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Berlinale
Finsteres Porträt der katholischen Kirche

Eine Großorganisation, zerrüttet von inneren Skandalen: so wird die katholische Kirche in den beiden Filmen "Kreuzweg" und "Calvary" auf der diesjährigen Berlinale dargestellt. Düstere Bilder und Einstellungen tun ihr Übriges.

Von Kirsten Dietrich |
    - "What do you want to say to me? I'm here to listen to whatever you have to say."
    - "I'm going to kill you father."
    - "Certainly a startling opening line."
    Das hört man nicht oft bei der Beichte, da hat Priester Jack sicher recht: dass jemand einen Mord ankündigt. Und nicht an irgendwem, nein, am Priester selber.
    "Ich werde dich töten, weil du unschuldig bist", sagt der Unbekannte. Einen schlechten Priester zu töten, bringe nichts, aber einen guten – das rüttele die Menschen auf.
    Und Pater Jack ist ein guter Priester - in seinem irischen Dorf. Auch, wenn er ein Alkoholproblem hat, vermutlich unter Depressionen leidet und verheiratet war, bevor er geweiht wurde. Andere Priester waren nicht so gut, sagt der Unbekannte im Beichtstuhl. Er wurde missbraucht: Jetzt will er sich rächen. Weil der Täter von damals inzwischen tot ist, muss Pater Jack herhalten – und mit ihm die gesamte katholische Kirche.
    "Ich glaube, die Zeit der Priester ist vorbei, sagt McDonagh. "Mit all den Problemen, die die Gesellschaft heute hat, fangen die Menschen allmählich an, zu bemerken, dass sie die ganze Zeit Institutionen vertraut haben, die sich überhaupt nicht um sie kümmern. Und es ist gut, dass sie das merken."
    Gegen die Autorität der Institution
    Einen Beitrag dazu möchte John Michael McDonagh mit seinem Film "Calvary" leisten. Er habe einen Film gegen die Autorität der Institution gemacht, sagt McDonagh, nicht gegen die Religion. Und tatsächlich trifft Pater Jack in seinem pittoresken Dorf auch auf einige wenige Menschen, die in ihrem Glauben ruhen. Die meisten allerdings glauben an wenig bis gar nichts. Schlimmer noch für den engagierten Priester: Sie erwarten von der Kirche nur noch das Schlechteste. Als Pater Jack einmal mit einem jungen Mädchen plaudert, zerrt deren Vater sie von ihm weg ins Auto: bloß weg vom potenziellen Kinderschänder. Und Jack muss sich der Frage stellen, ob er für diese Institution sein Leben opfern will.
    Einen persönlich ganz und gar integren Priester zeigt auch der deutsche Wettbewerbsfilm "Kreuzweg". Die Lehren allerdings, die Pater Weber im Firmunterricht vermittelt, haben es in sich:
    "Unsere Familie sind potenziell alle Menschen, selbst wenn sie auf der anderen Seite stehen und unter der Flagge des Satans kämpfen, müssen wir versuchen, ihre Seelen zu retten, denn wir sind doch nicht irgendwelche Soldaten. Wir sind Soldaten der Nächstenliebe. Unser Nächster ist, wer vor uns steht, für den kämpfen wir. Eines Tages stehen wir vor dem jüngsten Gericht, und Jesus wird fragen: Wie viele Seelen hast du denn gerettet? Hätten es nicht noch ein paar mehr sein können?"
    Bei Maria fallen solche Überlegungen auf fruchtbaren Boden. Maria ist 14 und würde mit Freuden Gott ihr Leben hingeben, wenn dafür nur ihr kleiner Bruder endlich sprechen könnte. Maria wird groß in einer streng katholischen Familie, die sich an der traditionell-konservativen Piusbruderschaft orientiert. Doch sie lebt eben nicht nur in ihrer gläubigen Familie – schon das ist schwer genug mit einer Mutter, die misstrauisch über jeden möglichen Ausbruchsversuch wacht – Maria lebt auch in der Welt der säkularen Teenager von heute, in der sie ihren Platz sucht. Auch im Sportunterricht ist sie besorgt um das Seelenheil ihrer Mitschüler – ganz so, wie es der Pater ihr aufgetragen hat.
