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"Bei dieser Wahl sind eben ganz andere Sorgen durchgeschlagen"

Wenn man aus der Landtagswahl in Baden-Württemberg Schlüsse für die Bundespolitik ziehen kann, dann den, dass eine Trendwende in der Energiepolitik in Richtung Atomausstieg unabwendbar ist - sagt der Politikwissenschaftler Peter Graf von Kielmansegg.

Peter Graf von Kielmansegg im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Christoph Heinemann: Einen strahlenden Sieger haben die Wählerinnen und Wähler am vergangenen Sonntag ausgezeichnet, auf der Schattenseite lauter Verlierer. Seit Sonntag, 18 Uhr, wird in Berlin vielstimmig über den Wahlsonntag diskutiert, im Mittelpunkt die künftige Energieversorgung. Am Telefon ist der Politikwissenschaftler Professor Peter Graf von Kielmansegg, der an der Universität Mannheim gelehrt hat. Guten Tag!

    Peter Graf von Kielmansegg: Guten Tag!

    Heinemann: Herr Professor von Kielmansegg, in Baden-Württemberg herrscht nahezu Vollbeschäftigung, das Land ist Weltspitze. Diese Probleme hätten andere auch gerne. Wie erklärt man jemandem, der nicht in Deutschland lebt, dass die Bürger die Regierung dennoch abgewählt haben?

    von Kielmansegg: Wenn die Menschen sichere Beschäftigung haben, wenn sie ein auskömmliches Einkommen haben, dann treten andere Probleme auf. Dann werden andere Sorgen groß und bei dieser Wahl sind eben ganz andere Sorgen durchgeschlagen. Das heißt, Arbeitsplatzsicherheit, gesichertes Einkommen ist nicht das einzige Motiv, das Wähler bestimmt, gerade wenn sie in dieser Hinsicht sich sicher fühlen. Dann werden sie offen, sensibel für andere Probleme.

    Heinemann: Trug die Abstimmung in Baden-Württemberg die Handschrift des Wutbürgers?

    von Kielmansegg: Also Wutbürger scheint mir ein zu extremer Begriff zu sein. Das mag für Stuttgart zutreffen, für das ganze Land sicher nicht. Aber eindeutig war natürlich die Prägung dieses Wahlkampfes und des Wahlergebnisses durch die Frage der Kernenergie und des Ausstiegs aus der Kernenergie.

    Heinemann: Kann man vom vergangenen Sonntag überhaupt Lehren für die Bundespolitik ableiten oder war die Lage mit dem Reaktorunfall in Fukushima einzigartig?

    von Kielmansegg: Eine Wahl, die so stark unter dem Eindruck eines einzigen, wochenlang über die Bildschirme sozusagen intensiv in alle Häuser vermittelten Katastrophenfalles steht, ist in der Tat etwas Außerordentliches, aber trotzdem etwas, was wir in dieser Form, glaube ich, noch nicht erlebt haben in der Geschichte der Bundesrepublik. Trotzdem, denke ich, gibt es natürlich, oder gerade deswegen gibt es Konsequenzen, die Energiepolitik dieses Landes wird eine radikale Wende vollziehen in Richtung auf Ausstieg. Das ist meines Erachtens unwiderruflich.

    Heinemann: Peter Hintze hat bei uns im Programm gesagt, Transparenz, Kommunikation, da müssen wir besser werden. Wie soll denn die Politik mit den Bürgern kommunizieren, ohne ständig ihr Mäntelchen nach dem Wind zu hängen? Politiker müssen irgendwann auch mal entscheiden.

    von Kielmansegg: Das ist in der Tat richtig. Das ist ein Problem. Es ist besonders deshalb ein Problem, weil wir in einem Lande leben, in dem fast ununterbrochen gewählt wird: 2009 die Bundestagswahl, im folgenden Jahr die nordrhein-westfälischen Wahlen, jetzt die Wahl in Baden-Württemberg. Also die Versuchung, nur taktisch zu denken, ist hier in Deutschland extrem groß. Kommunikation heißt aber eben, dass man auch Standpunkte verfechten, für Positionen werben muss. Nur so kann man Glaubwürdigkeit aufbauen. Also ein anderer Stil, auch ein Stil, in dem Politiker Mut beweisen, denke ich, ist unabdingbar.

