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"Berlin kann als ein besonderer Erfolg bezeichnet werden"

Es sei etwas besonderes, wenn man neun Tage in einer Stadt mehr als 400.000 Zuschauer an seine Sportart bindet, sagt Helmut Digel, Mitglied im Vorstand des Internationalen Leichtathletik-Verbandes. Doch trotz des Zuschauerzuspruches wünscht er sich ein größeres Engagement der Athleten für einen dopingfreien Sport.

Helmut Digel im Gespräch mit Friedbert Meurer |
    Friedbert Meurer: In Berlin ist gestern Abend die Leichtathletik-Weltmeisterschaft zu Ende gegangen. Absoluter Star war der Jamaikaner Usain Bolt: Gold und Weltrekord über 100 Meter, über 200 Meter und am Wochenende dann auch noch eine dritte Goldmedaille mit der viermal 100-Meter-Staffel. Bolt verlieh in Berlin Glanz, wenn hoffentlich nicht eines Tages doch die Meldung kommt, dass da unerlaubte Mittel im Spiel waren. Die Veranstalter der Weltmeisterschaft sind jedenfalls zufrieden, obwohl anfangs das Stadion nicht ausverkauft war. Wollten die Berliner vielleicht ein wenig wissen von der Leichtathletik-WM, ließen sich erst spät vom Fieber anstecken?
    Am Telefon begrüße ich Helmut Digel, lange Jahre Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, heute Mitglied im Vorstand des Internationalen Leichtathletik-Verbandes. Guten Morgen, Herr Digel.

    Helmut Digel: Guten Morgen!

    Meurer: War das also eine gute Idee, einige Disziplinen aus dem Stadion herauszutransportieren?

    Digel: Dies ist ja schon des öfteren geschehen und ich denke, das hat sich einmal mehr bewährt. Einmal ist das touristisch ausgesprochen interessant für den Gastgeber, denn er kann auf diese Weise auf seine wunderbare Stadt aufmerksam machen. Es ist aber auch unter organisatorischen Gesichtspunkten eine sehr gelungene Lösung. Man bindet einerseits die Zuschauer und damit die ganze Stadt in das Ereignis mit ein und in Berlin hat es sich deshalb vor allem angeboten, weil Berlin auf diesem Gebiet viel Erfahrung gesammelt hat durch den Berlin-Marathon. Der ist ja einer der größten Marathons der Welt. Auf diese Weise war es auch gar kein Risiko, in einer Großstadt diese vier Straßenwettbewerbe in der Stadt selbst auszurichten.

    Meurer: Herr Digel, kommt für Sie außer Marathon und Gehen bei den Männern und Frauen noch eine andere Disziplin in Frage, die man außerhalb des Stadions ansiedeln könnte?

    Digel: Im Grunde genommen könnte man natürlich alle technischen Disziplinen außerhalb des Stadions ansiedeln. Man könnte sogar auch die Läufe nach außen bringen. Das hat man ja nun sehen können, dass man sogar eine Bahn hinter dem Brandenburger Tor gestaltete, und damit wurde diese Möglichkeit zumindest aufgezeigt. Aber das wird der Weltverband nie tun, denn das wäre das Ende der Weltmeisterschaften.

    Meurer: Also es bleibt bei den zwei Disziplinen und keine weiteren außerhalb des Stadions?

    Digel: Nein, da bin ich mir sehr sicher. Es gibt natürlich einen wichtigen Grund. Die Stadion-Leichtathletik setzt sich aus Laufen, Werfen und Springen zusammen. Wenn man nun einen Bereich auslagert, was man ja mit den Sprüngen sehr gut tun könnte, dann hat die Leichtathletik als Verbandes-Leichtathletik im Grunde genommen kaum noch eine Berechtigung.

    Meurer: Dass die Leichtathletik-Weltmeisterschaft am Anfang nur auf relativ mageren Zuspruch gestoßen ist, wenn man das mal vergleicht beispielsweise mit der WM in Stuttgart 1993, da war das Stadion immer ausverkauft, liegt das daran, dass der Image-Schaden, Herr Digel, den die Leichtathletik durch zu viele Doping-Fälle erlitten hat, eben doch noch anhält?

