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Ben Stillers Serie "Escape at Dannemora"
Der amerikanische Traum als Blowjob

Die Sky-Serie „Escape At Dannemora“ erzählt die wahre Geschichte eines Gefängnisausbruchs - und ist dabei ein Psychogramm der abgehängten und ausgegrenzten Menschen in Amerika. Regie führte - erstmals bei einer Serie - Hollywood-Star Ben Stiller. Und das machte er ganz schön gut.

Von Julian Ignatowitsch |
    US-Schauspieler Ben Stiller im Portrait
    US-Schauspieler Ben Stiller (picture-alliance/dpa/EPA/HANNAH MCKAY)
    Eine 51-jährige Gefängnisaufseherin, die Sex mit zwei Insassen, zwei verurteilten Mördern, hat und diesen zum Ausbruch verhilft.
    Die Handlung von "Escape at Dannemora" lässt sich eigentlich in einem Satz zusammenfassen. Und doch erzählt diese Serie in fast acht Stunden wesentlich mehr.
    Der Fall hielt ganz Amerika in Atem
    Zuerst das vordergründig Faszinierende: Die Serie beruht auf einem echten Fall von 2015. Den Häftlingen Richard Matt und David Sweat gelingt am 6. Juni der Ausbruch aus dem Hochsicherheitsgefängnis im Städtchen Dannemora (Bundesstaat New York). Dabei hilft ihnen die Angestellte aus der Gefängnis-Näherei, Tilly Mitchell, die eine sexuelle Affäre mit beiden Insassen hat.
    Das Label "Basiert auf wahren Ereignissen" ist ja nicht nur im Kino ein beliebter Publikumsmagnet und wird allzu oft großzügig ausgelegt. Nicht so bei "Escape at Dannemora". Die Serie orientiert sich nahe an den tatsächlichen Ereignissen, die ganz Amerika in Atem hielten und live über die Bildschirme flimmerten. Nach dem Ausbruch beginnt eine millionenschwere Fahndung, die mehrere Tage andauert. Beide Straftäter werden geschnappt. Die Serie erzählt den Fall in voller Länge. Und nimmt sich dabei auch die Freiheit, neben der unglaublichen Ausbruchsgeschichte, in den Gefängnis- und Kleinstadtalltag, den Alltag der Insassen wie der Wärter zu blicken.
    Psychogramm der Abgehängten in den USA
    "Escape at Dannemora" entwirft ein Psychogramm der abgehängten und ausgegrenzten Menschen in Amerika. Einerseits sind das die verurteilten Mörder, exemplarisch dargestellt durch Richard und David. Andererseits ist das die einfache Working Class, großartig personifiziert in Tilly Mitchell. Eine Milieustudie im Kleinen.
    Die Serie nimmt sich viel Zeit, lange Einstellungen, wenig Dialoge, man braucht anfangs etwas Geduld. Wenn Tilly mit ihrem Ehemann beim Fernsehabend auf der Couch sitzt und nebenbei Liebesbriefe an ihre Knastlover schreibt. Oder sich im Nagelstudio plötzlich mit Touristen der Upperclass austauscht, dann charakterisiert das die Unterschiede der amerikanischen Gesellschaft auf brillante, subtile Weise. Und dann - gar nicht mehr subtil - verschwindet sie plötzlich im Hinterraum der Gefängnis-Näherei. Der amerikanische Traum als Blowjob.
    Die Serie profitiert dabei natürlich von ihren herausragenden Schauspielern: Patricia Arquette - optisch erkennt man sie überhaupt nicht mehr - als naive und zugleich durchtriebene Femme fatal, die einen unreifen, fast kindlichen Umgang mit ihren Gefühlen zeigt. Und Benico del Toro als künstlerisch veranlagter und gleichzeitig einschüchternder Strippenzieher im Gefängnis, der alles für seine Flucht tut. Zwei widersprüchliche Personen - und die Frage: Wer verführt hier eigentlich wen?
    Regisseur Ben Stiller überzeugt
    Dabei überzeugt auch Regisseur und Produzent Ben Stiller, der ja lange nur für Blödel-Comedy bekannt war, mit einem sehr eigenständigen und innovativen Stil. Er lässt die Bilder sprechen, vertraut der Körpersprache seiner Darsteller, dem Blick der Kamera und buchstabiert nicht jede Plot-Wendung in Dialogen aus. Dazu setzt er häufig Musik ein, um die Lebenswelten der Protagonisten zu kennzeichnen.
    Die ein oder andere Länge ausgenommen, zeigt "Escape at Dannemora" also, was wahre Kriminal-Geschichten sein können: innovativ, klug und gesellschaftskritisch. Und dabei gleichzeitig spannend und unterhaltsam.
    "Escape At Dannemora" ab 19. Dezember bei Sky