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Benjamin Fredrich: "Die Redaktion"
Der Roman zur Erfolgsgeschichte von "Katapult"

Das wider alle Prognosen erfolgreiche Greifswalder "Katapult"-Magazin hat nicht nur Ärger mit dem Verlag Hoffmann und Campe - sondern nun auch einen eigenen Buchverlag. Den ersten dort verlegten Roman schreibt "Katapult"-Gründer Benjamin Fredrich gleich selbst - über die Gründung des "Katapult"-Magazins.

Von Ralph Gerstenberg | 28.06.2021
Der Gründer des KATAPULT-Magazins Benjamin Fredrich und sein Buch „Die Redaktion“
Benjamin Fredrich schreibt einen Roman für den eigenen Verlag (Foto: Julius Gabele, Buchcover: Katapult Verlag)
In seinem Roman "Die Redaktion" erzählt Benjamin Fredrich eine Erfolgsgeschichte: Der Ich-Erzähler, ein Politikwissenschaft-Student in Greifswald, gründet ein Magazin mit dem Titel "Katapult". Nach einigen Startschwierigkeiten läuft die Sache immer besser. Benjamin Fredrich heißt dieser Erzähler, wie der Autor. Und tatsächlich gehört die real existierende Publikation "Katapult" mit ihren überwiegend sozialwissenschaftlichen Beiträgen derzeit zu den wachstumsstärksten Magazinen Deutschlands. Erschienen ist dieser Roman quasi im Selbstverlag, denn "Katapult" verlegt mittlerweile auch Bücher. Doch was macht das Buch eigentlich zu einem Roman? Und wie sieht sich "Katapult"-Gründer und Autor Benjamin Fredrich selbst als Romanfigur?
"Ich musste das natürlich machen, weil ich auch verfremden musste, vor allem Figuren, die nicht so gut bei wegkommen, die wollte ich dort nicht mit Klarnamen haben. Ich hab‘ auch deren Charaktere hier und da vermischt und auch Szenerien verdichtet. Aber tatsächlich sind die groben Handlungsabläufe haargenau so passiert. Und eine Sache, die ich über mich selber auch gelernt habe, ist, dass ich tatsächlich sehr viele Sachen bewerte. Aber ansonsten ist das natürlich eine sehr progressive, aggressive Figur, die dann aber zum Glück auch immer wieder scheitert."
Blick auf ein Gebäude der Verlagsgruppe Nordkurier aim März 2014 auf dem Datzeberg in Neubrandenburg
"Katapult" macht Lokalzeitung Konkurrenz
Bekannt ist das "Katapult"-Magazin für seine originellen Grafiken. Nun plant die Greifswalder Redaktion eine Online-Lokalzeitung - aus Frust über den "Nordkurier", den sie in Teilen für rassistisch hält.
Der Ton in seinem Roman ist, ja, sagen wir: unverblümt. Wenn Leute nicht mitziehen bei Fredrichs Magazin-Projekt, klingt das zum Beispiel so:
"Ich treffe Sophie zufällig an der Ampel in der Wolgaster, Höhe Greifenfleisch. Ich sage ihr, dass mir sehr viele Schwachmaten abgesagt haben, weil sie zu weich und eben Schwachmaten sind. Mir ist das jetzt aber egal! Total egal! Wir ziehen das durch - zu zweit oder zu hundert, ist mir so dermaßen scheißegal, wie viele mitmachen! Also wirklich scheißegal! (…) Auf jeden Fall wird das jetzt gemacht. Auch wenn die ganzen Ficker alle nicht können wollen, das ist jetzt das Wichtigste: machen!"

Kein Geld für Fotos, stattdessen Karten

Nicht nur Wirtschaftsberater runzeln die Stirn: Ein Magazin, das gegen jeden Trend auch als Printausgabe erscheinen soll, mit Sitz in Greifswald? Das klingt nach einem Kamikaze-Unternehmen. Auch weil die Magazinmacher nicht einmal Geld für Fotos haben, mit denen sie ihre populärwissenschaftlichen Artikel illustrieren können. Die Idee, stattdessen zur Veranschaulichung Infografiken und geografisch-soziologische Karten zu entwickeln, sollte sich als genialer Schachzug erweisen. Landkarten, auf denen man zum Beispiel mit einem Blick erkennt, wohin und in welcher Größenordnung die EU ihren Müll exportiert, werden zum "Katapult"-Markenzeichen.
Die Methode, wissenschaftliche Erkenntnisse und Daten in Grafik und Text zu schnell erfassbaren und oft verblüffenden Informationen zu verarbeiten, kommt bei der rasch wachsenden Leserschaft gut an. Wer weiß schon, welche Länder der Welt von nordkoreanischen Atomraketen getroffen werden können oder wo in Europa der Mindestlohn hoch genug ist, um sich davon eine "Katapult"-Ausgabe für 5,80 Euro leisten zu können? Außerdem verstehen es Benjamin Fredrich und seine Mitstreiter, Humor und Witz in ihre Grafiken einfließen zu lassen.
"Das hat sich im Laufe der Zeit entwickelt, und wir versuchen heute, wir nennen das katapultig, ernste Sachen, ernste Daten und Statistiken, auch mit was Lustigem zu verbinden, weil die Leute das einfach mehr anspricht."

