Zagatta: Herr Ruland, im Wahlkampf war das ja ein ziemlich heikler Punkt. Die Bundesregierung hat lange so getan, als ob der Rentenbeitragssatz von 19,1 Prozent gehalten werden könnte, als ob höhere Rentenbeiträge kein Thema seien. Jetzt ist die Koalition bei einem Kassensturz. Von welchem Beitragssatz gehen Sie denn heute aus? Mit welchem Rentenbeitrag rechnen Sie im nächsten Jahr?
Ruland: Das ist schwer zu sagen. Wir haben eine Beitragsentwicklung, die deutlich hinter unseren Erwartungen zurückbleibt. Ich habe schon vor längerer Zeit gesagt, dass wir einen Beitragssatz bekommen werden, der über 19,3 Prozent liegt. Dabei bleibe ich. Wie hoch der Beitragssatz tatsächlich sein wird, können wir erst am Ende des Jahres wissen. Der Beitragssatz muss Ende November festgesetzt werden. Die spannende Frage ist, wie sich die Einschätzungen für das Jahr 2003 entwickeln, denn sie spielen ja noch eine große Rolle mit. Und eine weitere Frage ist, in welchem Umfang Entgeldumwandlungen vorgenommen werden, denn die drücken ja auch die Beitragseinnahmen, so dass wir doch, ich schätze mal, mit einem Beitragssatz um die 19,5 oder sogar noch etwas mehr rechnen müssen.
Zagatta: Sogar noch etwas mehr. Was wir jetzt vom Arbeitsmarkt hören, ist, dass die Zahlen überhaupt nicht gut aussehen. Also, Sie gehen davon aus, dass der Beitragssatz dann noch über 19,5 Prozent steigen könnte.
Ruland: Ich kann das im Moment nicht ausschließen, aber 19,3, diese Annahme ist unrealistisch.
Zagatta: Die Union hat im Wahlkampf davor gewarnt, der Rentenbeitrag könne im nächsten Jahr regelrecht explodieren. Sehen Sie diese Gefahr?
Ruland: Das hängt ganz wesentlich davon ab, welche Wirtschaftsannahmen man für 2003 vorsieht. Die jetzigen Annahmen sind relativ optimistisch. Hier wollen wir die Einschätzung der Bundesregierung abwarten.
Zagatta: Eigentlich wollte die rot-grüne Koalition den Rentenbeitrag bis 2005 sogar noch von 19,1 auf dann 18,7 Prozent senken. Ist daran überhaupt noch zu denken?
Ruland: Nein, im Moment nicht – jedenfalls für das Jahr 2003 nicht. Das hängt natürlich von der konjunkturellen Entwicklung ab. Man muss sehen, dass ja alle sozialen Sicherungssysteme – nicht nur die gesetzlichen, sondern denken Sie auch an die Situation der privaten Vorsorge – von der Konjunktur ja ganz erheblich gebeutelt werden. Das bleibt auch in der Rentenversicherung nicht ohne Rückwirkung, und wir hoffen natürlich sehr, dass die konjunkturellen Maßnahmen greifen, wir wieder mehr Beschäftigung bekommen und dass dann auch die Beitragseinnahmen wieder mehr fließen.
Zagatta: Herr Ruland, in der Öffentlichkeit und jetzt auch bei den Koalitionsverhandlungen, da ist ja die Ökosteuer ganz besonders umstritten. Die hat aber immerhin den Vorteil, dass sie der Rentenversicherung zugute kommt. Wo wäre denn der Rentenbeitrag heute ohne Ökosteuer. Wie viel macht das aus?
Ruland: Wenn die letzte Stufe der Ökosteuer, die jetzt zu Beginn des nächsten Jahres wirksam werden soll, nicht kommen würde, würde das den Beitragssatz zur Rentenversicherung etwa um 0,2 bis 0,3 Beitragssatzprozentpunkte anheben.
Zagatta: So viel, ja?
Ruland: Das wäre eine ganz erhebliche Veränderung, und insofern ist es sinnvoll, dass es bei der getroffenen Regelung bleibt.
Zagatta: Wäre es da aus Ihrer Sicht sogar noch sinnvoll, was die Grünen gefordert haben, die Ökosteuer unter Umständen sogar noch zu erhöhen?
