Freitag, 26. April 2024

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Berichterstattung über Ostdeutschland
"Als etwas dümmliche Masse wahrgenommen"

Die Art und Weise, wie Medien oft über Ostdeutschland berichten, stelle ein "großes Problem für die gesellschaftliche Gesamtwahrnehmung" dar, sagte die Journalistin Marieke Reimann im Dlf. Sie fordert deshalb mehr "Menschen mit ostdeutschem Hintergrund" im Journalismus.

Marieke Reimann im Gespräch mit Sebastian Wellendorf | 28.08.2019
Eine junge Frau steht mit einem Pulli, auf dem die Aufschrift "89" zu lesen ist, vor dem City-Hochhaus in Leipzig.
Seit der Wende `89 werde oft einseitig über Ostdeutschland berichtet, so Marieke Reimann (imago/ epd-bild/ Peter Endig)
Sebastian Wellendorf: Sieht gut aus für die AfD am Wochenende in Brandburg und Sachsen. Rechte Parteien sind so stark wie nie in vielen ostdeutschen Bundesländern. 30 Jahre nach der Wende scheint - ich zeige Anführungsstriche - "der Osten" mehr denn je ein großes Problem zu haben zumindest aus Sicht des - ich zeige Anführungsstriche - "des Westens". Was den Graben zwischen Ost und West nur größer werden lässt, und ich bleibe im Bild: eine der größten Schaufeln um diesen Graben auszuheben, den benutzen die Medien. Die mediale Berichterstattung ist eine ost-fremde und manche sagen sogar ost-feindliche. Weswegen die Chefredakteurin des Onlinemagazin ze.tt Marieke Reimann einen medialen Wandel fordert. Ich hab mit ihr gesprochen und sie zunächst gefragt, was genau sie an der medialen Berichterstattung über die ostdeutschen Bundesländer kritisiert.
Marieke Reimann: Ja, ich kritisiere, dass wir auch 30 Jahre nach dem Mauerfall nach wie vor eine hauptsächlich westzentrierte auch Ostdeutschland-Berichterstattung haben, die oft Ostdeutsche pauschalisiert und als homogene Masse darstellt, fast nie über die 80 Prozent berichtet, die eben nicht rechts wählt. Und, wenn es um die Bebilderung von Artikeln geht, auch dort oft pauschal herabsetzt, vielleicht sogar diskriminiert oder zu Altbewährtem wie Plattenbauten und Trabbis greift, um dort Sachen zu bebildern.
Wellendorf: Das heißt, es werden Klischees bedient?
Reimann: Genau. Dazu gibt es ja auch ganze Studien. Der MDR zum Beispiel hat letztes Jahr erst eine sehr große, umfangreiche dazu veröffentlicht, wo er das einfach auch belegbar gemacht hat: Dass, wenn über den Osten überhaupt berichtet wird, es eine zum überwiegenden Teil negative Berichterstattung ist, die sich eben dadurch schon zeigt, dass am allerwenigsten über kulturelle Sachen berichtet wird – und am allermeisten über Wirtschaftsthemen oder Rechtsextremismus. Und dann sehr oft die Wörter "Problem", "Armut" oder "abgehängt" in Zusammenhang mit der Berichterstattung über Ostdeutschland fallen.
Wellendorf: Für diese Studie wurden aber auch Experten befragt, die gesagt haben: Generell konzrentrieren sich die Medien auf eher Negatives und richten den Blick auf blöde Sachen als auf gute. Das ist also nicht unbedingt ein ostdeutsch-westdeutsches Problem, sondern ein genereller Blick der Medien auf die Welt?
Reimann: Ja, das stimmt. Das zeigt sich aber einmal umso mehr in der Berichterstattung über Ostdeutschland. Und das entnehme ich auch dieser Studie.
Wellendorf: Dann anders gefragt: Sind Medien nicht eher dafür da, blöde Sachen zu benennen und den Finger in die Wunde zu legen, als zu beschreiben, was alles schön und positiv und rosig ist?