Ärger mit Hoffmann & Campe

Katapultig ist auch das Programm des im Herbst 2020 gegründeten Buchverlages. Neben Benjamin Fredrichs Roman wird dort auch die Reihe mit Kartenbüchern fortgesetzt, die die "Katapult"-Redaktion mit "100 Karten, die deine Sicht auf die Welt verändern" bei Hoffmann & Campe begonnen hat. Nachdem der erste Band ein Riesenerfolg war, wollte "Katapult" bei der geplanten Fortsetzung finanziell besser beteiligt werden. Hoffmann & Campe entschloss sich jedoch, nicht darauf einzugehen und mit anderen Autoren und Gafikern den "Katapult"-Stil nachzuahmen. Ein Vorgang, der für Aufsehen sorgte, weil Fredrich seine Erfahrungen mit Hoffmann & Campe in der "Katapult"-Internet-Community verbreitete. Allein auf Facebook hat das Magazin mittlerweile knapp 250.000 Abonnenten.
"Die haben komplett unterschätzt, was für eine Öffentlichkeit wir herstellen können, dass wir in der Lage sind von "Katapult", ihnen eine harte Rufschädigung zu bescheren, wenn sie sich nicht gerecht uns gegenüber verhalten."
Katapult gegen Hoffmann&Campe - Alles nur geklaut?
Wenn Autoren einen Verlag verlassen, dann geschieht das gelegentlich im Streit. Ein Verlag, der den Stil seiner früheren Autoren nachahmt, das gibt es aber wohl eher selten. Eine Glosse von Arno Orzessek.

Katapultige Bücher im eigenen Verlag

Nach solchen Scherereien lag der Gedanke nahe, "Katapult"-Bücher fortan in Eigenregie herauszubringen. Klar, dass sich das Erfolgsrezept aus illustrierter Wissensvermittlung und schrägem Humor auch im Verlagsprogramm wiederfindet. Zum Beispiel in dem Band "Die Säuferinnen und Säufer", angelegt als Einstieg in die Philosophiegeschichte über die bekannten Laster herausragender Geistesgrößen. Daneben Bücher, die sich mit den Folgen des Klimawandels beschäftigen, wie das Kinderbuch "Die Tiefseetaucherin" und der Ratgeber "Wie man illegal einen Wald pflanzt". Gemeinsam ist all diesen Publikationen eine bestimmte Haltung, die man als umweltbewusst, engagiert und aufklärerisch beschreiben könnte.
"'Katapult' hat immer von seiner Haltung gelebt. Das ist aber nicht nur politisch, wie wir gerne hier leben wollen, sondern sind tatsächlich auch unsere eigenen Handlungen, dass wir zum Beispiel ein Einheitsgehalt haben. Alles ist sehr transparent. Unsere Kontostände, unsere Gehälter, unsere Verträge, die wir machen mit anderen Firmen, die geben wir alle nach außen. Also diese transparente, nachhaltige, ja sehr gerechte Haltung, die wir hier versuchen umzusetzen, das ist ein ganz großer Punkt bei 'Katapult', das bringt uns sehr viel."

Nachhaltig und antirassistisch

Weil die Verlagsbranche in puncto Nachhaltigkeit nicht gerade eine Vorbildfunktion erfüllt - die wenigsten drucken auf Recyclingpapier - pflanzen Benjamin Fredrich und sein Team einen Wald. Außerdem publiziert eine "Katapult"-Redaktion seit Kurzem eine Online-Lokalzeitung, da der in Mecklenburg-Vorpommern erscheinende Nordkurier "systematisch mit Rassismus arbeitet", wie es heißt. Auch für den frisch gegründeten "Katapult"-Buchverlag gibt es weitere Pläne: Bislang noch unentdeckte Romane aus dem osteuropäischen Raum werden zurzeit übersetzt, viele aus Polen. Schließlich ist die Grenze zum Nachbarland nicht weit.
Benjamin Fredrich: "Die Redaktion"
KATAPULT Verlag, Greifswald. 248 Seiten, 18 Euro.