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"Bella Figura" im Akademietheater Wien
Grundsätzliche Konflikte des menschlichen Miteinanders

Eine "Bella Figura" macht das Personal von Yasmina Reza eigentlich immer – auf den ersten Blick zumindest. Denn stupst man ihre Figuren auch nur ganz leicht an, dann bröckelt die Fassade, dann bricht so manch ein Damm. Das gleichnamige Stück wurde nun am Akademietheater in Wien aufgeführt.

Von Hartmut Krug |
    Die französische Autorin Yasmina Reza
    Die französische Autorin Yasmina Reza (dpa / pa / Peer Grimm)
    Hinter einer Pracht von Kübelblumen schwingt die Meeresküste weit bis zu einem Leuchtturm in der Ferne. Vor dieser farbenfrohen Postkartenidylle des Bühnenbildners Stéphane Laimé kämpft ein Paar mit seinen Beziehungsproblemen. Joachim Meyerhoff als Glasfabrikant Boris zwingt sich dazu, neben seinem schicken gelben Cabriolet eine gute Figur zu machen. Doch seine scheinbare Selbstsicherheit verschwindet immer mehr hinter aggressiver Angespanntheit: Andrea raucht in seinem Wagen, und sie steigt einfach nicht aus.
    Weil Boris, mit dem die Apothekenhelferin und alleinerziehende Mutter seit vier Jahren eine Liaison hat, sie in ein teures Restaurant einlud, das ihm von seiner Frau empfohlen worden ist. Was Andrea nicht als normal empfindet, auch wenn es ihm nur als praktisch erscheint. Und so bricht eine Beziehungskrise aus, die sichtlich schon länger schwelt. Da helfen auch saloppe Hilfsangebote von Boris nur wenig:
    - "Jetzt sag, was machen wir. Bleiben wir, fahren wir?"
    - "Ich mach mir die Mühe und lade dich zum Essen ein."
    - "Also, man erweist mir die Gnade und führt mich zum Essen aus. Also ich muss ehrlich sagen, ich dreh gleich durch vor Glück."
    - "Willst du woanders hin?"
    - "0der wir nehmen uns ein Zimmer im Ibis und ich vögel dich gleich."
    - "Das wär mir sowieso lieber."
    Yasmina Reza ist eine Meisterin darin, aus Beiläufigkeiten hinein in die Verdeutlichung großer, grundsätzlicher Konflikte des menschlichen Miteinanders zu gelangen. Nicht immer gelangt sie dabei über ihr elegantes Pointenspiel zu tieferen, existenziellen Aussagen. "Bella Figura", ein Auftragsstück von Thomas Ostermeier, wurde bei seiner Uraufführung im vergangenen Jahr an der Berliner Schaubühne genau dies gelegentlich vorgeworfen. Wenn Boris beim Rückwärts-Hinausfahren aus dem Parkplatz des Restaurants Yvonne anfährt, die sich als die Schwiegermutter von Francoise entpuppt, der besten Freundin von Boris' Frau, steckt das Seitensprungpaar in der Falle.
    Denn die Freundin der Ehefrau und ihr Lebensgefährte Eric feiern hier den Geburtstag der alten Dame. Und Boris und Andrea werden in die Feier hineingezogen. Während Boris so schnell wie möglich fortwill, genießt Andrea die Situation. Bald tobt ein heftiger Beziehungskrieg zwischen den beiden. Und auch die gute bürgerliche Familie, die aus einer leicht skurrilen Mutter und einem Paar besteht, das zwar Kinder, wenn auch keine gemeinsamen hat, verliert sich in ihren gegenseitigen Unduldsamkeiten.
    Das alles ist durchaus elegant von Yasmina Reza komponiert, doch wenn das Stück über munteres Lachtheater hinaus kommen soll, müssen es die Schauspieler richten. Regisseur Dieter Giesing hat sein großartiges Ensemble in Wien zu einem psychologisch genauen Spiel angehalten, bei dem es durchaus auf die Wirkungstube drücken darf.
    Großartig gelingt dies Caroline Peters als Andrea: Wie sie über ihren vielleicht zu kurzen Rock spricht und über die Schönheit ihrer Beine Auskunft begehrt, wie sie sich virtuos zwischen Nachdenklichkeit und Aggressivität bewegt, das ist komisch und zeigt zugleich einen Menschen auf der Suche. Mal verzweifelt, mal boshaft, mal vergnügungssüchtig. Sie scheint vor allem von Tabletten und Nikotin zu leben und versprüht Mückenspray wie Parfüm. Einmal versucht sie verzweifelt schnellen Sex mit Boris auf der Toilette des Restaurants, dann wieder will sie ihm Fischmesser in den Bauch rammen. Caroline Peters ist das Kraftzentrum der Inszenierung.
    Während Joachim Meyerhoff als von Bankrott bedrohter Glasfabrikant, der sich einer so selbstbewussten wie boshaften Frau gegenüber sieht, eine fast in Auflösung befindliche Figur zeigt. Dazu verliert sich Sylvie Rohrer als Francoise fast in der nervösen Aufregung über die Situation. Und Roland Koch als ihr Lebensgefährte Eric versucht, seiner Figur aus der Selbstgewissheit eines beruflich erfolgreichen Mannes eine äußerliche Souveränität zu geben, bis er schließlich auch aus seiner Rolle fällt.
    Kirsten Dene als Yvonne nun gelingt Wunderbares: Sie nimmt der Rolle einer skurrilen älteren Frau keineswegs ihre eingeschriebene unfreiwillige Komik, doch zugleich verleiht sie ihr eine trockene Selbstsicherheit und beiläufige Weisheit.
    Aber auch sie, wie das gesamte Ensemble, vermögen es nicht, trotz vieler schöner Szenen, das Stück wirklich bedeutsam werden zu lassen. Man schaut all dem gern zu, es macht immer mal wieder "Bella Figura", mehr aber auch nicht.