Freitag, 19. April 2024

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Beobachtung durch den Verfassungsschutz
AfD-Sprecher: "Werden wahrscheinlich bis zum Bundesverfassungsgericht klagen"

Dass die AfD kurz vor zwei Landtagswahlen als Verdachtsfall eingestuft wird, sei ein unfairer Eingriff in den Wahlkampf, sagte der Co-Parteichef der AfD, Tino Chrupalla, im Dlf. Der AfD liege der dazugehörige Bericht auch noch nicht vor. Die Partei werde sich gerichtlich wehren.

Tino Chrupalla im Gespräch mit Philipp May | 04.03.2021
Das AfD Logo am Eingang zum Fraktionssaal der AfD im Deutschen Bundestag.
"Hier wird eine Vorverurteilung vorgenommen, medial, noch dazu zwei Wochen vor der Landtagswahl", sagte AfD-Sprecher Chrupalla im Interview (picture alliance/dpa/Michael Kappeler)
Mehrere Medien berichten seit dem dritten März übereinstimmend, dass nach dem formal aufgelösten nationalen Flügel, der Jugendorganisation Junge Alternative und einigen Landesverbänden nun auch die gesamte AfD als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft worden sei. Damit könnte die Partei jetzt mit geheimdienstlichen Mitteln beobachtet werden.
Logo der AFD-Bundesfraktion in den Büroräumen des Deutschen Bundestrages in Berlin
Was man über die Einstufung als Verdachtsfall wissen muss
Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat die AfD als Verdachtsfall eingestuft. Das berichten das ARD-Hauptstadtstudio und andere Medien. Die AfD werde nun beobachtet. Demnach sieht der Verfassungsschutz Hinweise für verfassungsfeindliche Bestrebungen.

AfD-Sprecher: "Können uns über die Vorwürfe überhaupt nicht äußern"

Dass diese Informationen an die Medien gelangt sind, bezeichnete der Co-Parteichef der AfD, Tino Chrupalla, im Deutschlandfunk als skandalös, man befinde sich in einem laufenden Verfahren. "Hier muss man ganz klar sagen, der Staat, die Behörde oder die Innenministerien belügen hier klar die Gerichte", sagte Chrupalla. Das sei der eigentliche Skandal; der Chef des Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, sei nicht mehr haltbar.
Tino Chrupalla, Bundessprecher der AfD
Tino Chrupalla, Bundessprecher der AfD (www.imago-images.de)
Zu den erhobenen Vorwürfen könne er sich hingegen noch nicht äußern, sagte Chrupalla, denn diese seien weder ihm noch sonst jemandem in der AfD bekannt. Klar sei aber, dass kein einziger Politiker in der AfD ein Rechtsextremist sei.
Angesprochen auf Äußerungen und Aktionen einiger AfD-Abgeordneter, sagte Chrupalla, es gebe jedoch "grenzüberschreitende Aussagen" aus den Reihen der AfD. Diese seien von der Meinungsfreiheit gedeckt. Ob man Menschen deswegen als Rechtsextremisten bezeichnen dürfe, müssten Gerichte klären.

Das Interview im Wortlaut:

