Freitag, 19. April 2024

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Berlin Fashion Week
Die Mode der Zukunft ist zeitlos

Die Modebranche ist in einer Umbruchphase: Die Wachstumsprognose sieht düster aus, ein Umdenken ist notwendig. Grobgestrickte bauchfreie Wollpullover, vegane PVC-Lederjacken mit Schlangenprints und Turnschuhe aus Algen sind Antworten der Modedesigner auf die Krise in der Branche.

Julia Vismann im Gespräch mit Sigrid Fischer | 15.01.2020
William Fan Modeshow
Hommage an Berlin: William Fans Mode-Show "Runaway" im Berliner Fernsehturm ((c) Janine Sametzky)
Die Modebranche ist in einer Umbruchsphase. Die Wachstumsprognosen sehen nicht gut aus. Julia Vismann hat sich für Corso auf der Fashion Week in Berlin umgesehen und sich die Mode von Morgen angeschaut. Sie stellte fest: Es gibt weniger Modeschauen als in den vergangenen Jahren, dafür Konferenzen und Plattformen, auf denen über die Zukunft der Mode diskutiert wird.
Julia Vismann: Die Labels müssen entweder aufgeben oder sich neu orientieren. Es gibt viel weniger Modeschauen als in den letzten Jahren. Die Fashion Week ist insgesamt konzentrierter, dauert auch nicht so lange. Viele große Labels besonders im Outdoorbereich setzen sich mit neuen Materialien auseinander. Aus recycelten PET-Flaschen werden Hightech-Jacken, die nach Gebrauch wieder zurückgenommen werden und komplett samt Reißverschluss recycelt werden können. Andere Modelabels experimentieren mit Vlies aus Naturfasern, um zum Beispiel den Abrieb von Mikroplastik zu verhindern. Und Jeans-Hersteller setzen ebenfalls auf Recycling von alten Jeans-Hose. Also im Grunde genommen ist Nachhaltigkeit ein Trend, den man hier sehen kann auf der Fashion Week.
Sigrid Fischer: Trend, aber eben dann scheinbar auch Krisenbewältiger. Also wahrscheinlich versucht man dann das Wachstum dadurch dann auch wieder anzuheizen. Ja, Trends, was haben Sie denn noch gesehen an Trends?
Vismann: Letztendlich ist Zeitlosigkeit im Design auch ein Trend. Die Kleider sollen lange getragen werden können. Der visionäre britische Modedesigner Hussein Chalayan sprach darüber auf einer Podiumsdiskussion im Bundesumweltministerium. Seit Ende des Jahres ist er Professor für Modedesign an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin, und er erzählt, als Designer gibt der sechs Kollektionen pro Jahr heraus. Eigentlich viel zu viel. Aber er versucht, die einzelnen Teile weiterzuentwickeln und nicht immer neu zu entwerfen. Außerdem sollen seine Kleider handwerklich so gut produziert werden, dass man sie eben sehr lange tragen kann. Und er appelliert eben auch an uns Konsumenten, das Bewusstsein für ökologisch hergestellte Mode müsse sich durchsetzen, wie es bereits beim Thema Bioessen geschehen sei. Also was ich nicht zu mir nehmen möchte, sollte ich auch nicht an meine Haut lassen. Also ein Trend sehe ich auch so ein bisschen in der Suche nach Materialien und Herstellungsprozessen, die weder Mensch noch Natur schaden oder zumindest wenig schaden.
Sneakers aus Algen oder Kaffeesatz
Fischer: Mit der Neonyt gibt es ja auf der Fashion Week eine sehr große Messe für nachhaltige Mode. Wir sprachen darüber am Montag mit dem Show Direktor. Inwieweit haben Sie den Eindruck, dass ja Ökomode auch wirklich im Mainstream ankommen kann und vielleicht auch Trends setzt durchaus?
Vismann: Vielleicht ist Ökomode in der Tat noch in einer Nische, aber auf der Neonyt finden sich neben großen Labels auch die Vorreiter, die mit neuen Materialien experimentieren. Ich hab da zum Beispiel den Sneaker-Hersteller NAT-2 aus München gesehen, der Turnschuhe aus Kaffeesatz, Pilzleder oder Rosen herstellt, mit einer Naturkautschuksohle. Der neueste Clou: ein Turnschuh, der teilweise aus Ei hergestellt wurde und einer aus Curry, der dann so ein bisschen aussieht wie eine rotbraune Currywurst. Ja, was ich dann nach einer Spielerei anhört für Menschen, die sich dann so 300 oder 400 Euro teure Turnschuh leisten können, ist am Ende, finde ich, ein Versuch, neue Wege in der Modeindustrie auszuprobieren. Und das kann natürlich Nachahmer finden und zum Umdenken anregen.
Fischer: Ja, dann gucken wir doch mal konkret hin. Wie sieht denn dann wohl die Mode der nächsten Wintersaison aus?
Vismann: Ich habe viele Naturfasern gesehen, grob gestrickt. Dann Wollpullover in Braun und Weiß, die dann aber auch bauchfrei sind. Ausgerechnet bei der Modenschau von Last Heirs, die letzten Erben, die für ihre Bomberjacken aus veganem Lackleder bekannt sind und die bei HipHop-Musikern in Los Angeles sehr angesagt sind. Aber es gab bei denen auch gerade geschnittene Jacken aus PVC-Leder mit Schlangenprints, das könnte der Renner der nächsten Wintersaison werden, und Lou de Bètoly setzt ebenfalls auf recycelte Wollpullover und Schals. Die Wollhosen haben am Bein einen Schnitt, der mit einer groben Ziernaht wieder zusammengenäht wurde. Also die französische Designerin Odely Teboul steckt hinter diesem Label, und sie verwendet Kordeln, Troddel und Kristalle. Das sind ja so die Codes der Bourgeoisie, und die dekonstruiert diese zu netzartigen Gebilden. Und das Ganze wird dann wirklich zu nachhaltigen Kunstwerken, die dann von den Models, darunter übrigens auch viele ältere Damen, getragen werden.
Viel tragbarer sind die Entwürfe von William Fan mit körperbetonten, langen Seidenkleidern. Oder er hat ein schulterfreies tailliertes Kleid entworfen aus kariertem Baumwollstoff oder einen langen, moosgrünen Samtmantel für Männer. Er präsentierte seine Kollektion übrigens nicht als monotone Laufstegshow, sondern als Inszenierung auf dem Fernsehturm in 200 Meter Höhe - als Hommage an Berlin.