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"Beobachtermission hängt von der Bereitschaft der beiden Streithähne ab"

EU-Industriekommissar Günter Verheugen hat Moskau aufgefordert, seine Lieferverpflichtungen gegenüber Europa zu erfüllen. Es sei nicht hinnehmbar, dass die Europäische Union Opfer eines Konflikts werde, an dem sie nicht beteiligt sei. Eine internationale Beobachtermission, die den Transport des russischen Gases durch die Ukraine überwache, könne ein möglicher Ausweg aus dem Gasstreit sein, sagte Verheugen.

Günter Verheugen im Gespräch mit Bettina Klein |
    Bettina Klein: Sollten Sie zu den Menschen gehören, die erleben mussten, wie ihre Heizung angesichts der schweren Fröste aufgegeben hat und wie es Stunde um Stunde immer kälter wurde in der Wohnung, dann haben Sie ja auch einen kleinen Eindruck dessen bekommen, was viele Menschen in Südosteuropa im Augenblick erleben, denen jetzt auch noch der Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine zusetzt. Die Vermittlungsbemühungen in dieser Frage spielen sich heute in Brüssel ab.

    Am Telefon begrüße ich nun EU-Kommissar Günter Verheugen. Guten Morgen, Herr Verheugen!

    Günter Verheugen: Guten Morgen!

    Klein: Rechnen Sie mit Entgegenkommen zumindest einer der beiden Seiten heute bei den Gesprächen in Brüssel?

    Verheugen: Ja! Die Tatsache, dass es jetzt endlich gelungen ist, die Konfliktparteien an einen Tisch zu bringen, und sie sich bereit erklärt haben, endlich miteinander zu reden, ist ein gutes Zeichen. Wir wissen natürlich, dass das Verhältnis zwischen Russland und der Ukraine auch politisch so sehr angespannt ist, dass man keine wirkliche Vorhersage wagen kann, aber immerhin: dass überhaupt miteinander geredet wird und dass die Vermittlerrolle der Europäischen Union anerkannt wird, das ist schon mal ein Fortschritt.

    Klein: Sie sagen, Sie rechnen mit Entgegenkommen. In welcher Hinsicht?

    Verheugen: Sie haben ja gerade darüber berichtet, was José Manuel Barroso gestern in Prag gesagt hat. Eine mögliche Lösung könnte tatsächlich darin bestehen, dass internationale Beobachter den Transport des russischen Gases durch die Ukraine überwachen, um damit einmal den Russen entgegenzukommen, die ja behaupten, dass die Ukraine auf dem Transport zu viel Gas abzweigt, auf der anderen Seite der Ukraine entgegenzukommen, die behauptet, dass das nicht der Fall ist.

    Klein: Wovon hängt ab, ob diese Beobachtermission jetzt zu Stande kommt?

    Verheugen: Von der Bereitschaft der beiden Streithähne, um die es hier geht.

    Klein: Das heißt, die Europäische Union und die EU-Kommission ist sich schon sicher und weiß auch, wie das konkret umzusetzen wäre?

    Verheugen: Nein, das wissen wir nicht. Die Idee hat sich ja in den allerletzten Stunden praktisch erst entwickelt und darüber muss dann heute gesprochen werden. Das ist eine Möglichkeit, die zurzeit erörtert wird, aber wir sind erst am Anfang dieses Prozesses und es gibt keine Garantie dafür, dass wir heute bereits zu einer abschließenden Lösung kommen.

    Klein: Darum noch mal nachgefragt: Haben Sie eine Vorstellung davon, was diese Beobachter genau beobachten können, wenn sie dort zugelassen werden?

    Verheugen: Es ist nicht ganz einfach, weil es natürlich nicht nur einen Punkt gibt, an dem das russische Gas auf ukrainisches Territorium kommt. Es gibt eine ganze Menge und die liegen auch nicht direkt an der Grenze. Es wird also technisch nicht ganz einfach sein. Es wird auch einen ziemlichen Personalaufwand bedeuten. Aber man wird es machen müssen, denn wir können den Zustand ja nicht hinnehmen, dass ein Konflikt außerhalb der Europäischen Union - es ist ja wichtig, das festzuhalten, dass es sich hier um einen Konflikt handelt, an dem Mitglieder der Europäischen Union direkt überhaupt nicht beteiligt sind, sondern zwei Länder außerhalb - dazu führt, dass Mitglieder der Europäischen Union von Gaslieferungen ausgeschlossen werden. Wir müssen darauf bestehen und bestehen darauf, dass Russland seine Lieferverpflichtungen in vollem Umfang erfüllt, und ich denke, wenn man sich die wirtschaftliche Situation anschaut, dass Russland sich da im Augenblick ja nicht gerade in einer Position der Stärke befindet.

    Klein: Herr Verheugen, es muss ja ein Streit geschlichtet werden, in dem sich beide Seiten unaufhörlich und weiterhin die Schuld in die Schuhe schieben. Wenn die Ukraine beschuldigt wird, Gasleitungen gesperrt zu haben, nach Ihrer Darstellung allerdings Russland einfach nur noch einen Bruchteil der bisherigen Menge liefert, dann ist das ja ein entscheidender Unterschied in der Beurteilung dieses Konfliktes. Glauben Sie, dass die Beobachter dies herausfinden und die Tatsachen feststellen werden?

