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Berg-Karabach
"Konflikt zwischen Russland und Türkei wirft Schatten"

Für die erneute Eskalation der Gewalt in Berg-Karabach ist laut dem Politikwissenschaftler Uwe Halbach auch der Konflikt zwischen Russland und der Türkei mitverantwortlich. Dabei versuche Russland allerdings, beschwichtigend zu wirken, sagte er im DLF. Die Türkei dagegen verschärfe die Rhetorik.

Uwe Halbach im Gespräch mit Doris Simon | 04.04.2016
    Ein Panzer bei einer Militärparade in Stepanakert in der Region Berg-Karabach im Jahr 2012.
    Ein Panzer bei einer Militärparade in Stepanakert in der Region Berg-Karabach im Jahr 2012. (imago / itar-tass)
    Die Eskalation ist laut Halbach die schlimmste seit 1994. 30 Menschen waren bei gewalttätigen Auseinandersetzungen getötet worden, darunter 18 auf armenischer und 12 auf aserbaidschanischer Seite, so Halbach. "Das ist eine Zahl, die sich sonst jährlich summiert hat."
    Über den Grund für die Gewalt gebe es viele Spekulationen: Solche Eskalationen zeigten sich oft, wenn wichtige Treffen und Gespräche stattfänden. Vor Kurzem waren die Präsidenten der beiden Länder in den USA zu Einzelgesprächen mit US-Vizepräsident Joe Biden zusammengetroffen. Aber auch die Wirtschaftskrisen in beiden Ländern könnten eine Ursache sein, so Halbach.
    Eine Rolle spiele auch der Konflikt zwischen Russland und der Türkei. Dabei sei Russland allerdings "deutlich bemüht", beschwichtigend auf die Auseinandersetzung in Berg-Karabach einzuwirken. Der türkische Präsident Erdogan habe mit seiner Ankündigung, Aserbaidschan "bis zum Letzten" zu unterstützen, die Rhetorik jedoch verschärft.
    Religion kein vordergründiges Thema im Konflikt
    Halbach sieht Religion als nachrangiges Problem in dem Konflikt: "Für Armenier sind die Aserbaidschaner zuallererst Türken, nicht Muslime." Sie sähen einen Zusammenhang mit dem Völkermord der Türkei an Armeniern vor über 100 Jahren - doch gibt es diesen Zusammenhang laut Halbach nicht. Umgekehrt seien die Armenier für die Aserbaidschaner nicht in erster Linie Christen, sondern Armenier. Zwar habe es in dem Konflikt auch immer wieder Stellungnahmen religiöser Kräfte gegeben, die hätten aber nicht gegriffen.
    Halbach rechnet nun mit Aktivitäten der internationalen Gemeinschaft, um den Konflikt zu entschärfen.

