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Beobachtungen im Berlin der 30er Jahre

Ein Warschauer Verlag brachte im vergangenen Herbst erstmals seit 70 Jahren eine Neuausgabe der seiner Zeit berühmten und inzwischen völlig vergessenen Reportagen von Antoni Graf Sobanski heraus. Seit diesem Frühjahr liegt das Buch unter dem Titel "Nachrichten aus Berlin" auch auf Deutsch vor.

Von Marta Kijowska | 27.08.2007
    Am 18. Juni 1933 erscheint in der Warschauer Zeitschrift "Literarische Nachrichten", dem wichtigsten polnischen Kulturblatt der Zwischenkriegszeit, ein Artikel, der, so viel ist sofort zu erkennen, ein völlig unliterarisches Thema behandelt. Er beginnt nämlich mit den Worten:

    "In Warschau ging die Angst um. Freunde und Bekannte verabschiedeten mich fast so, als sei es für immer. Ich solle vorsichtig sein. Ein Engländer, der in Berlin wohnte und den ich als wahrheitsliebenden Menschen kenne, erzählte schreckliche Dinge. Soll man diesen Nachrichten Glauben schenken?"

    Der Autor des Textes ist dem Warschauer Publikum wohlbekannt: Es ist Antoni Graf Sobanski, eine der farbigsten Gestalten der guten Gesellschaft und zugleich ein geschätzter Journalist. Diesmal ist er für die "Literarischen Nachrichten" nach Berlin gefahren, um sich ein Bild von der Situation im Nazideutschland zu machen und darüber nach Polen zu berichten. Er soll nicht nur die politischen Verhältnisse, sondern auch die Stimmung in der Bevölkerung und den Berliner Alltag erkunden. Er genießt zwar nicht unbedingt den Ruf eines Deutschlandkenners - im Gegenteil, Antoni Sobanski beziehungsweise Graf Tonio, wie ihn seine Freunde nennen, gilt als leidenschaftlich anglophil. Doch er ist sehr intelligent, gebildet und vielgereist, kurz: Er ist, um Witold Gombrowicz zu zitieren, "einer der aufgeklärtesten Aristokraten Polens". Darüber hinaus kennt er Berlin recht gut, hat dort viele Freunde, ist mit der deutschen Sprache und Kultur vertraut.

    Seine Auftraggeber sind also davon ausgegangen, dass sein Bericht objektiv und ausgewogen sein würde, und sie haben sich nicht getäuscht. Sobanski ist bei seiner Ankunft in Berlin nicht nur in keiner Weise voreingenommen, sondern auch sehr neugierig. Und dass er die Stadt in einem völlig neuen Gewand vorfindet, macht ihn noch neugieriger.

    "Endlich Berlin. Als ich um sieben Uhr abends quer durch die Stadt fahre, sehe ich zum ersten Mal fünf herumspazierende uniformierte Nationalsozialisten und zwei Mitglieder des Stahlhelm. Überall sind Flaggen mit dem Hackenkreuz zu sehen, und man muss zugeben, die Farben sind eindrucksvoll. Es ist vielleicht die bestgelungene Flagge, die ich kenne, sehr dekorativ in ihrer chinesisch-japanischen Machart."

    In den nächsten drei Monaten ändert sich nichts an seiner interessierten, offenen Betrachtungsweise. Er läuft unermüdlich in der Stadt herum, liest die Tagespresse, führt unzählige Gespräche, und es kommt durchaus vor, dass er sich später über manches ironisch, ablehnend oder verwundert äußert. Doch welches Thema er auch anspricht, die Eigenheiten der deutschen Mentalität, die wirtschaftliche Situation, die Judenfrage oder das Niveau der Berliner Theater, immer liefert er ein vollständiges und unparteiisches, nur hin und wieder nur durch einige Reflexionen ergänztes Bild.

    Selbst ein so wichtiges Ereignis wie die berühmte Bücherverbrennung, deren Zeuge er kurz nach seiner Ankunft wird, betrachtet er mit dem Auge eines unbestechlichen, nüchternen Außenstehenden.

    "Die Menschenmenge, in der ich stand, begrüßte den ankommenden Umzug nicht. Die Stimmung war heiter, denn es ist ja Frühling. Fast alle Männer waren mit ihren Frauen da. Das Interesse auf den Gesichtern fiel in die Kategorie mittelmäßig. Die einzigen Rufe kamen von den marschierenden Studenten oder denen, die auf den Lastwagen die Hakenkreuz-Banner schwenkten. Der Umzug marschierte sehr gekonnt ein und verteilte sich in der Platzmitte. Sie umringten den Stapel und warfen ihre Fackeln hinein - so entstanden ihre historischen Flammen."

    In einem ähnlich unaufgeregten Ton sind alle acht Reportagen gehalten, die Sobanski in diesen Sommermonaten 1933 nach Warschau schickt und die ein Jahr später auch in Buchform erscheinen. Seine Recherchen gehen trotzdem weiter: Im Jahre 1934 fährt er erneut nach Berlin, im Frühjahr 1936 besucht er die Freie Stadt Danzig, im Herbst desselben Jahres ist er als Beobachter des Reichsparteitags der NSDAP in Nürnberg. Alles in allem schreibt er 13 lange, facettenreiche und tiefgründige Berichte, die in Warschau Aufsehen erregen und seinen publizistischen Rang ungemein steigern.

    Als allerdings der Zweite Weltkrieg ausbricht, werden sie ihm zum Verhängnis: Polnische Intellektuelle, die in der Vergangenheit auch nur die leiseste Kritik an den Verhältnissen im Nazideutschland geäußert haben, stehen sofort auf der schwarzen Liste der Gestapo. Und in Sobanski Reportagen ist durchaus auch Negatives zu finden.

    "Ich verlasse ein Land, das teils nach russischem, teils nach italienischem Muster regiert wird. Der Kommunismus ist ein Verbrechen. Mandate der Sozialisten in allen gesetzgebenden oder selbstverwalteten Körperschaften wurden für ungültig erklärt. Andere Parteien existieren nicht mehr. Sie übertreffen sich sogar gegenseitig vor Eile, sich als Erste 'freiwillig' aufzulösen. Es bleibt nur noch die nationalsozialistische Partei."

    Solche Sätze werden den Nazis nicht gefallen, das steht fest. Über Rumänien und Frankreich flieht Sobanski aus Warschau in sein geliebtes London. Leider nur für eine kurze Zeit: Nach nur knapp anderthalb Jahren stirbt er an einer Lungenkrankheit. Die "Nachrichten aus Berlin" bleiben sein wichtigstes Werk.


    Antoni Sobanski: Nachrichten aus Berlin 1933-36
    Aus dem Polnischen von Barbara Kulinska-Krautmann
    Parthas-Verlag, Berlin 2007
    19, 80 Euro