    Verheugen: Das kann ich nicht wissen. Das können wir erst durch die Praxis feststellen. Aber es ist der einzige Weg, es überhaupt feststellen zu können. Vom Schreibtisch in Brüssel aus kann man jedenfalls nicht entscheiden und kann man nicht wissen, was an diesen Gaseintrittspunkten geschieht.

    Klein: Aus der Kommission, von Ihrem Präsidenten Barroso kam gestern die Ermahnung, wir brauchen einen echten Solidaritätsmechanismus. Die Notfallpläne der EU reichen für solche Fälle eben nicht aus. Was muss jetzt geschehen?

    Verheugen: Das ist richtig. Ich glaube, an erster Stelle ist wichtig, dass wir an der Politik festhalten und sie sogar noch verstärkt fortsetzen, unsere Abhängigkeit von Lieferungen von Gas zu verringern. Das ist aber nicht einfach, denn wir haben praktisch nur ein einziges Land in der Europäischen Union, das ist Dänemark, das unabhängig ist von Gaseinfuhren. Wir müssen also diversifizieren und wir müssen durch moderne Techniken dafür sorgen, dass wir andere Energiequellen stärker benutzen.

    Klein: Versorgungssicherheit der EU, die darf nicht als Geisel von beiden Staaten genommen werden. So hieß es gestern. Dies ist ein frommer Wunsch. Durchsetzen können Sie diese Forderung aber nicht, oder?

    Verheugen: Ich bin etwas anderer Meinung. Ich halte diese Angst, wir könnten tatsächlich dauerhaft von russischem Gas abgeschlossen werden, für völlig unbegründet. Wem soll Russland denn sein Gas verkaufen, wenn nicht uns? Ich hatte ja schon auf die wirtschaftliche Lage hingewiesen. Die Russen haben enorme Schwierigkeiten in jüngster Zeit. Sie sind sehr stark betroffen von der internationalen Wirtschaftskrise. Sie müssen ihr Gas verkaufen. Sie können überhaupt nicht anders.

    Klein: Aber Sie sprechen selbst davon, dass die Abhängigkeit von diesen Gaslieferungen verringert werden muss. Wird die EU jetzt konkret handeln?

    Verheugen: Das ist ja eine Politik, die wir bereits seit Jahren verfolgen und die einen großen Schritt vorwärts gekommen ist durch die klimapolitischen Beschlüsse, die der Europäische Rat im vergangenen Dezember in Brüssel gefasst hat und bei denen es ja darum geht, bis zum Jahre 2020 ganz drastisch unsere CO2-Emissionen zu verringern, und das heißt natürlich, den Verbrauch von Öl und Gas zu verringern. Eine ganz wichtige Säule dieser Politik ist die Ersetzung von Gas und Öl durch erneuerbare umweltfreundliche Energien. Da werden wir uns sehr anstrengen müssen. Da werden wir viel, viel investieren müssen. An dieser Stelle kommt es eigentlich sogar ganz gelegen, dass die Mitgliedsstaaten zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise ja mehr oder weniger alle bereit sind, stärkere Investitionen in Infrastruktur vorzunehmen. Also wir sind da schon auf dem Wege. Nur wir können an der Tatsache nun einmal nichts ändern, dass innerhalb der Europäischen Union wir keine Gas- und Ölvorräte mehr haben.

    Klein: Ja, eben. Das ist ja Zukunftsmusik, die Sie gerade beschreiben.

    Verheugen: Ja! Ich kann es aber nicht ändern. Wir haben die Gas- und Ölvorräte in der Europäischen Union nicht.

    Klein: Herr Verheugen, was passiert, wenn in den nächsten Tagen weiter kein Gas fließt? Was wird die EU-Kommission unternehmen?

    Verheugen: Dann werden die Gespräche trotzdem fortgesetzt. Wir werden weiter Druck ausüben.

    Klein: Es steht zu befürchten, dass es Schäden an den Pipelines geben wird, wenn nicht ausreichend Gas dort durchfließt.

    Verheugen: Das wissen die Russen aber auch, dass das der Fall ist, und das würde in der Tat bedeuten, dass es zu einem längeren Lieferstopp kommt. Ich muss noch einmal sagen: Es ist falsch, die Situation nur aus der Sicht der Empfänger zu betrachten und so zu tun, als seien die Empfänger allein abhängig. Man muss es auch aus der Sicht des Lieferanten betrachten, der gerade im Falle Russland ja kaum etwas anderes hat, was er auf dem internationalen Markt anzubieten hat. Ich sage noch einmal: Das russische Interesse, Gas zu verkaufen und Einnahmen zu erzielen, ist mindestens so groß, wenn nicht größer, als unser Interesse an Liefersicherheit.

    Klein: Sie haben gesagt, wenn weiter kein Gas fließt, man wird weiter sprechen. Haben Sie eine konkrete Vorstellung, mit welcher Art und Weise die EU eine Art Druck ausüben kann, um eben dafür zu sorgen, dass das Gas weiter fließt, oder muss man sagen, wir haben es eben nicht in unserer Hand und damit müssen wir uns abfinden?

    Verheugen: Wenn die Gespräche heute zu keinem Ergebnis kommen, wird man die Situation bewerten müssen. Heute irgendwelche Drohungen auszusprechen, wäre sicher vollkommen falsch.

    Klein: Günter Verheugen, EU-Kommissar für Industrie, im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Danke Ihnen, Herr Verheugen, und viel Erfolg bei den Verhandlungen heute.

    Verheugen: Danke schön!