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Matthias Dell
Wenn Journalisten von "starken Frauen" sprechen

Wenn Frauen das tun, was Männer immer tun, werden sie gerne als "starke Frauen" bezeichnet, kritisiert Matthias Dell in seiner Kolumne. Besonders die Berlinale-Berichterstattung zeige, wie ignorant die Floskel verwendet werde. Denn sie beschreibe Frauen nicht als das, was sie wirklich seien, sondern stets als Ausnahme.

Von Matthias Dell | 20.02.2019
Luisa-Céline Gaffron (l-r), Christiane Paul, Nora Waldstätten, Christiane Paul, Alice Dwyer, Alice Dwyer und Lena Klenke stehen am 13.02.2019 auf dem roten Teppich, anlässlich der Premiere der Serie "8 Tage" auf der 69. Berlinale.
Besonders stark? Die Schauspielerinnen Luisa-Céline Gaffron (l-r), Christiane Paul, Nora Waldstätten, Christiane Paul, Alice Dwyer und Lena Klenke bei der Berlinale 2019 (dpa / Jens Kalaene)
Es soll heute um eine besondere Erscheinung unserer Zeit gehen. Die so präsent ist, dass sie es bis in die Alltagskommunikation geschafft hat. Und wenn sie auch in verschiedenen medialen Zusammenhängen vorkommt, so scheint mir ihr natürliches Lebensumfeld zuerst der Film zu sein. Was zur Folge hat, dass sie auf Filmfestivals in besonders großer Häufung auftritt. Die Rede ist von der "starken Frau".
"Starken Frauen gehören bisher die nachhaltigsten Momente im Berlinale-Wettbewerb", begann zum Beispiel eine Agenturmeldung vom ersten Wochenende der diesjährigen Berliner Filmfestspiele. Die Meldung handelte allerdings nicht von Filmen, die über Gewichtheberinnen oder Bodybuilderinnen erzählen. Obwohl das vermutlich die stärksten Frauen wären, die einem auf Anhieb so einfielen.
Nein, gemeint waren ganz normale Frauen. Was sie zu "starken Frauen" qualifizierte, ist allein der Umstand, dass sie Hauptfiguren in ihren Filmen waren. Wie albern diese Floskel ist, lässt sich an der Gegenprobe zeigen: Wenn Männer Hauptrollen in Filmen spielen, schreibt niemand von "starken Männern". Warum? Weil die Frage sich nicht stellt, weil es normal ist: Männer spielen in Filmen die Hauptrolle.
Eine unglaublich ignorante Floskel
Auf dieses Ungleichgewicht will die Formulierung von der "starken Frau" hinweisen. Das macht die Floskel einerseits rührend. Die Kritik bemerkt, dass es etwas anders ist als sonst – zur Abwechslung darf eine Frau mehr als zehn Sätze sagen –, und dann versucht die Kritik dieses Phänomen zu benennen. Guckt mal, hier unterscheidet sich etwas von unseren Sehgewohnheiten, Frauen leiden nicht nur schön vor sich hin oder haben nur eine Eigenschaft, nein, sie machen mit, sind ambivalente Charaktere, das muss doch gewürdigt werden!
Matthias Dell
Ein starker Kolumnist: Matthias Dell (Daniel Seiffert)
In diesem Sinne, und das ist das Rührende, ließe sich dem Reden von der "starken Frau" guter Wille unterstellen. Andererseits ist die Floskel aber unglaublich ignorant. Sie ist ein Label, das sich auf völlig verschiedene Filme kleben lässt, das Reden von der "starken Frau" interessiert sich gar nicht für den jeweiligen Charakter, die jeweilige Realität der Figur.
Es kommt aus dem beamtenhaften Geist einfachster Wahrnehmungsirritation: Hier ist die Frau einmal nicht zur Randerscheinung verdammt, also muss es sich um eine "starke Frau" handeln. Weil, das wäre wiederum eine Gegenprobe, Frauen normalerweise ja nicht so sind in Filmen.
Außergewöhnliche Frauen dürfen tun, was Männer immer tun
Es ist ziemlich merkwürdig. Das automatisierte Reden von der "starken Frau" bezeichnet eine gewisse Denkfaulheit: Es gibt heute mehr Filme also vor 50 Jahren, in denen Frauen nicht nur Dekoration sind. Aber anstatt endlich über diesen Umstand hinwegzukommen und Frauen, das vermeintlich "schwache Geschlecht", in den Filmen als das zu beschreiben, was sie wirklich sind, macht es sich die Kritik durchs scheinbare Lob einfach: Es geht um "starke Frauen". Was übrigens auch schön zeigt, dass Frauen sich anstrengen, etwas Besonderes sein müssen, wenn sie das tun wollen, was Männer immer tun dürfen: Hauptrollen spielen.
Die schönste Blüte, die das ignorante Reden von der "starken Frau" getrieben hat, verdankt sich Dieter Kosslick, der dieses Jahr zum letzten Mal die Berlinale leitete. Für den Jahrgang 2015 gab Kosslick seinerzeit das legendäre Motto aus: "Starke Frauen in extremen Situationen".
Eigentlich müsste man daraus einen Comic machen. Eine Gruppe von Gewichtheberinnen zieht hantelschwingend durch die Filmredaktionen des Landes, um einen Begriff zurückzufordern, der nur für sie bestimmt ist.