Samstag, 18. Mai 2024

Archiv

Belgien
"Gegen diese Art von Terrorismus ist es nicht einfach, sich zu schützen"

Wie alle Menschen in Westeuropa hätten auch die Belgier ein Gefühl des Unbehagens angesichts des islamistischen Terrors, sagte der Parlamentspräsident der deutschsprachigen Gemeinschaft in Belgien, Karl-Heinz Lambertz, im DLF. Das Land sei aber relativ gut aufgestellt.

Karl-Heinz Lambertz im Gespräch mit Bettina Klein | 16.01.2015
    Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
    Lambertz: "Da gibt es eine ganz konkrete Diskussion, ob man nicht da gewisse Straftatbestände noch neu formulieren muss." ( Thomas Kujawinski / Deutschlandradio)
    Bettina Klein: Gestern Anti-Terror-Einsatz zur Verhinderung von Anschlägen, ein Einsatz, der bis in die Nacht andauerte und mindestens zwei Todesopfer auf Seiten der mutmaßlichen Täter gefordert hat. Ich kann darüber jetzt sprechen mit Karl-Heinz Lambertz. Er ist Parlamentspräsident der deutschsprachigen Gemeinschaft in Belgien. Guten Morgen, Herr Lambertz.
    Karl-Heinz Lambertz: Guten Morgen.
    Klein: Wie ordnen Sie ein, was gestern passiert ist, soweit wir das bisher schon wissen?
    Lambertz: Wir werden heute eine größere Pressekonferenz der Bundesstaatsanwaltschaft haben. Aber soweit die Informationen bisher bekannt sind, handelt es sich um eine doch größere Operation in verschiedenen Städten und insbesondere in Brüssel und dann auch vor allem in Verviers, ganz in der Nähe zur deutschen Grenze, knapp 20 oder 25 Kilometer von Aachen entfernt. Dort sind zwei Wohnungen ins Visier genommen worden und dort hat dann auch eine bewaffnete Auseinandersetzung stattgefunden, weil die Bewohner eines der beiden Häuser unmittelbar von ihren Waffen Gebrauch gemacht haben, und es ist dann auch zur Tötung von zwei mutmaßlichen Terroristen gekommen. Belgien bleibt genauso wenig verschont wie alle anderen Länder. Wir hatten ja in 2014 diesen mörderischen Anschlag auf das Jüdische Museum in Brüssel und die belgischen Polizeibehörden und die Staatsanwaltschaften hatten seit Längerem eine ganze Reihe von Operationen der Überwachung geplant, insbesondere auch in Bezug auf rückkehrende Kämpfer aus Syrien. Wir haben in Belgien in den letzten Jahren verstärkt und auch in den letzten Monaten ganz besonders verstärkt erlebt, dass eine ganze Reihe auch junger Menschen sich nach Syrien abgesetzt hatten, dort zu Kämpfern ausgebildet wurden, auch dort gekämpft haben womöglich und dann nach Belgien zurückkommen, und mit dieser Personengruppe beschäftigt man sich jetzt ganz besonders und das sicherlich auch zurecht.
    Klein: Herr Lambertz, ich verstehe Sie so: Sie waren davon nicht überrascht und Sie gehen auch davon aus, dass die Behörden in Belgien diese Islamistenszene, aus der das kam, die ganze Zeit gut im Blick hatten und die ganze Zeit auch möglicherweise damit gerechnet haben, dass es mal zu einem solchen Anschlag kommen könnte?
    Lambertz: Dass die Behörden diese ganze Szene gut im Blick haben und dass insbesondere auch im deutsch-belgischen Grenzraum da ein besonderer Anlass zur Überprüfung besteht, war mir aus meiner früheren Funktion als Ministerpräsident nicht unbekannt. Dass jetzt dann gestern eine Operation startete, ist ja erst im Laufe des Abends dann wirklich bekannt geworden und hat dann auch zu doch sehr heftigen Maßnahmen geführt, und das ist natürlich dann, wenn das wie in meinem Fall knapp zehn Kilometer vor der eigenen Haustür stattfindet, schon noch ein ganz besonderes Ereignis.