    - Lehrerin: "Maria, ist was?"
    - "Alles in Ordnung."
    - "Bist blass. Isst du genug? Willst du dich an den Rand setzen?"
    - "Nein. Aber ich will mich nicht zu der Musik bewegen. Das sind alles satanische Rhythmen."
    - "Aber das hat dich doch sonst nicht gestört."
    - "Jetzt stört's mich aber."
    - Schüler: "Die heilige Maria hat keine Zeit für Sport, die muss beten! Aber sie kann ja auf Knien im Kreis rutschen!"
    - Lehrerin: "Ruhe im Saal!"
    "Manche Menschen haben so viel Angst vor der Welt, dass sie in irgendwelche komische Überzeugungen flüchten - das kann jeder für sich vielleicht gerne machen, aber wenn jemand Kinder hat und diesen Kindern diese Überzeugung aufdrückt, das ist einfach eine andere Sache und darüber wollten wir gern einen Film machen."
    Sehnsucht nach Transzendenz und Ritualen
    Anna Brüggemann hat mit ihrem Bruder Dietrich das Drehbuch zu "Kreuzweg" geschrieben. Die Geschwister sind katholisch erzogen worden, hatten auch kurz Kontakt zur Piusbruderschaft, bis ihr Vater zur Überzeugung kam, dass das bei aller Sehnsucht nach lateinischen Messen doch nicht recht zur Familie passe.
    "Es ging uns auch überhaupt nicht drum, einen antireligiösen Film zu machen. Vielen Menschen, vielleicht allen, wohnt eine Sehnsucht nach Transzendenz und Ritualen inne, und das ist auch schön und gut."
    "Mir geht's dann auch um die Individuen, um Konzepte von gutem Leben natürlich, die aber immer in Gestalt von handelnden Menschen auftreten. Wenn das gute Leben darin besteht, dass du Gott gefällst und einst in Himmel kommst in einer Welt, die aber andere Interessen hat und wo dein Kind sich dazwischen verhalten muss, dann kommt‘s halt zum Konflikt."
    Der Film "Kreuzweg" spielt in drastischer Konsequenz die klassischen Kreuzwegstationen durch: 14 Schritte, den Weg Jesu zum Kreuz zu bedenken. Station für Station entwirft Dietrich Brüggemann ein filmisches Andachtsbild – mit jeweils einer einzigen festen Einstellung – was den Film zu einem ungeheuer konzentrierten Erlebnis macht.
    "Ich fand das gerade interessant, dieses christliche Motiv einfach mal zu perfidieren, ins Gegenteil zu verkehren, indem man es einfach übertrieben bejaht. Mit einer Figur, die das ernster nimmt, als überhaupt - selbst in dieser ernsten kirchlichen Gemeinde, Bruderschaft, die ja schon den Glauben ernster nimmt, als er gemeint ist, da ist dann diese Figur drin, die ihn noch mal ernster nimmt, und der Film nimmt das dann noch mal ernster, indem er sie dann auf diese Kreuzwegstationen schickt."
    Was viel zu sehr unterschätzt wird, ist die Vergebung
    "Kreuzweg" und "Calvary" - beide Filme, so verschieden sie sind, zeichnen ein finsteres Porträt der Institution: eine Kirche, die von inneren Skandalen zerrüttet ist und am Leben der heutigen Menschen vorbeigeht. Hoffnung findet sich für die Regisseure höchstens im Spirituellen, aber das deuten sie nur an.
    Oder wie Pater Jack es in "Calvary" sagt: "Es wird zu viel über die Sünde geredet und zu wenig über Tugenden."
    Was viel zu sehr unterschätzt wird, ist die Vergebung. Am Ende von "Kreuzweg" verlässt die Kamera den engen Bildausschnitt und wird einmal ganz weit - beim Blick in einen grauen, windzerfurchten Himmel.