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Belgien
Die neue Regierung steht

Nach 135 Tagen bekommt Belgien endlich eine neue Regierung. Das Land wird zukünftig regiert von einer Vierer-Koalition aus Mitte-Rechts-Parteien, drei flämischen und einer französischsprachigen. Besonders ungewöhlich war zudem die Besetzung für den Posten des Ministerpräsidenten.

Von Annette Riedel | 10.10.2014
    Einen der schönsten Wahlabende aller Zeiten nannte Charles Michel, Chef der französisch-sprachigen Liberalen von der MR, den 25.Mai an jenem Abend.
    'Nur' 135 Tage danach wird morgen eine neue belgische Regierung vereidigt. Im Vergleich zu 541 Tagen nach der Wahl 2010 ist das sozusagen 'Schallgeschwindigkeit'. Führen wird die neue Vierer-Koalition aus Mitte-Rechts-Parteien er: Charles Michel von der MR. Er wird neuer Regierungschef.
    "Ich bin sehr stolz, ein Team zu führen, das in den kommenden Jahren den Kurs fahren wird, die Sozialsysteme zu reformieren und gleichzeitig das Gesundheitswesen und die Pensionskassen zu konsolidieren."
    Der Steuermann
    Zum Kurs der künftigen belgischen Regierung gleich noch mehr – aber erst einmal zum "Steuermann" selbst. Den 38-Jährigen mit Halbglatze und der prägnanten Brille hatte zunächst kaum jemand für diesen Posten auf dem Schirm.
    Es galt über Wochen als fast ausgemacht, dass Kris Peeters, flämischer Christdemokrat, dieses Amt zuwachsen würde, nachdem die eigentlichen Wahlsieger von der N-VA dankend verzichtet hatten, die Regierung des Föderalstaates anführen zu wollen, den sie tendenziell abschaffen möchte. Im Zuge der Koalitionsverhandlungen musste sich die N-VA verpflichten, alles Hantieren am Staate Belgien, in den kommenden Jahren zu unterlassen.
    "Alle N-VA-Politiker haben versichert, dass sie sich ausschließlich auf sozioökonomische Reformen konzentrieren wollen und nicht auf institutionelle."
    Darauf musste gerade er, Charles Michel, zwingend bestehen. Er hatte sich nämlich schon zu Beginn der Koalitionsverhandlungen von den, bei der Regierungsbildung ausgebooteten, Sozialisten den Vorwurf eingefangen, ein Verräter zu sein. Er sei schließlich bereit, mit der N-VA gemeinsame Sache zu machen, was er im Wahlkampf noch vehement verneint hatte.
    Wie gesagt, der christdemokratische Flame Kris Peeters war der Favorit für das Amt des Regierungschefs. Als aber dessen Parteifreundin Marianne Thyssen zur belgischen EU-Kommissarin gekürt wurde, musste neu gemischt werden. Und nun bekommt Belgien also nach dem scheidenden Elio Di Rupo den zweiten frankophonen Premier in Folge – ungewöhnlich! – und – ebenfalls ungewöhnlich! - den ersten frankofonen liberale Premier seit 1938. Michel spricht (anders als sein Vorgänger), übrigens sehr gut flämisch.
    Michel, dessen Vater mal EU-Kommissar war, hat Jura u.a. in Amsterdam studiert. Zu den Inhalten der neuen Regierung - deutlich Mitte-Rechts: Haushaltssanierung, Unternehmen entlasten, Harmonisierung der Mehrwertsteuer, Sanierung des Gesundheitssystems, Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, Anhebung des Rentenalters und dann wird eine 'belgische Heilige Kuh' nicht gänzlich geschlachtet zwar aber doch ein bisschen angestochen: der sogenannten Index. Die automatische Anpassung von Löhnen und Gehältern an die Inflationsrate soll einmal, für 2014, ausfallen.
    "Wir haben der Indexsprung beschlossen, genau wie andere sozial-ökonomische Reformen anstehen. Es sollte die Gelegenheit geben, das mindestens mit den Sozialpartnern zusammen zu tun."
    "Das ist eine anti-soziale Regierung"
    Wenn Kris Peeters dabei die Gewerkschaften im Sinn hat, dann wird das nicht leicht, wie sich aus ersten Reaktionen heraushören lässt. Und die Sozialisten, erstmals seit 1988 in der neuen Legislaturperiode nicht an einer belgischen Regierung beteiligt, sie sind ob des von ihnen konstatierten radikalen Sozialabbaus ohnehin schon auf den Barrikaden, wie Karine Lalieux von den französisch-sprachigen Sozialisten.
    "Das ist eine anti-soziale Regierung, unter der alle Belgier leiden werden, vor allem - anders als versprochen - die Arbeitnehmer. Das ist ganz klar eine Koalition der Lügen und Täuschungen."