Philipp May: Wo ist der Skandal?
Tino Chrupalla: Als erstes: Es ist absolut skandalös und vor allen Dingen sehen wir das als verfassungsrechtlich wirklich nicht haltbar, wie die Behörde hier diese Einstufung bereits lanciert hat an die Medien. Es ist auch in den Medien von Ihnen die Rede von einem Bericht, der 1.100 Seiten lang sei, den wir als AfD, quasi als Angeklagte noch nicht mal vorliegen haben. Hier wird eine Vorverurteilung vorgenommen, medial, noch dazu zwei Wochen vor der Landtagswahl. Das ist ein klarer Eingriff in die Chancengleichheit, die uns damit genommen wird, in den Wahlkampf genommen wird. Das sehen wir kritisch und vor allen Dingen wirklich skandalös. Herrn Haldenwang sehen wir hier ganz klar in der Pflicht. Für uns ist dieser Mann nicht mehr haltbar vom Verfassungsschutz.
May: Wobei dass Sachen durchgestochen werden, das passiert ja auch in Ihrer Partei. Überrascht Sie das? Das ist ja in einer Mediendemokratie gut für uns, schlecht für Sie.
Chrupalla: Entschuldigung! Wir reden hier von einer Behörde und von Innenministerien. Das ist eine andere Qualität, wenn hier wie gesagt Vorverurteilungen gemacht werden. Hier gab es eine klare Zusage der Behörde auch an die Gerichte. Wir haben laufende Verfahren, wo die Behörde klar die Zusage gegeben hat, dass bis dato, bis eine Entscheidung von den Gerichten erfolgt ist, hier Stillschweigen vereinbart wurde. Hier muss man ganz klar sagen, der Staat, die Behörde oder die Innenministerien belügen hier klar die Gerichte. Das ist der eigentliche Skandal und der wird viel zu wenig erwähnt. Es wird als normal hingenommen, und das kann doch nicht wahr sein.

"Können uns über die Vorwürfe überhaupt nicht äußern"

May: Dass der Bericht durchgestochen worden ist, dass das jetzt an die Medien gekommen ist, das ärgert Sie. Kann ich verstehen. – Kommen wir doch mal zum eigentlichen Punkt. Nun ist ja die Liste der Grenzüberschreitungen innerhalb Ihrer Partei verbal und was auch die Verbandelung mit Rechtsextremen angeht nun doch mittlerweile relativ gut dokumentiert. Wundert Sie da der Sachverhalt als solches, dass der Verfassungsschutz irgendwann genauer hinschaut, genauer hinschauen muss?
Chrupalla: Sehen Sie, jetzt reden wir schon wieder genau über den Punkt, den wir nicht vorliegen haben. Wir reden jetzt über die 1.100 Seiten, die es angeblich gibt und wo die sogenannten Anschuldigungen drinstehen. Ich kann Ihnen ja jetzt kaum Antworten darauf geben, wenn ich diese Berichte noch nicht vorliegen habe. Kein Politiker der AfD hat diese Berichte aktuell. Von daher reden wir jetzt um den heißen Brei herum, können uns über die Vorwürfe überhaupt nicht äußern, beziehungsweise können auch nicht Gegenmaßnahmen einleiten.
Das sind laufende gerichtliche Verfahren und deswegen gehört es sich nicht, dort einzugreifen und jetzt hier im Prinzip pauschal irgendwas herauszugreifen. Von daher sagen wir ganz klar, wir werden uns hier auch gerichtlich wehren – das ist unsere klare Linie – und werden auch wahrscheinlich bis zum Bundesverfassungsgericht klagen müssen, um diese Diffamierung zu beenden.
May: Aber der Vorwurf, der wird jetzt nicht erst seit heute erhoben, und der steht ja auch generell im Raum und steht jetzt auch schon wie ein Damokles-Schwert über Ihrer Partei, die mögliche Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Darüber können wir jetzt ja sprechen. – Hat Ihre Partei ein Problem mit Rechtsextremismus?
Chrupalla: Dann schauen wir uns mal, Herr May, an, was eigentlich die Definition des Rechtsextremismus ist. Wir reden ja immer sehr schnell und pauschal von Rechtsextremisten, teilweise auch von Nazis. Wenn man sich mal die Definition auf der Webseite der Bundeszentrale für politische Bildung anschaut, da ist doch klar definiert, was Rechtsextremisten sind. Rechtsextremisten lehnen die freiheitlich-demokratische Grundordnung ab und wollen auch unter Anwendung von Gewalt ein autoritäres oder gar totalitäres staatliches System errichten. Und da kann ich Ihnen ganz klar sagen: Da gibt es keinen einzigen Politiker in der AfD, der das will. Von daher trifft einfach diese Aussage und auch dieser Verdacht nicht zu.
Das Logo der AfD Bundestagsfraktion im Deutschen Bundestag am 23.02.2021.
Hahn (Linke): AfD keine Märtyrer-Rolle spielen lassen
André Hahn (Die Linke) hat sich gegen eine Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz ausgesprochen. Auch wenn es sachliche Gründe dafür gebe, halte er das in einem Superwahljahr nicht für politisch klug. Es sei zudem die Aufgabe aller Demokraten, sich mit der AfD auseinanderzusetzen, sagte Hahn.
May: Das sagen Sie. Aber noch mal: Die Liste der Grenzüberschreitungen, auch der Kontakte mit rechtsextremistischen Organisationen, die vom Verfassungsschutz längst beobachtet werden und die auch allgemein als rechtsextremistisch eingestuft wurden, auch nach der Definition, die gibt es ja, auch wenn Sie jetzt sagen, es gibt keinen AfD-Politiker, der das will. Die Tatsachen, die Fakten sprechen ja eine andere Sprache, dass es solche Verbandelungen in Teilen der Partei mit Rechtsextremisten gibt.
Chrupalla: Wie gesagt, dann müssen wir jetzt diese Einstufung, was ist ein Rechtsextremist, einfach mal treffen. Sie werfen jetzt pauschal vor, wir würden irgendwelche Verbindungen zu Rechtsextremisten haben. Zu welchen denn konkret? Was ist denn eine Verbindung? Das muss man ja mal definieren, Herr May.

