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Berliner Comenius-Schule
Zu Besuch in einer Asperger-Klasse

Asperger-Kinder unterscheiden sich auf den ersten Blick nicht von anderen Kindern, doch die abgemilderte Form des Autismus macht sich beispielsweise in der Gefühlserfassung bemerkbar. An der Berliner Comenius-Schule werden Asperger-Schüler in eigenen Klassen gefördert, aber auch gefordert.

Von Elisabeth Gregull | 11.04.2016
    Auf dem Pausenhof der Berliner Comenius-Schule geht es genauso laut zu wie in anderen Schulen auch. Doch wenn man in die oberste Etage kommt, wird es auf einmal leise. Hier befinden sich die Asperger-Klassen – kleine Klassen mit nur sechs Schülern. Einer von ihnen ist Robert. Er macht bald seinen Mittleren Schulabschluss. Er spürt den Leistungsdruck.
    "Aber schon allein, dass man in einer kleineren Klasse ist, nimmt diesen Druck raus. Der Umgang mit den Lehrern ist ein ganz anderer. Man ist irgendwie persönlich, sag ich mal, näher, nicht so kumpelhaft, aber es ist schon eine etwas geringere Distanz als auf anderen Schulen."
    Roberts Klassenlehrer Hennes Dahmen ist eigentlich Mathe- und Physiklehrer. Doch in seiner Asperger-Klasse unterrichtet er acht verschiedene Fächer in einem festen Klassenraum. In der Mitte steht ein großer Gruppentisch, und an den Seiten für jeden Schüler ein eigener Tisch zum Arbeiten. Auf manchen liegen Kopfhörer, falls es mal jemandem zu laut wird. In den Pausen können die Schüler auch im Klassenraum bleiben - sie müssen nicht hinaus auf den Hof. Wie jeden Tag beginnt der Morgen mit Zeitungslesen.
    "Ihr könnt jetzt auch wieder 15 Minuten die Zeitung nehmen. Pavel, nicht nur den Sportteil, auch aus dem ersten Teil etwas lesen, ja?"
    Gefühlserfassung fällt Asperger-Autisten schwer
    Hennes Dahmen will mit dem regelmäßigen Zeitungslesen die Interessen der Jugendlichen erweitern. Denn die sind bei Menschen mit Autismus manchmal sehr eingeschränkt. Dann steht Ethik auf dem Lehrplan. Das Thema heute: Frustration und Aggression.
    "Die Frage an euch erst mal: Was frustriert Dich? Und wie reagierst Du auf diesen Frust?"
    Die Antworten kommen langsam und erst nach mehrmaligen Nachfragen. Spontan Gefühle oder Situationen zu erfassen fällt Asperger-Autisten besonders schwer. Das kann im Kontakt mit anderen Menschen zu vielen Missverständnissen und Frust führen – und zwar auf beiden Seiten. Über diese Probleme sprechen die Lehrer intensiv mit den Schülern und üben angemessenes Verhalten auch mit Rollenspielen.
    Die Asperger-Klassen sind jahrgangsübergreifend, Hennes Dahmen unterrichtet Schüler von der 8. bis zur 10. Klasse. Gemeinsam mit einer pädagogischen Unterrichtshilfe geht er individuell auf die Schüler ein. Auch die Klassenarbeiten schneidet er genau auf sie zu. Denn der Stoff - zum Beispiel in Mathematik - reicht von der 6. bis zur 11. Klasse: "Und da muss man dann halt immer dementsprechend die Klassenarbeiten an die Schüler anpassen und nicht umgekehrt."
    Viele Schüler bekommen einen sogenannten Nachteilsausgleich und für Klassenarbeiten mehr Zeit. Auf lange Sicht hilft der ruhige und persönliche Rahmen den Jugendlichen, reguläre Schulabschlüsse zu machen. Langsam, aber systematisch bereiten sie sich auch auf den Übergang in den Beruf oder eine weiterführende Schule vor. Claas, der die 9. Jahrgangsstufe besucht, schätzt dieses Lernklima: "An der Comenius-Schule sind die Lehrer hilfsbereiter finde ich, der Unterricht macht mir hier auch mehr Spaß." Und er hat ein klares Ziel: "Also ich will auf jeden Fall Abitur machen."
    Auch Robert hat dieses Ziel, er wird bald aufs Gymnasium wechseln. Ein bisschen mulmig ist ihm allerdings schon bei dem Gedanken: "Ich habe diese Sorgen, wie wird das? Habe jetzt aber auch schon mal ein Praktikum, sag ich mal, dort gemacht und mir das angeguckt."
    Die Übergänge werden gut vorbereitet. Den Schülern, Lehrkräften und Eltern stehen drei spezialisierte Beratungslehrerinnen zur Seite. Konstanze Möbius ist überzeugt, dass Robert sich an der neuen Schule eingewöhnen wird.
    "Wir besprechen mit den Schülern im Laufe der Schuljahre ganz intensiv, was an anderen Schulen oder in der Berufsausbildung auf sie zukommt. Auf welche Probleme sie dort stoßen können und üben mit ihnen bestimmte Verhaltensweisen."
    Einige Schüler schaffen den Übergang an eine Regelschule. Wenn es dort zu Problemen kommt, hilft Svantie Ohder. Sie erklärt den Mitschülern die Folgen des Asperger-Syndroms: "Aber wenn sie dann wissen, welche Probleme hat der autistische Schüler, mit seiner Umwelt zurechtzukommen, die Umwelt zu verstehen und adäquat darauf zu reagieren, dann öffnen sich in der Regel die Herzen."