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Beihilfe zum Suizid
Bundestag berät über Regelungen für Sterbehilfe

Der Bundestag hat erstmals über vier verschiedene Gesetzentwürfe zur Sterbehilfe beraten. Unterschiedlicher Meinung sind die Abgeordneten zum Beispiel darüber, ob Verwandte, Ärzte oder Vereine Beihilfe zum Suizid leiten dürfen. Die Politiker ließen auch ganz persönliche Erfahrungen in die Debatte einfließen.

Von Gudula Geuther | 02.07.2015
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht am 01.07.2015 im Bundestag in Berlin. Auf dem Bild ist das Plenum von oben zusehen.
    Im Herbst stimmt der Bundestag über ein Gesetz zur Sterbehilfe ab. (picture alliance / dpa / Wolfgang Kumm)
    Eines der anspruchsvollsten und schwierigsten Gesetzesvorhaben der Legislaturperiode, so nannte es Norbert Lammert zu Beginn der Debatte, diskutierten die Abgeordneten in erster Lesung. Knapp drei Stunden lang, mit großem Ernst, Engagement und mit Positionen quer durch die Fraktionen. Infrage steht nicht die aktive Sterbehilfe - die bleibt verboten - und klar ist auch, dass die sogenannte indirekte Sterbehilfe weiter möglich bleibt, die Therapie, deren Ziel die Schmerzlinderung ist, auch wenn sie zum Tod führt.
    Infrage steht der assistierte Suizid, die Beihilfe zur Selbsttötung. Infrage steht also, ob Verwandte, ob Vereine oder auch ob Ärzte zum Beispiel die Mittel beschaffen dürfen, mit der sich der Sterbewillige selbst das Leben nimmt. Bisher ist das erlaubt. Anlass für die Diskussion waren die Aktivitäten von Sterbehilfevereinen in Deutschland und zum Beispiel in der Schweiz. Weit darüber hinaus will die bisher größte Gruppe von Abgeordneten die geschäftsmäßige Sterbehilfe verbieten. Zu den Initiatoren aus allen vier Fraktionen gehört der CDU-Politiker Michael Brand.
    "Wird die Tür einen Spalt breit geöffnet, ist der Fuß sozusagen drin in der Tür, dann wird die Tür immer weiter geöffnet. Das zeigt die traurige Entwicklung in den Nachbarländern, die auch mit engen Kriterien begonnen haben. Die Kriterien, sie halten einfach nicht, sie werden aufgeweicht."
    Streitpunkt "Geschäftsmäßig"
    Die Grüne Renate Künast widerspricht dem Bild von dem Fuß in der Tür mit Hinweis auf die Gesetzeslage: "Falsch, Herr Brand, die Tür ist auf. Wir dürfen aber als Deutscher Bundestag die Tür nicht zuschlagen, da wo Menschen eine Beratung und ein Gespräch wollen."
    Sie will auch Vereine weiter erlauben, solange sie nicht Gewinn erzielen wollen. Geschäftsmäßig, das was Brand und andere verbieten wollen, heißt dagegen sehr viel mehr: Strafbar wäre eine solche Beihilfe, wenn sie auf Wiederholung angelegt wäre. Die Linkenpolitikerin Kathrin Vogler war eine von vielen, die ihre eigene Motivation in der Debatte offenlegten:
    "Als ich vor 18 Jahren meine MS-Diagnose bekam, konnte ich nicht ahnen, dass ich heute vor Ihnen stehen kann, dass ich noch laufen kann, dass ich noch sehen kann, dass ich mich anziehen kann und mein Butterbrot selbst schmieren. Ich habe Glück gehabt. Doch es könnte ebenso gut anders sein. Und in der Situation würde ich nicht wollen, dass mir die Gesellschaft einerseits ganz einfachen Zugang zum Suizid anbietet, während sie mir andererseits riesige Hürden errichtet, wenn es darum geht, das Leben mit Leben zu füllen."
    Die Gegner des Entwurfs fürchten dagegen, dass er viel zu weit geht - bis auf einige wenige, die jede Suizidbeihilfe verbieten wollen. Dieser Entwurf von CDU-Politikern um Patrick Sensburg kann als chancenlos gelten.
    Eine individuelle Entscheidung
    Zu weit geht der Entwurf den Kritikern, weil sie wie Burkhard Lischka glauben, wer die geschäftsmäßige Beihilfe verbiete, "der schickt Staatsanwälte an das Sterbebett. Ob er das will oder nicht. Weil bei jedem Fall, in jedem Fall eines ärztlich assistierten Suizids muss der Staatsanwalt doch zuerst einmal feststellen: Ist das eigentlich der erste Fall? Dann muss er feststellen: Ist eigentlich eine Wiederholung ausgeschlossen, oder hat er das auf Wiederholung angelegt?"
    Andere wollen stattdessen klarstellen, dass Ärzte Hilfe leisten dürfen - und schreibt dafür Bedingungen vor, Entscheidungsfristen, Beratungen, Transparenzregeln. Damit, wie Carola Reimann betonte, sterbewillige Menschen sich trauten, sich dem Arzt zu offenbaren - der ihnen möglicherweise Alternativen aufzeigen kann. Und: "Es gibt Fälle, wo der Patient nicht mehr kann, wo er auch nicht mehr will, wo er sich selbst auch nicht mehr ertragen kann, wo er selbst seinen Zustand als unwürdig empfindet. Und Kollegen - das ist absolut individuell."
    Auch Sterbenskranke, die sich nie das Leben nehmen werden, sagte Katarina Barley (SPD), könnten ihre Situation leichter ertragen, wenn sie wüssten, dass es diese letzte Möglichkeit gebe. Und Sterbewilligen sollten nicht nur noch viel schwerere Auswege blieben. Katarina Barley berichtet von einer Bekannten, "die bereits Krebs im Endstadium hatte und bereits zwei Suizidversuche hinter sich hatte, in der geschlossenen Psychiatrie war, sie hat sich eine Plastiktüte über den Kopf gezogen. Sie wurde gefunden, mit irreparablen Hirnschäden. Und ich habe mich gefragt - was wäre passiert, wenn diese Frau die Möglichkeit gehabt hätte, ihren Arzt um Unterstützung zu bitten?"
    Gegner dieses Entwurfs fürchten den Dammbruch. Nicht genug Unterstützer fand der Vorschlag, alles beim Alten zu lassen, das wäre die liberalste Lösung gewesen. Im November müssen sich die Abgeordneten entscheiden.