    Heinemann: Schauen wir uns noch ein paar Parteien an. Die SPD wird im Osten von der Linkspartei abgehängt, im Westen nun erstmals von den Grünen. Andererseits hat die Partei in Hamburg einen glänzenden Wahlsieg erreicht. Wie kann die SPD Volkspartei bleiben und dennoch angesichts dieser Konkurrenz bestehen?

    von Kielmansegg: In der Tat ist die SPD in einer schwierigen Lage. Sie ist bei Licht betrachtet neben der FDP ja der eigentliche Verlierer, was ein bisschen überdeckt wird durch den Wechsel in Baden-Württemberg. Ich glaube, sie hat Ressourcen, die in ihrer großen Tradition liegen. Die Grünen sind eben doch eine Partei wesentlich des Intellektuellen, ich sage jetzt einmal etwas pointiert, des staatsbezahlten Angestelltenbürgertums. Es ist ja kein Zufall, dass die Grünen sämtliche Universitätsstädte hier in Baden-Württemberg direkt gewonnen haben, Konstanz, Freiburg, Tübingen, Heidelberg. Das ist ein wichtiges, aber dann doch auch letztlich begrenztes Wählerrepertoire. Ich glaube, dass die SPD daneben Chancen hat, die insbesondere eben in ihrer politischen Tradition begründet sind, die ja stärker auf andere Wählerkreise ausgerichtet ist. Aber sie wird, denke ich, sich schwer tun, wesentlich über 30 Prozent hinauszukommen. Das ist einfach in der neuen Parteienkonstellation eine Gegebenheit, mit der sie leben muss.

    Heinemann: Hat der Liberalismus in Deutschland noch eine politische Heimat?

    von Kielmansegg: Der politische Liberalismus ist deshalb in Schwierigkeiten, weil so viel Liberalismus selbstverständlich geworden ist für alle politischen Akteure. Die FDP hat ihr Profil ja immer gesucht in einer Kombination von wirtschaftlichem Liberalismus und sozusagen progressiver Orientierung im gesellschaftspolitischen Bereich. Da haben ihr, was die progressive Orientierung im gesellschaftspolitischen Bereich angeht, die Grünen natürlich viel weggenommen. Mit dem Liberalismus im wirtschaftlichen Bereich allein kann sie kein politisches Profil gewinnen. Die extreme Verengung ihrer Programmatik auf Steuersenkung bei der letzten Bundestagswahl, das war ja sozusagen der Ausgangsfehler aller späteren Folgen. Also: Die FDP muss in der Tat sehr grundsätzlich nachdenken darüber, wie sie sich profilieren will. Andererseits ist bei dem Spektrum rechts der Mitte neben der Union natürlich auch immer Platz, weil es Wähler gibt, die sich schwer für die Union begeistern können.

    Heinemann: Kurz zum Schluss: Warum bekommt die Linkspartei im Süden und Südwesten keinen Fuß auf die Erde?

    von Kielmansegg: Sie bekommt keinen Fuß auf die Erde, weil dort, denke ich, die Klientel der Linkspartei, also traditionell geprägte, aber prekär wirtschaftlich bedrängte Arbeiterschaft, Arbeitslosigkeit, sehr schwach ist. Die Linkspartei ist da stark, wo wirtschaftlich kritische Verhältnisse spürbar sind für die kleinen Leute, und das ist hier im Südwesten sehr wenig der Fall.

    Heinemann: Der Politikwissenschaftler Professor Peter Graf von Kielmansegg, der bis zu seiner Emeritierung an der Universität Mannheim gelehrt hat. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    von Kielmansegg: Auf Wiederhören.