    Das Interview in voller Länge:
    Doris Simon: Blut, sehr viel Blut floss damals. Über eine Million Menschen verloren ihre Heimat, Zehntausende starben, bis Aserbaidschan und Armenien endlich offiziell die Kämpfe einstellten und am 12. Mai vor 22 Jahren ein Waffenstillstandsabkommen unterschrieben. Der Anlass für den jahrelangen Krieg war ein Gebiet, das ist gerade mal so groß wie das Ruhrgebiet.
    Bergkarabach liegt im aserbaidschanischen Staatsgebiet, wird aber heute hauptsächlich von Armeniern bewohnt, und auch die sieben umliegenden Provinzen, die Armenien besetzt hat. Und jetzt wird genau dort wieder gestorben.
    An diesem Wochenende lieferten sich armenische und aserbaidschanische Einheiten heftige Gefechte mit mindestens 30 Toten und es wird weiter geschossen. Am Telefon ist Uwe Halbach, er forscht seit 2001 für die Stiftung Wissenschaft und Politik auch zum Kaukasus. Guten Morgen, Herr Halbach!
    Uwe Halbach: Guten Morgen!
    Simon: Herr Halbach, zwei Jahrzehnte lang gab es diese brüchige Ruhe in Bergkarabach, es war einer von vielen eingefrorenen Konflikten in dieser Gegend. Jetzt wieder immer wieder Schusswechsel und Tote, jetzt ein richtiger Konflikt. Wieso ist dieser Bergkarabach-Konflikt jetzt wieder aufgebrochen?
    Halbach: Er ist immer mal wieder aufgebrochen. Zum Beispiel 2014, im Sommer 2014 nahmen Gewaltzwischenfälle wieder enorm zu, die Zahl der Todesopfer war gestiegen, man hat damals auch im Schatten der Ukraine-Krise von der erneuten Kriegsgefahr gesprochen.
    Und der jetzige Vorfall ist allerdings der schlimmste seit 1994, seit dem Waffenstillstand. Mit – so bislang die offiziellen Angaben – 30 toten Soldaten, 18 auf der armenischen Seite, zwölf auf der aserbaidschanischen Seite, ist das eine Zahl der Todesopfer, die sonst jährlich sich summiert in diesen Auseinandersetzungen an der Waffenstillstandslinie.
    "Beide Staaten zeigen Flagge, um von innenpolitischen Problemen abzulenken"
    Simon: Können Sie denn einen besonderen Grund erkennen, warum es jetzt passiert?
    Halbach: Darüber wird spekuliert. Eine dieser Spekulationen heißt, dass sich solche Eskalationen oft auch in der Vergangenheit gezeigt haben, wenn wichtige Treffen anstanden, wichtige Gespräche anstanden. Und im Kontext dieses neueren Vorfalls steht ein Treffen in Washington. Die beiden Präsidenten Armeniens und Aserbaidschans haben in Washington mit Vizepräsident Joe Biden gesprochen, sie haben sich nicht untereinander getroffen, aber sie waren in Washington vorstellig und haben über den Konflikt gesprochen.
    Andere Spekulationen laufen darauf hinaus, beziehen diesen russisch-türkischen Konflikt, der im Umfeld von Syrien ausgebrochen ist, ein, andere gehen auf die Wirtschaftskrisen in den beiden Ländern ein, sowohl in Armenien als auch in Aserbaidschan, und da wird dann daraus geschlossen, dass beide Seiten verstärkt Flagge zeigen in dem Konflikt, um von innenpolitischen Problemen abzulenken.
    Simon: Herr Halbach, Sie sprechen den Konflikt zwischen der Türkei und Russland an. Armenien wird ja traditionell von Russland unterstützt, der türkische Präsident Erdogan hat Aserbaidschan einmal mehr seine Unterstützung zugesichert und auch die Grenze zu Armenien schließen lassen. Diese Allianz mit Moskau beziehungsweise mit Ankara, verschärft das den Konflikt?
    Halbach: Ja, darüber ... Der plötzlich ausgebrochene Konflikt zwischen Russland und der Türkei, die ja vorher durchaus intensive bilaterale Beziehungen hatten, keineswegs feindselige Beziehungen hatten, der wirft schon auch einen Schatten auf den Karabach-Konflikt.
    Allerdings ist Russland deutlich bemüht, im Einklang mit EU, UNO und Aussagen von dem deutschen Außenminister, auf beide Seiten beschwichtigend einzuwirken und einen Krieg, eine weitere militärische Eskalation zu verhindern. Erdogan hat dagegen seine Unterstützung für Aserbaidschan bekräftigt und hat gesagt, er würde bis zum Ende auf der Seite Aserbaidschans stehen.
    "Es geht um den Völkermord an den Armeniern"
    Simon: Also wieder blutige Rhetorik. Wie wichtig ist eigentlich in diesem Konflikt heute noch – früher war es wichtig – die Religion?
    Halbach: Ja, es ist ja ein Konflikt, in dem sich Christen gegenüberstehen, Armenien ist das älteste christliche Land überhaupt, mit einer Christianisierung Anfang des vierten Jahrhunderts. Auf der anderen Seite Aserbaidschan, das einzige muslimische Land im Südkaukasus. Da kommt man schnell auf den Gedanken, dass das so ein Clash of Civilizations, also ein Zusammenprall christlicher und muslimischer Zivilisation sei.
    Ich bin da allerdings zurückhaltend bei dieser Interpretation. Für die Armenier sind die Aserbaidschaner in erster Linie Türken und nicht in erster Linie Muslime. Das heißt, sie bringen den Konflikt auch in Verbindung mit ihrer nationalen Tragödie, die sie in der Türkei erlebt haben. Das heißt, sie interpretieren die Aserbaidschaner eher ethnisch als religiös.
    Simon: Also, es geht um den Völkermord an den Armeniern, muss man dazu sagen.
    Halbach: Es geht um den Völkermord an den Armeniern, ja, die Armenier haben auch die Gewalt im Karabach-Konflikt in Verbindung gebracht mit dieser Katastrophe. Historisch gibt es da keine Verbindung, die Aserbaidschaner haben nichts zu tun mit dem Genozid im Osmanischen Reich. Auf der anderen Seite sind für die Aserbaidschaner die Armenier nicht in erster Linie Christen, sondern Armenier. Auch hier wird das eher ethnisch interpretiert.
    Allerdings gab es auf beiden Seiten auch Stellungnahmen religiöser Kräfte. Es gab ja in Aserbaidschan islamistische Netzwerke, die da versuchten, aus dem Karabach-Konflikt einen Dschihad zu machen, das hat aber nicht so recht durchgegriffen in der aserbaidschanischen Gesellschaft, die gegenüber diesen Dschihad-Narrativen sehr zurückhaltend ist. Also, ich würde ...
    "Bislang sind Gewaltzwischenfälle nicht völlig aus dem Ruder gelaufen"
    Simon: Herr Halbach, wenn wir jetzt noch mal schauen auf die Optionen, die bleiben: Das hört sich alles sehr schwierig und kompliziert an, zumal eben dieser Konflikt schon so viele Jahre da vor sich hinschlummert, gefährlich. Gibt es derzeit Optionen, den aktuellen Ausbruch beizulegen?
    Halbach: Ja, es gibt natürlich eine rege Reaktion in der internationalen Gemeinschaft auf diese Eskalation. Aserbaidschan hat ja gestern auch eine einseitige Waffenruhe verkündet, nachdem sich die UNO gemeldet hat, nachdem Ban Ki Moon sich gemeldet hat und internationale Politik sich gemeldet hat.
    Die armenische Seite behauptet, diese Waffenruhe würde nicht eingehalten, das ist alles sehr schwer zu kontrollieren, weil es kein verlässliches internationales Monitoring an der Waffenstillstandslinie gibt, aber es werden sicherlich jetzt internationale Aktivitäten losgetreten, um eine weitere Eskalation zu verhindern.
    Bislang sind die zahlreichen Gewaltzwischenfälle, die es an der Waffenstillstandslinie gab, nicht völlig aus dem Ruder gelaufen. Bislang gab es immer noch eine Eingrenzung und man kann nur hoffen, dass dies auch in diesem schwersten Fall seit 1994 der Fall sein wird.
    Simon: Die Einschätzung von Uwe Halbach, dem Kaukasus-Kenner in dieser Sendung. Vielen Dank, Herr Halbach!
    Halbach: Ja, bitte.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.