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Berlin
Kita-Sprachförderung nicht konsequent durchgesetzt

Verpflichtende Sprachtests und Vorschule für Kinder mit schlechten Deutschkenntnissen: Die Forderungen des CDU-Abgeordneten Carsten Linnemann haben eine rege Diskussion ausgelöst. In Berlin gibt es bereits eine Kita-Pflicht für Kinder mit Förderbedarf, aber manche Eltern ignorieren die Vorgaben einfach.

Von Manfred Götzke | 09.08.2019
Erzieher und Kinder in einer Kindertagesstätte in Dortmund
Kinder mit Migrationshintergrund: Wer früh in die Kita geht, hat länger Zeit, Deutsch zu lernen (Imago)
Erzieherin Britta Kolbe blättert im "Sprachtagebuch" eines ihrer Schützlinge. Wobei Tagebuch etwas untertrieben ist: Ein dicker grüner Ordner, eingeheftet Blätter mit Zeichnungen, Bastelzeug und Bewertungen der Pädagoginnen:
"Also hier zum Beispiel hat ein Kind gebastelt und kam dann stolz und zeigte es mir und sagte: Guck mal ein Auto, geklebt. Feuer."
Jedes Kind in der "Kita Liebenwalder Straße" im Berliner Wedding hat ein solches Tagebuch – die Erzieherinnen dokumentieren hier im Wortlaut, was die Kinder sagen können – und was nicht. Entsprechen die Sprachkenntnisse nicht den Fähigkeiten, die zum Beispiel ein Vierjähriger haben sollte, bekommt das Kind zusätzliche Förderung:
"Die pädagogischen Fachkräfte gehen mit den Kindern dann häufiger in den Dialog. Sprechen das Kind in Spielsituationen häufiger an, geben ihm mehr und andere Worte als vielleicht anderen Kindern, die von sich aus viel reden und wo die Sprache altersgerecht ist."
93 Prozent Migrationshintergrund in der Kita
Und das geht hier manchen Kindern hier so. Der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund liegt in der Kita bei 93 Prozent, erzählt Kita-Leiterin Marion Thonig:
"Wir hatten es ab und zu mal, dass Kinder auch mit fünf Jahren zu uns kamen und kein Wort Deutsch sprachen. Aber ansonsten begrüßen wir es einfach auch, dass Kinder auch in jungen Jahren zu uns kommen, damit sie länger Zeit haben, deutsch zu lernen."
Da die Kinder im Schnitt mit 2 Jahren in die Weddinger Kita kommen, können die Erzieherinnen so in der Regel ausgleichen, was die Kinder von zuhause an Deutschkenntnissen nicht mitbekommen. Thonig:
"Geschwisterkinder werden auch sehr gerne zu uns gebracht. Wenn die Eltern sehen, wie sich die Kinder in Bezug auf die deutsche Sprache entwickeln, sind die Eltern auch interessiert, die Geschwister auch eher zu bringen."
Eine kleine Gruppe ignoriert Sprachtest- und Kita-Pflicht
Das funktioniert bei den allermeisten Kindern mit Migrationshintergrund in Berlin so – schließlich besuchen 92 Prozent der Kinder die in der Hauptstadt kostenlosen Kindergärten und werden dort sprachlich gefördert. Probleme gibt es bei den übrigen acht Prozent, sagt Iris Brennenberger von der Berliner Senatsverwaltung für Bildung:
"Es ist eine kleine Gruppe von Kindern, die teilweise weit weg sind vom System und die wieder rein zu holen, ist nicht einfach."
Rund 2000 Kinder je Jahrgang besuchen in Berlin keine Kita. 20 Monate vor Schulbeginn müssen diese Kinder einen Sprachtest absolvieren. Doch nur die Hälfte – etwa 1100 – kommen überhaupt zu diesem Pflichttermin. Bei fast 900 dieser Kinder wurde wiederum Sprachförderbedarf attestiert: Sie sind verpflichtet, täglich mindestens fünf Stunden in die Kita zu gehen. 700 dieser Kinder, bzw. deren Eltern, erfüllten die Auflage nicht. Warum das so ist, dafür gibt es viele Gründe, sagt Brennenberger:
"Es ist schwierig, zu sagen ihr müsst jetzt in die Kita, wenn einerseits die Eltern gar nicht so hinterher sind, nicht die Notwendigkeit sehen und es für sie mühsam ist, gerade wenn noch kleinere Kinder da sind, die Mutter zu Hause ist und denkt, warum soll ich jetzt eine halbe Stunde in Kauf nehmen mit Öffentlichen für einen Kitabesuch."
Vorgesehene Bußgelder werden nicht verhängt
Prinzipiell könnten die Berliner Bezirke die Eltern mit Bußgeldern von bis zu 2500 Euro bestrafen. Schließlich gehört die vorschulische Sprachförderung zur Schulpflicht. Praktisch wurde das bislang so gut wie nie gemacht. Die Bezirke verzichten fast immer auf die Bußgelder, weil es gar keine Kitaplätze gab, die man diesen Kindern hätte anbieten können.
Der Berliner SPD-Abgeordnete Joscha Langenbrinck kritisierte diesen Zustand schon vor ein paar Monaten massiv:
"Ein Staat, der auf die Durchsetzung seiner Regeln verzichtet, verspielt den Respekt und die Glaubwürdigkeit. Eine Gesellschaft scheitert, die es nicht schafft, Sprachvermittlung durchzusetzen".
Sprachkenntnisse nachholen in längerer Schuleingangsphase
In der ebenfalls von der SPD geführten Bildungsverwaltung sieht man das nicht so dramatisch. Schließlich gebe es in Berlin eine flexible Schuleingangsphase, so Iris Brennenberger:
"Kinder, die nicht ausreichend Deutschkenntnisse haben, können in der Anfangsphase auch gezielt und integriert gefördert werden. Sie bleiben dann drei Jahre in der Anfangsphase statt zwei Jahre, was aber auf die Schulpflichtzeit nicht angerechnet wird."
Kinder aus der Schule zu nehmen oder die Einschulung zu verschieben, weil sie sprachlich noch nicht soweit sind – diese Forderung hält Brennenberger jedenfalls für völlig daneben:
"Das ist populistisch und sehr verkürzt!"