"Ich sage mal, dass einzelne Aussagen sicherlich grenzüberschreitend sind"

May: Können wir machen! – Ich fange jetzt gar nicht an mit Gauland und der Vogelschiss-Rede. Ich habe auch Höcke mit seiner erinnerungspolitischen Wende gar nicht auf dem Zettel. Das sind ja alles bekannte Beispiele. Ich habe mir genau deswegen einfach mal die Mühe gemacht, nur 20 Minuten, wirklich nicht länger zu recherchieren, und ich bin auf mehr als eine DIN-A4-Seite von Entgleisungen gekommen.
Ich kann ja mal nur einen kleinen Auszug vorlesen.
Es gibt Siegbert Droese, sächsischer Bundestagsabgeordneter bei Ihnen im Landesverband. Der verschickt Fotos von sich, auf denen er vor dem einstigen Führer-Hauptquartier Wolfsschanze in Polen steht. Er hat dabei die rechte Hand auf dem Herzen. Gerade hat ihn die Mehrzahl der Delegierten in Ihrem Landesverband auf einen sicheren Listenplatz, Listenplatz drei gewählt.
Es gibt den Bundestagsabgeordneten Peter Bystron. Der hat sich während einer, vom Bundestag bezahlten Reise in Südafrika mit Vertretern der rechtsextremen rassistischen Organisation Südländers getroffen. Man hat dann gemeinsam einen Schießstand ausprobiert.
Es gibt Hans-Thomas Tillschneider, Abgeordneter aus Sachsen-Anhalt. Der hat enge Kontakte zur rechtsextremen Identitären Bewegung, ist Gründer des als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuften Kampagnenvereins "Ein Prozent von unserem Land".
Es gibt Andreas Winhart, Landtagsabgeordneter in Bayern. Der warnte vor Flüchtlingen mit den Worten "Wenn mich in der Nachbarschaft ein Neger anküsst oder anhustet, dann muss ich wissen, ist der krank oder nicht."
Ich kann das jetzt noch weiter fortführen. Ich habe noch ein paar mehr Namen auf dem Zettel. Aber da fehlt uns vielleicht die Zeit. Diese Leute sind alle noch in der Partei, und zwar tonangebend. Sie machen nichts. Warum?
Chrupalla: Was heißt, wir machen nichts? Ich sage mal, dass einzelne Aussagen sicherlich grenzüberschreitend sind, was aber meiner und unserer Ansicht nach noch von der Meinungsfreiheit gedeckt ist, da sind wir uns einig. Ob die deswegen als Rechtsextremisten bezeichnet und beziffert werden können, das sollten mal Gerichte klären, und das werden die Gerichte klären. Ich bin der Meinung, dass diese Aussagen…

