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Bericht über die Lage der Displaced Persons 1945
Vor 75 Jahren erschien der Harrison-Report

Bis zu 70.000 Holocaust-Überlebende mussten 1945 als Displaced Persons in Lagern, DP-Camps, ausharren. Der Jurist Earl G. Harrison begutachtete die katastrophalen Zustände dort. Am 30. September 1945 druckte die "New York Times" seinen Bericht - und schockierte die US-Öffentlichkeit.

Von Almut Finck |
     Eine Gruppe Displaced Persons, die in einem Lager in Wiesbaden untergebracht waren
    Eine Gruppe Displaced Persons, die in einem Lager in Wiesbaden untergebracht waren (picture-alliance / dpa / Dena US Signal Corps Photo)
    Mai 1945. Die Waffen schweigen, Ströme von Menschen ziehen durch das zerstörte Europa.
    "Man muss sich den Krieg als eine riesige Versprengungsmaschinerie vorstellen", sagt Harald Jähner, Autor des Buches Wolfszeit, einer Mentalitätsgeschichte der deutschen Nachkriegszeit. "Die Hälfte der in Deutschland lebenden Menschen war nicht dort, wo sie hinwollten und hingehörten."
    Neun Millionen Ausgebombte und Evakuierte, 14 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene, dazu heimkehrende Soldaten und: mehr als zehn Millionen ehemaliger Zwangsarbeiter und Lagerinsassen. Displaced Persons, DPs, hießen sie in der Verwaltungssprache der Siegermächte, Verschleppte, Entwurzelte. Dazu Harald Jähner: "Wir denken immer: Mit der Befreiung der KZs und der Befreiung der Zwangsarbeiterlager hätte alles ein glückliches Ende gefunden, aber so leicht war das natürlich nicht."
    DP-Lager teils frühere KZs
    Die Mehrheit der Zwangsarbeiter, die die Kriegswirtschaft der Nazis am Laufen gehalten hatten, wurde sehr schnell "repatriiert", zurückgebracht nach Polen, in die Ukraine oder die baltischen Länder, bis zu 33.000 am Tag. Was aber war mit den jüdischen KZ-Überlebenden – ihre Familien ermordet, ihre Kultur vernichtet, ihre Heimat zerstört? "Sie mussten zum Teil in den alten KZs bleiben. Die wurden notdürftig gesäubert. Es dauerte auch lange, bis sie andere Kleidung bekamen, als die gestreifte Häftlingskleidung. Viele mussten sogar als Alternative die SS-Uniform ihrer ehemaligen Bewacher und Peiniger anziehen."
    In den Sammellagern für DPs, von den Siegermächten eilends errichtet, war die Situation kaum besser. Es herrschten drangvolle Enge und katastrophale hygienische Zustände, die Ernährungslage war miserabel.
    "Wir scheinen die Juden wie die Nazis zu behandeln, mit der Ausnahme, dass wir sie nicht vernichten. Sie sind in großer Anzahl in Konzentrationslagern untergebracht und werden statt von SS-Truppen von unseren Militärs bewacht. Man muss sich die Frage stellen, ob die Deutschen, wenn sie dies beobachten, nicht vermuten, dass wir die NS-Politik fortsetzen oder sie jedenfalls gutheißen."
    Truman beauftragt Harrison
    Diese an Schärfe kaum zu überbietende Kritik am Umgang mit den etwa 50.000 bis 70.0000 jüdischen DPs stammt aus dem sogenannten Harrison-Report, veröffentlicht am 30. September 1945 in der "New York Times". Der amerikanische Jurist Earl G. Harrison hatte im Juli 1945 im Auftrag Präsident Trumans 30 DP-Camps in Deutschland und Österreich inspiziert, sein Resümee war verheerend. Am heftigsten beklagte er die Unterbringung von Holocaust-Überlebenden gemeinsam mit nichtjüdischen DPs der gleichen Nationalität, deren oft tief verwurzeltem Antisemitismus sie dort ausgesetzt waren: "Juden sind als Juden weitaus mehr gequält worden, als die nichtjüdischen Angehörigen des gleichen oder eines anderen Staates", heißt es im Bericht.
    Lager Föhrenwald
    Der Oberbefehlshaber der US-Besatzungstruppen in Deutschland, General Dwight D. Eisenhower, reagierte umgehend auf Harrisons Bericht und erließ neben vielen anderen Verbesserungen die Anordnung, spezielle Lager nur für jüdische DPs zu errichten, meist zur Eigenverwaltung. Das größte, Föhrenwald nahe Wolfratshausen bei München, sollte bis 1957 bestehen.
    Das Gelände von Föhrenwald, ca. 1956
    Entstanden als Lager für Displaced Persons: Das Gelände von Föhrenwald bei München, ca. 1956 (Stadtarchiv Geretsried / Günther Fechner)
    Hier etablierte sich – fernab von der mit dem Wiederaufbau beschäftigten deutschen Nachkriegsgesellschaft – eine regelrechte Schtetl-Kultur mit Synagogen, jüdischen Schulen und Kindergärten, Theatern, Sportvereinen, einer jiddischsprachigen Presse, einer, wenn auch begrenzten, eigenen Gerichtsbarkeit.
    Eine große amerikanische Flagge hängt in der Halle des DP Camps Landsberg, in der die Mahlzeiten eingenommen werden, von der Decke. In der Saarburgkaserne in Landsberg am Lech wurde nach der Besetzung der Stadt durch US-Truppen von der Nothilfe- und Wiederaufbauverwaltung der Vereinten Nationen (United Nations Relief and Rehabilitation Administration, kurz UNRRA) ein Lager für verschleppte Juden eingerichtet. Aufnahme vom 6.12.1945
    Holocaust-Forschung - Jüdisches Flüchtlingscamp in Eichstätt
    Nach Kriegsende wanderten die meisten Juden aus - aber nicht sofort. Zunächst wurden sie in sogenannten Displaced Persons Camps versorgt, die die UN und die US-Army errichtet hatten. Heute beginnt man an diesen Orten, den oft verdrängten Teil der Geschichte wieder aufzuarbeiten - so auch in Eichstätt.
    Unmut erregte Harrisons Bericht allerdings bei den Briten. Denn Harrison hatte etwas gefordert, was Großbritannien, damals Mandatsträger in Palästina, überhaupt nicht passte: die Ausstellung von 100.000 zusätzlichen Einwanderungszertifikaten.
    Harrison-Report als Meilenstein auf dem Weg zur Staatsgründung Israels
    "Keine andere Angelegenheit ist aus Sicht der Juden in Deutschland und Österreich und aller anderen, die die Schrecken der Konzentrationslager kennengelernt haben, so wichtig wie die Entscheidung der Frage Palästinas."
    1948 fiel diese Entscheidung. Heute gilt der Harrison-Report Historikern als Katalysator, der mit dazu führte, dass aus jüdischen DPs Menschen mit Zukunftsperspektive wurden – und viele von ihnen Bürger des neuen Staates Israel.