    Digel: Der spielt ganz sicher eine Rolle. In Berlin war es auch sehr viel schwieriger, zunächst einmal Berlin an diese Sportart zu binden, denn wir sind dort in einer Metropole, in einer Weltstadt, die fünfmal größer ist wie Stuttgart, und in dieser Weltstadt sind natürlich viele Ereignisse als Konkurrenz zu betrachten, die zur gleichen Zeit stattgefunden haben, die ebenso attraktiv sind wie eine Leichtathletik-Weltmeisterschaft. Dennoch muss man sagen, was die Zuschauerzahlen anbelangt, dass Berlin als ein besonderer Erfolg bezeichnet werden kann, denn man hat wohl nicht ganz so viele Eintrittskarten verkauft wie in Stuttgart oder wie in Paris, aber gerade wenn man nun die Situation des Weltsports von heute betrachtet, beinahe 30 Sportarten konkurrieren um Zuschauer und es gelingt eigentlich nur ganz wenigen, die Zuschauer an sich zu binden, so ist das schon etwas Besonderes, wenn man neun Tage in einer Stadt mehr als 400.000 Zuschauer an seine Sportart binden kann.

    Meurer: Dann wundert man sich umso mehr, warum die Karten so teuer waren.

    Digel: Dies ist sicher etwas, was das Organisationskomitee im Nachhinein noch mal zu diskutieren hat, ob hier möglicherweise doch ein Fehler gemacht wurde. Ich glaube, es hat sich gezeigt, es war die Reaktion vieler Zuschauer, dass man ein Familienticket benötigt hätte, denn wenn ein Vater mit seiner Gattin und zwei Kindern diese Weltmeisterschaften besuchen wollte, so war dieser Besuch doch so teuer, dass viele heute sich dies nicht mehr leisten können. Das kann durchaus als ein Fehler bezeichnet werden.

    Meurer: Die herausragende Leistung der Weltmeisterschaft hat mit Sicherheit Usain Bolt abgeliefert: Fabelweltrekord über 100 Meter und 200 Meter. Ging da alles mit rechten Dingen zu?

    Digel: Ich denke, wir müssen die Situation etwas allgemeiner beschreiben. Die Leichtathletik hat erhebliche Doping-Probleme aufzuweisen, das zeigen ihre vielen Fälle, und diese Disziplin im besonderen, denn zunächst einmal müssen wir uns daran erinnern, dass unsere Stars in dieser Disziplin immer wieder aufgestiegen sind, sie wurden als Stars gefeiert und wenige Jahre später mussten wir feststellen, dass sie uns betrogen haben. Denken Sie an die Marion Jones, die wie ein Engel von den Massenmedien gewürdigt wurde und nun ist sie von der Bühne verschwunden und des Dopings überführt. Wir haben den Tim Montgomery in gleicher Weise als 100-Meter-Weltrekordler gefeiert und ich könnte die Reihe fortsetzen. Für mich gilt aber für Usain Bolt zunächst das, was für alle Athleten gelten muss; das gilt dann aber auch in gleicher Weise für unsere deutschen Athleten, aber auch für ihre Gegner. Sie sind so lange saubere und faire Athleten, solange sie nicht des Dopings überführt sind. Dass aber gleichzeitig der Verdacht in diesem Hochleistungssport mittlerweile mitläuft und dass bei jedem großartigen Erfolg die Frage auftaucht, ist dies alles mit richtigen Dingen zugegangen, was sich da ereignet hat, das haben sich die Athleten selbst zuzuschreiben und sie sind gefordert, dass sie diesen Verdacht aus der Welt räumen. Ich würde mir wünschen, dass diese Spitzensportler sich sehr viel engagierter für ihren sauberen Sport einsetzen, um dem Zuschauer auch zu zeigen, dass sie es ernst meinen mit den Bemühungen um einen sauberen Sport.

    Meurer: Die Leichtathletik-Weltmeisterschaft in Berlin ist gestern Abend zu Ende gegangen. Das war ein Gespräch mit Helmut Digel, Mitglied im Vorstand des Internationalen Leichtathletik-Verbandes, mit dem wir eine kleine Bilanz gezogen haben. Herr Digel, besten Dank und auf Wiederhören.

    Digel: Bitte schön.