Chrupalla: Spitzel werden auf Oppositionspartei losgelassen

May: Aber es gibt ja auch den Verfassungsschutz, der das jetzt klärt und prüft beziehungsweise Sie jetzt genauer beobachtet, weil Sie nichts machen. Sie hätten ja die Möglichkeit gehabt, diese Leute in irgendeiner Art und Weise zu sanktionieren. Tun Sie aber nicht. Stattdessen setzen diese Leute sich bei Wahlen um sichere Listenplätze für die Bundestagswahl in Ihrer Partei gegen sogenannte Gemäßigte durch.
Chrupalla: Herr May, wir haben ein Parteienrecht. Das müssten Sie doch eigentlich wissen. Wir sind eine demokratische Partei und auf Parteitagen entscheiden das die Mitglieder, nicht ich, Tino Chrupalla als Bundessprecher.
May: Das habe ich auch nicht gesagt! Vollkommen klar! Aber das sagt doch was aus über die Partei.
Chrupalla: Was heißt über die Partei? Wir repräsentieren sechs Millionen Wähler. Das ist doch unser Auftrag. Das ist hier von Ihnen eine Vorverurteilung, die Sie hier durchführen wollen, um uns natürlich zu diskreditieren. Im Übrigen: Genau das ist ja auch der Auftrag von Herrn Haldenwang gewesen. Mit der Ablösung von Herrn Maaßen vor zwei Jahren gab es doch den klaren Auftrag an Herrn Haldenwang, die AfD als Verdachtsfall einzustufen. Das sollte in zwei Jahren passieren und musste in zwei Jahren passieren. Das hat das Bundesverfassungsgericht auch klar in diesem Zeitrahmen definiert. Diese Frist ist im März 2021 jetzt abgelaufen.
Im Prinzip: Der Auftrag ist erfüllt worden von Herrn Haldenwang. Herr Seehofer hat das klar auferlegt. Daran sieht man doch die politische Instrumentalisierung. Sie können mir doch nicht wirklich sagen, dass es rechtens und gut ist, dass mittlerweile in einem demokratischen Rechtsstaat Spitzel wieder von Steuergeldern bezahlt werden, die auf die größte Oppositionspartei losgelassen werden. Ich finde das wirklich abenteuerlich und das erinnert mich als sozialisierter Mitteldeutscher an längst vergangene Zeiten, und das merken auch mittlerweile die Wähler.
Schatten von Menschen, Text: Rechtsextremismus
Rechtsextremismus - das Dossier zum Thema (dpa / Martin Schutt)
May: Aber jetzt hat sich der Verfassungsschutz ja verpflichtet, wie wir wissen, bis zur Bundestagswahl weder Spitzel, keine V-Leute, auch keine Telefonüberwachung von Kandidaten zu machen. Da haben Sie jetzt erst einmal nichts zu befürchten. Am Ende, wie Sie es auch richtig sagen, entscheiden doch Gerichte.
Chrupalla: Wenn am Ende die Gerichte entscheiden, dann lassen wir doch die Gerichte entscheiden und warten diesen Prozess ab. Auch eine Zusage einer Behörde, die Berichte bereits vorher lanciert und durchsticht, auf die kann ich mittlerweile nicht mehr vertrauen. Der Verfassungsschutz hat sich damit, mit seinem Vorgehen wirklich auch diskreditiert. Und ich muss Sie wirklich fragen, ob das noch wirklich eines demokratischen Rechtsstaats würdig ist. Ich und wir als Partei meinen, nein.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.