Ruland: Ich bin kein Freund davon, jetzt zusätzliche Bundesmittel in die Rentenversicherung einfließen zu lassen. Die Rentenversicherung ist eine Versicherung, und sie soll primär aus Beiträgen finanziert werden. Die nicht beitragsgedeckten Leistungen, die ja klassisch unter dem Stichwort versicherungsfremd gehandelt werden, die sind durch die jetzt gezahlten Bundeszuschüsse weitgehend abgedeckt. Zu viele Bundeszuschüsse korrumpieren ein wenig das Versicherungssystem.
Zagatta: Man hatte den Eindruck, bei diesen Koalitionsverhandlungen geht es jetzt auch weniger um zu viele Zuschüsse als ganz um das Gegenteil. Was sagen Sie denn zu Plänen der Koalition, vorübergehend Geld aus der Finanzreserve, aus diesem Schwankungspolster zu nehmen, das der Rentenversicherung zur Verfügung steht?
Ruland: Die Schwankungsreserve ist ja das letzte Jahr schon von einer Monatsausgabe auf 0,8 Monatsausgaben abgesenkt worden. Ich kann nur dringend davor warnen, diesen Weg weiter zu gehen. Wenn man diesen Weg geht, dann gibt es bei wirtschaftlichen Schwankungen immer die Notwendigkeit, dass dann der Bundeshaushalt für die Defizite eintreten muss und wir hätten dann ein Thema, das uns gar nicht gut gefällt, nämlich dass die Rente dann vom Bundeshaushalt leben müsste. Die Schwankungsreserve ist deshalb auch wichtig – auch in der jetzigen Höhe -, weil wir eben schon besprochen haben, dass wir das nächste Jahr eine Menge von Unsicherheiten haben. Wir wissen nicht, in welchem Maße Entgeldumwandlungen vorgenommen werden wird und kein Mensch kann heute relativ sicher voraussagen, wie die wirtschaftliche Entwicklung im nächsten Jahr sein wird, das heißt, wenn man die Schwankungsreserve zu niedrig festsetzt, dann werden die Probleme im nächsten Jahr noch viel größer und der Bundeshaushalt wird entsprechend mehr belastet. Ich kann davor nur dringend warnen.
Zagatta: Sind Sie denn in diese Koalitionsverhandlungen insoweit einbezogen worden, dass man nach Ihrem Rat gefragt hat im Vorfeld.
Ruland: Bisher noch nicht, aber unserer Haltung zu dem Thema ist bekannt.
Zagatta: Die Konjunkturaussichten, Herr Ruland, sind ja derart schlecht. Können Sie denn als Rentenversicherer überhaupt irgendwie reagieren auf die absehbar geringeren Einnahmen oder ist das jetzt allein Sache der Regierung?
Ruland: Wir haben wenig Reaktionsmöglichkeiten. Da wo wir Ausgaben zurückfahren können, tun wir das natürlich, aber die meisten unserer Ausgaben sind gesetzlich vorgegeben, so dass wir da wenig Spielraum haben. Insofern ist hier natürlich vor allem die Regierung am Zuge, und es ist auch eine Frage des Beitragssatzes. Unsere Handlungsmöglichkeiten sind sehr begrenzt.
Zagatta: Eine Frage noch zum Schluss. Wie wirkt sich denn die Riester-Rente aus Sicht der Rentenversicherer aus?
Ruland: Wir haben ja mit der Riester-Rente unmittelbar relativ wenig zu tun. Wir sind eingeschaltet worden im Bereich der Auskunft und Verwaltung. Hier haben wir eine Menge an Beratungsmöglichkeiten geschaffen. Wir stellen fest, dass davon nur ganz wenig Gebrauch gemacht wird. Wir gehen davon aus, dass das vielleicht auch eine Ursache davon ist, dass, wenn die Riesterrente Erfolg hat, dies im Bereich der betrieblichen Altersvorsorge ist und dass da die Betriebe eine größere Rolle spielen. Man muss natürlich auch sehen, dass in vielen Fällen Entgeldumwandlungen für die Versicherten günstiger ist als die Riesterrente. Aber Entgeldumwandlungen hat dann eben auch zur Konsequenz, dass uns Beiträge verloren gehen, weil bis 2008 das umgewandelte Entgeld nicht mehr beitragspflichtig ist.
Zagatta: Franz Ruland, der Geschäftsführer des Verbandes der Rentenversicherungsträger. Herr Ruland, ich bedanke mich für das Gespräch.
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