Reimann: Ich denke, Medien sind vor allen Dingen dafür da, um für eine ausgeglichene Berichterstattung zu sorgen. Ich denke, Aufgabe der Medien ist es, objektiv und ausgeglichen zu berichterstatten. Und da fällt eben auch rein, zum einen natürlich auch über rechtsextreme Strömungen vielleicht zu berichten, aber andererseits auch andere Punkte aufzuzeigen. Und in dem Moment, wo diese anderen Punkte oftmals unter den Tisch fallen, gibt es eben nur eine sehr einseitige Berichterstattung.
Wellendorf: Welche Folge hat eine solche Form der von Ihnen beschriebenen Berichterstattung?
Reimann: Das hat die Folge, dass Ostdeutsche im Gegensatz zu Westdeutschen sehr oft eben als Masse Ostdeutsche wahrgenommen werden und selten als Einzelcharaktere. Dass sie eben pauschal als diese etwas dümmlichere, etwas zurückgebliebene, hilfsbedürftigere, nach rechts driftende Masse wahrgenommen werden. Und es ist klar, dass die bisherige Berichterstattung in den letzten 30 Jahren über den Osten ein großes Problem für die gesellschaftliche Gesamtwahrnehmung Ostdeutschlands darstellt - und ich meine sogar, den Abbau der Mauer in den Köpfen verhindert.
Wellendorf: Frau Reimann, Sie fordern nun mehr Ossis in den Medien, und ich ergänze, insbesondere in westdeutschen Medien.
Reimann: In allen Medien. Also alle Medien, die reichweitenstark, auflagenstark sind, und auch kleinere Medien, na klar. Aber Medien, die Einfluss haben, müssen wirklich darüber nachdenken, dass sie ihre Redaktion diverser aufstellen. Und das fängt bei Menschen mit ostdeutschem Hintergrund an. Und genauso müssen aber Überlegungen getroffen werden, Menschen mit Migrationshintergrund mehr in die Redaktionen reinzuholen, damit eben eine ausgeglichene Berichterstattung stattfinden kann. Und die ist momentan meiner Meinung nach eben nicht gegeben.
Wellendorf: Sie haben jetzt "Menschen mit ostdeutschem Hintergrund" gesagt, ich habe eben das Schlagwort "Ossi" benutzt, auch mit der Frage im Hinterkopf, wer eigentlich ein oder eine Ossi ist? Der oder die aus dem Osten kommt, dort geboren ist, dort wohnt oder die DDR miterlebt hat? Was ist eine oder ein Ossi?
Reimann: Da gibt es ja per se verschiedene Definitionen, wer oder was ein Ossi ist, sozusagen. Generell geht man gerade davon aus, dass Ostdeutsche, die sich jetzt gerade als Ostdeutsche bezeichnen oder so bezeichnet werden, eben Menschen sind, die entweder noch DDR-sozialisiert sind, also in der DDR aufgewachsen sind, oder aber mit Eltern großgeworden sind, die ostsozialisiert, also DDR-sozialisiert sind, also da irgendwie eine Wertevermittlung aus der DDR-Sozialisierung noch stattgefunden hat.
Wellendorf: Frau Reimann, die ganze Debatte "Ossi Wessi", da gibt es auch viele, die sagen, das dauert einfach noch 20 Jahre, dann ist das ganze Thema mit Ossi und Wessi sowieso erledigt, weil dann gibt’s diejenigen nicht mehr, die die DDR wirklich miterlebt haben und sich auf eine ost- bzw. westdeutsche Identität berufen können. Was sagen Sie zu diesem Argument?
Reimann: Das ist natürlich eine Hoffnung derjenigen, die sich gerne zurücklegen und jetzt heute schon die Hände in den Schoß legen wollen. Ich finde aber, das, was in den letzten 30 Jahren schon versäumt wurde, nämlich einfach die Leute gleichberechtigt zum Beispiel auch in Führungspositionen mit reinzuholen und eben auch in Redaktionen dementsprechend auch, sollte in den nächsten 20 Jahren dringend nachgeholt werden, damit wir dann vielleicht 50 Jahre nach der Wende zu dieser Haltung überhaupt kommen können, die Sie eben angesprochen haben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.