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Berlin
Keine Früheinschulungen mehr

Aufgrund von Sparmaßnahmen wird es in Berlin bald keine Früheinschulungen mehr geben. Fehlendes Personal und Platzmangel waren aber nicht die einzigen Auslöser für diese Entscheidung. Kinder mit fünf Jahren könnten weder still sitzen, noch einen Stift halten, berichten Lehrer.

Von Anja Nehls |
    Schulkinder beim Informatikunterricht
    Vor zehn Jahren war die frühe Einschulung zusammen mit dem jahrgangsübergreifenden Unterricht in den ersten zwei oder drei Klassen in Berlin eingeführt worden. Schon damals war die Reform umstritten. (Imago)
    Wenn es zu Beginn des übernächsten Schuljahres klingelt wird in den 1. Klassen in Berlin kaum noch ein 5 jähriges Kind sitzen. In Zukunft gilt auch hier – wie in vielen anderen Bundesländern und im Nachbarland Brandenburg der 30. September als Stichtag und nicht mehr der 30. Dezember.
    Für Lydia Sebold, Schulleiterin einer Grundschule in Berlin Schöneberg und Berliner Deligierte des Grundschulverbandes ist diese Entscheidung überfällig. Viele Kinder seien mit 5 ½ einfach noch nicht reif genug für die Schule
    "Besonders Kinder, die große Sprachprobleme haben und Probleme im basalen Bereich, für die ist nicht genügend Zeit, für die ist die Pädagogenausstattung nicht gut genug. Die brauchen Möglichkeiten zum Spielen, zum Ausruhen, sie sind müde, sie sind erschöpft, Kinder weinen dann und es gibt einen großen Zulauf zur Kinder- und Jugendpsychologie."
    Reform war umstritten
    Vor 10 Jahren war die frühe Einschulung zusammen mit dem jahrgangsübergreifenden Unterricht in den ersten zwei oder drei Klassen in Berlin eingeführt worden. Schon damals war die Reform umstritten. Die CDU war eher skeptisch; die SPD hatte sich für die Idee stark gemacht, weil besonders Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern oder mit mangelhaften Deutschkenntnissen früh gefördert werden sollten. Bildungsstaatssekretär Mark Rackles SPD:
    "Der Grundgedanke ist der, dass man möglichst früh ins Bildungssystem rein will und dann auch die sogenannte Schulanfangsphase draufsetzt um zu sagen, die ersten zwei Jahre sind altersgemischt, da geht es mit unterschiedlichen Tempi ans Lernen, sodass man sich durchaus drauf einstellen kann, dass Kinder, die vielleicht nicht ganz so weit sind, mitgenommen werden von den älteren, also das gehört zusammen."
    Sparmaßnahmen als Auslöser
    Die Praxis sah und sieht dann vielfach anders aus. Die Vorschule ist in Berlin abgeschafft worden. Zwar müssen in Berlin 4 jährige Kinder die keine Kita besuchen einen Sprachtest absolvieren – und wenn nötig dann verbindlich bis zum Schulbeginn in eine Kita gehen – das reicht aber vielfach nicht. Viele Kinder können mit Eintritt in die Schule noch keinen Stift halten, nicht mit einer Schere umgehen, nicht still sitzen oder machen sich sogar noch in die Hose. Das hätte man einkalkulieren müssen, sagt Schulleiterin Lydia Sebold:
    "Wir haben hohe Erwartungen damit verbunden, dass die Kinder eine frühe individuelle und differenziert Förderung erhalten. Aber Sparmaßnahmen in der Berliner Schule haben dazu geführt, dass konzeptionell diese Förderung nicht umgesetzt werden kann."
    Wenig Platz und Personal
    Es gibt zu wenig Platz und zu wenig Personal. Die Abschaffung der Vorschule in Berlin war ein Fehler, meint Lehrerin Andrea- Maria Wolf. Sie hat die Leistungsentwicklung von zu jung eingeschulten Kindern über Jahre beobachtet:
    "Meine Erfahrung ist, und das ist jetzt schon über mehrere Jahre, dass die Kinder, die zu früh kommen und wir in der ersten Woche schon sagen können, die sind nicht schulreif, dass die das nicht aufholen können."
    Das längere Verweilen in der Schulanfangsphase ist auch keine Lösung, weil es von den Kindern und Eltern als Niederlage empfunden wird, meint Schulleiterin Sebold. Immer häufiger haben Eltern in ihrer Schule deshalb in den vergangenen Jahren auf Antrag die Kinder noch ein Jahr zu Hause behalten.
    "Weil die Kinder angestrengt aus der Schule zurückkommen und die Freude an der Schule nicht so groß ist, als wenn ein wirklich schulreifes Kind in der Schule ist."
    Schon ab kommendem Schuljahr können die Eltern auf Wunsch ohne Prüfung des Antrags ihre Kinder von der frühen Einschulung zurückstellen. Ob die neuen Regelungen nun wirklich Verbesserungen bringen, darin will sie SPD Bildungssenatorin Sandra Scheres nicht festlegen. Sie kann die von vielen Lehrern, Eltern und Schulleitern gemachten Erfahrungen nicht nachvollziehen:
    "Ich kann nicht in die Zukunft schauen, ich kann nur sagen wie es jetzt ist und dass die jetzige Situation keinen Nachteil für die Kinder hat. Das haben wir uns wissenschaftlich angeschaut, das muss man sich dann in ein paar Jahren anschauen, ob das veränderte Wirkung aufs System hat."
    In Zukunft werden die Kinder in den ersten Klassen in Berlin auf jeden Fall ein paar Monate älter sein und vielleicht auch reifer.