendiensten geben die Zahlen bei den Berufssoldaten jetzt noch keinen großen Anlass zur Sorge, aber es hängt, glaube ich, wirklich davon ab, was werden die Aufgaben der Bundeswehr sein, wie wird die Fürsorge gewährleistet, wie attraktiv ist ein Dienst bei der Bundeswehr, wie gefährlich ist ein Dienst bei der Bundeswehr. Das sind alles Fragen, die jetzt im Rahmen der Bundeswehrreform auch beantwortet werden müssen, und wenn sie nicht angepackt werden und nicht gelöst werden, dann muss die Bundeswehr sich langfristig schon Sorgen darum machen, ob sie den Nachwuchs hat, den sie braucht.

    Engels: Das Stichwort lautet auch Attraktivität, auch Sie haben es genannt. Da kommen wir in einen ähnlichen Bereich, über den nun die Wirtschaftswoche berichtet hat; da geht es um angebliche Daten aus der europäischen Verteidigungsagentur EDA, da haben wir eben auch schon von gehört. Danach sei gerade die Effizienz der Bundeswehr und die Einsatzfähigkeit im Vergleich zu anderen westeuropäischen Armeen ausgesprochen schlecht. Denken Sie, da ist was dran? Ist die Bundeswehr viel zu ineffizient?

    Malczak: Ich finde, einige Rechenoperationen und Grundlagen bei der EDA-Studie, so weit sie mir bekannt sind, durchaus ein bisschen problematisch. Aber ich glaube schon, dass sie in der Tendenz die Realität abbildet, die wir heute vorfinden, und deshalb ist ja jetzt auch der Reformstau und der Reformdruck so groß und auch wir haben das als Grüne immer wieder gesagt, wir haben sehr große, sehr ineffiziente, sehr bürokratische und teilweise auch intransparente Strukturen. Und ich glaube schon, das eine war die Wehrpflicht, die wir uns viel zu lange geleistet haben. Das sind wirklich Punkte, die man jetzt im Rahmen der Bundeswehrreform dann auch tatkräftig angehen muss.

    Engels: Der Bericht legt nahe, dass die Bundeswehr überbürokratisiert sei. Sie haben zwar auch einige Zahlen angezweifelt, aber da gibt es ja diesen Vergleich, wonach einem Soldaten im Einsatz 50 Mitarbeiter im Hintergrund gegenüberstünden. Herr Arnold von der SPD sagt, so kann man das nicht rechnen. Denken Sie, so kann man doch rechnen?

    Malczak: Jein. Also es ist schon so, dass natürlich die Entscheidung, Soldaten in einen Auslandseinsatz zu schicken, eine politische Entscheidung ist, und man kann jetzt nicht nur die Zahlen der Soldaten, die sich jetzt real im Einsatz befinden, auf die Größe der Bundeswehr zurückrechnen. Aber wir beobachten auf der anderen Seite immer wieder, dass uns auch berichtet wird und gesagt wird, wir sind schon fast an den Grenzen unserer Einsatzfähigkeit, und das ist dann natürlich wirklich ein Verhältnis, das Anlass zur Sorge gibt und die Frage stellt, bei so einer großen Bundeswehr von über 200.000 Soldaten und Soldatinnen sind 7.000 im Einsatz, und wir sehen auch an den Rückkehrern, die teilweise wirklich sehr häufig in den Einsatz gehen, immer wieder dann auch die Frage, wie ist das eigentlich organisiert und macht das Sinn, und da gibt es, glaube ich, wirklich sehr, sehr viel Reformbedarf.

    Engels: Reformbedarf bleibt bei der Bundeswehr. Wir sprachen mit Agnes Malczak, sie ist Mitglied im Verteidigungsausschuss für Bündnis 90/Die Grünen. Vielen Dank für Ihre Zeit.

    Malczak: Sehr gerne.