    "Jüdische Einrichtungen sind in der Tat gefährdet"
    Klein: Jüdische Schulen in Brüssel und Antwerpen bleiben geschlossen heute, hören wir. Weshalb sind die in Belgien besonders gefährdet?
    Lambertz: Wir haben ja auch schon unter anderem mit der Erfahrung dieses Attentates auf das Jüdische Museum in Brüssel, wo übrigens vorher die deutschsprachige Gemeinschaft ihren Vertretungssitz hatte - das Büro, wo da geschossen wurde, habe ich zehn Jahre lang regelmäßig jede Woche mehrmals betreten; das ist auch noch so eine Erfahrung, die einem im Hals hängen bleibt. Aber jüdische Einrichtungen sind in der Tat gefährdet, auch wegen Drohungen, und jetzt ist dann für jüdische Schulen schon seit Längerem auch ein besonderer Schutz. Und heute hat man dann anscheinend, wenn die Informationen bestätigt werden, beschlossen, gewisse Einrichtungen dann zu schließen. Übrigens geht das sehr weit. In der Nähe von Verviers hat man heute auch ein Kulturzentrum für einen Tag geschlossen, weil dort eine Karikaturenausstellung hängt, und man wollte doch dann das Ganze von der Sicherheit noch mal neu überdenken, ehe man wiederum Publikumsverkehr dort organisiert.
    Klein: Herr Lambertz, wir haben in Deutschland seit einigen Tagen wieder verstärkt eine Diskussion über die innere Sicherheit und die Frage, welche Gesetzesverschärfungen oder überhaupt erst mal Umsetzungen nötig wären. Wie ist das in Belgien? Haben die Politiker dort, haben Sie das Gefühl, dass Sie gut aufgestellt sind, was das angeht?
    Lambertz: Ganz generell haben wir natürlich wie alle Menschen in Westeuropa, die der Demokratie verpflichtet sind, ein Gefühl des Unbehagens, denn gegen diese Art von Terrorismus ist es nicht so ganz einfach, sich zu schützen. Wir sind aber in Belgien, denke ich, relativ gut aufgestellt, was die Untersuchungsarbeit angeht, auch was die Möglichkeiten des Eingreifens angeht. Es wird zurzeit auch hier wie anderswo und unter anderem in der Bundesrepublik über die Verschärfung der einen oder anderen gesetzlichen Grundlage für Interventionen diskutiert. Wir diskutieren hier auch ganz besonders über gewisse Maßnahmen in Bezug auf diese IS-Kämpfer, die hier von Belgien aus nach Syrien wegziehen und dann zurückkommen. Da gibt es eine ganz konkrete Diskussion, ob man nicht da gewisse Straftatbestände noch neu formulieren muss. Aber ganz wesentlich scheint mir, dass wir diese Fragen nicht mit strengeren Gesetzen alleine in den Griff bekommen. Wir müssen vor allem operativ sehr gut aufgestellt sein und wir müssen natürlich auch viel breiter in einem Dialog mit der Bevölkerung und mit allen gesellschaftlichen Kräften dafür sorgen, dass diese Brutstätten des Terrorismus möglichst eingeschränkt bleiben.
    Klein: Kurz abschließend, Herr Lambertz. Vorratsdatenspeicherung gibt es in Belgien, oder ist ein Diskussionsthema?
    Lambertz: Das ist auch ein Thema. Wir haben auch eine Gesetzgebung, die ja auch von der europäischen Gesetzgebung mit beeinflusst wird. Ich kenne jetzt im Detail nicht die feinen Unterschiede zwischen dem deutschen und belgischen Gesetzestext. Aber hier wird auch mit richterlicher Genehmigung Datenspeicherung betrieben.
    Klein: Karl-Heinz Lambertz, der Parlamentspräsident der deutschsprachigen Gemeinschaft in Belgien, zu den Ereignissen gestern Abend und heute Nacht in Sachen Anti-Terror-Kampf. Ich danke Ihnen für das Interview, Herr Lambertz.
    Lambertz: Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.