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Belarus
Lukaschenko: Machterhalt per Dekret

Als Vorwand dient ein angeblicher Attentatsversuch: Per Dekret versucht der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko offenbar seine Macht endgültig zu zementieren und die politische Herrschaft seiner Familie abzusichern. Dabei scheint die russische Regierung involviert zu sein.

Von Sabine Adler | 28.04.2021
Alexander Lukaschenko sitzt vor zwei Mikrofonen.
Alexander Lukaschenko, Präsident von Belarus, will mit einem Dekret seinen Nachlass regeln: Seine präsidialen Befugnisse sollen an den Sicherheitsrat im Land übergehen. (IMAGO / ITAR-TASS / Nikolai Petrov / BelTA)
Seit über einer Woche spricht Alexander Lukaschenko über ein Dekret, das er als belarussischer Präsident erlassen wird. Was es beinhaltet, ist unbekannt, geheim. Dennoch soll es gestern (27.04.2021) unterzeichnet worden sein. Beobachter vermuten, dass es seine persönliche Macht zementieren soll, wenn er nicht mehr das Staatsoberhaupt ist. Das soll ein sogenannter Sicherheitsrat leisten, dem er oder einer seiner Söhne dann vorsitzt.
Vorwand für diese verfassungswidrige Veränderung ist ein angeblicher Mordkomplott gegen ihn. Der sei durch das gemeinsame Vorgehen von belarussischem und russischem Geheimdienst verhindert worden. Die mutmaßlichen Attentäter hätten drei Szenarien geplant, erklärte Lukaschenko: Ihn auf einer Parade erschießen, seine Fahrzeugkolonne angreifen oder ihn in seiner Residenz zu überfallen.

Opposition: Dekret als Ablenkungsmanöver von der Staatskrise

Pawel Latuschko, der den Koordinierungsrat der belarussischen Opposition in Warschau leitet, hält diese Attentats-Geschichte für eine Propaganda-Kampagne der Geheimdienste, um abzulenken von der ungelösten Krise in Belarus und dessen Existenz als souveräner Staat.
Zu den mutmaßlichen Attentätern, die in russischen und weißrussischen staatsnahe TV-Kanälen gezeigt werden, gehören unter anderem ein Journalist und Philosoph, der 1994 Lukaschenkos Wahlkampf organisierte, sich sehr bald aber von ihm abwandte, und ein Politologe, der bis vor kurzem noch im offiziellen belarussischen Fernsehen auftrat.
Die vier Angeklagten bekannten sich vor laufenden Kameras schuldig, mit Hilfe von belarussischen und ukrainischen Nationalisten einen bewaffneten Aufstand in Belarus geplant zu haben, eine sogenannte farbige Revolution, und die Vernichtung Lukaschenkos.

Lukaschenkos eigentliches Ziel könnte eine Militärdiktatur sein

Der russische Präsident Putin hatte in seiner Rede zur Nation vor einer Woche ebenfalls von dem Attentat gesprochen. Der Chef des russischen Geheimdienstes FSB bestätigte unmittelbar nach Putins Auftritt die Version von einem geplanten Militärputsch in Belarus. Alexander Bortnikow: "Ganz genau, davon zeugen die objektiven Materialien, die wir erhalten haben, nach der Verhaftung dieser Personen in Moskau."
Igor Iljasch, Kommentator des unabhängigen belarussischen Fernsehsenders BelSat in Warschau, vermutet vielmehr, dass der sogenannte versuchte Putsch als Bedrohungskulisse herhalten soll und das Lukaschenko-Dekret wohl eher auf die Installation einer Junta in Belarus abzielt: "Der Kreml ist an einem lenkbaren und stabilen Regime in Belarus interessiert und somit entspricht eine Junta sehr viel mehr seinen Interessen als eine Machtübernahme durch Demokraten bei einer Wahl nach dem Tod oder Ausscheiden Lukaschenkos. Mit dem Dekret schlägt Lukaschenko formal die Legalisierung einer Junta vor."

Zuspruch für Lukaschenko von Putin

Ob Lukaschenko an der Verfassung vorbei einen Sicherheitsrat mit neuen Befugnissen ausstattet, ob Moskau eine Militärbasis in Belarus installiert, all das wird seit Tagen aufgeregt unter Beobachtern diskutiert. Die Politik ist völlig intransparent, beklagt der Analyst Alexander Baunov, Chefredakteur der Website carnegie.ru im russischen unabhängigen Internet-TV Doschd:
"Das Wichtigste in der russischen Außenpolitik, in der Politik generell, wird in Spezialoperationen vorbereitet. Es wird nicht öffentlich debattiert. Es existiert eine große Kluft zwischen dem, was Putin in seiner Rede zur Nation sagt oder auf Pressekonferenzen, und was tatsächlich geschieht."
Das haben Moskau und Minsk auf jeden Fall gemeinsam: Beide Staatsoberhäupter lassen sich nicht in die Karten schauen.